Kommentar zu Merkels Indienreise: Wunsch und Wirklichkeit in Asien

Der wirtschaftliche Aufschwung Indiens kommt der deutschen Politik sehr gelegen. Trotzdem sollte Bundeskanzlerin Merkel keine Luftschlösser in Asien bauen.

Erinnert sich noch jemand? Anfang der 90er-Jahre stellte die deutsche Politik überrascht fest, dass in Asiens Tigerstaaten die Wirtschaft brummt und Deutschland dort bald wirtschaftlich und politisch den Anschluss zu verlieren drohe, wenn nicht gegengesteuert würde. Die Asienkrise 1997 machte klar, dass ein Teil des Booms auf Sand gebaut war. Schnell geriet dann China in den Fokus, wo Wirtschaftsmanager angesichts von über einer Milliarde potenzieller Konsumenten glänzende Augen bekommen. Seitdem steht in den Terminkalendern deutscher Regierungschefs ein jährlicher Besuch in Peking.

Doch inzwischen herrscht Ernüchterung, nicht nur wegen der anhaltenden Menschenrechtsverletzungen in China. Die Eroberung des chinesischen Marktes ist viel schwieriger als gedacht, die Chinesen sind raffinierte Geschäftsleute, erwirtschaften gigantische Überschüsse und klauen unverfroren deutsche Technologie. Und dann machen sie sich politisch unbeliebt, weil sie nicht nur ihrem eigenen Volk weiter Demokratie vorenthalten und Taiwan bedrohen, sondern auch noch mit den Schurken dieser Welt kungeln.

Da trifft es sich jetzt gut, dass die deutsche Politik mit Indien einen neuen Hoffnungsträger entdeckt hat. Das Land hat ein beeindruckendes Wirtschaftswachstum und ein großes Marktpotenzial. Der deutsch-indische Handel wächst rapide. Und Indien hat den Vorteil, eine Demokratie zu sein. Die noch von SPD-Kanzler Schröder vereinbarte strategische Partnerschaft mit Delhi soll deshalb endlich mit Leben erfüllt werden. Für Kanzlerin Merkel, die Stress mit China hat, kommt Indiens Aufschwung wie gerufen. In der Tat wurde Indien zu lange von Berlin vernachlässigt, doch muss vor zu großer Euphorie gewarnt werden. Indien ist nicht stabil, vom dortigen Aufschwung profitiert nur eine Minderheit. Zudem liegt das Land in einer Region voller Konflikte, an denen es zum Teil selbst beteiligt ist. Premier Manmohan Singh, der innenpolitisch angeschlagen ist, kommt Merkels Besuch gerade recht. Doch sie sollte in Asien keine weiteren Luftschlösser bauen.

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Asienredakteur seit 1997, studierte Politologie in Berlin und Communication for Development in Malmö. Organisiert taz-Reisen in die Zivilgesellschaft, Workshops mit JournalistInnen aus Südostasien und Han Sens ASIENTALK. Herausgeber der Editionen Le Monde diplomatique zu Südostasien (2023), China (2018, 2007), Afghanistan (2015) und Indien (2010). Schreibt manchmal auch über Segeln. www.fb.com/HanSensAsientalk @SHansenBerlin

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