Kommentar zu Seehofers geheimem Plan: Seltsames Demokratieverständnis

Offenbar kennt kaum einer den genauen Inhalt von Seehofers umstrittenen Masterplan. Das ist nicht peinlich, das ist rufschädigend für das ganze Land.

Horst Seehofer verschränkt lachend die Finger vor seiner Brust, Markus Blume sitzt neben ihm und sieht ihn an

Seehofer hat offenbar dicht gehalten, nicht mal CSU-Generalsekretär Markus Blume hat den Masterplan Foto: dpa

Wäre es nicht so fürchterlich, man könnte herzhaft darüber lachen. Als Sandra Maischberger am Mittwochabend in ihre Talk­runde fragte, wer Innenminister Horst Seehofers viel diskutierten Masterplan eigentlich kenne, blieben alle mucksmäuschenstill – auch CSU-Generalsekretär Markus Blume. Auf verblüffte Nachfrage räumte Blume verlegen lächelnd ein: „Ich habe ihn auch nicht.“

Manchmal produzieren Talkshows eben doch gnadenlos aufklärerische Momente. Die Szene brachte einen Skandal auf den Punkt, der in dem Streit zwischen Seehofer und Angela Merkel etwas untergeht. Die CSU zettelt eine Regierungskrise an wegen eines Plans, den keiner kennt. Blume ist ja nicht der einzige Unwissende. Seehofer hat in den CSU-Gremien nur mündlich vorgetragen, was er vorhat – eine schriftliche Fassung wurde nicht verteilt. Und er wird kaum alle 63 Punkte präzise referiert haben.

Die dürftige Kommunikation hinderte die CSU-Vorstandsmitglieder nicht daran, sich geschlossen hinter Seehofer und seinen sogenannten Masterplan Migration zu stellen. Dies ist keine Petitesse, wie Grünen-Chef Robert Habeck zu Recht kritisiert. Welchen Status hat das Papier? Ist es Seehofers Privatmeinung? Ein Entwurf des Innenministeriums fürs Kabinett? Oder die Wunschliste einer bayerischen Regionalpartei? Man weiß es nicht. Solche Fragen hindern Seehofer nicht daran, sich öffentlich darüber zu freuen, dass die Kanzlerin und ihre CDU 62,5 Punkte des Plans unterstützenn. Wie er darauf kommt, weiß nur er selbst. Schließlich kritisiert selbst Volker Kauder, Unionfraktionschef und CDU-Mitglied, dass er den Text gerne mal sehen würde.

Seehofer offenbart ein seltsames Demokratieverständnis, indem er von seinen Parteifreunden einen Blankoscheck verlangt. Auch die Unions­abgeordneten, die die Ideen ja beschließen müssen, wirken wie Duckmäuser. Sie müssten den Innenminister auffordern, endlich den Wortlaut vorzulegen. Eine Entscheidung, die Deutschlands Ruf in der Welt prägen wird, darf so nicht verhandelt werden.

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Ulrich Schulte, Jahrgang 1974, schrieb für die taz bis 2021 über Bundespolitik und Parteien. Er beschäftigte sich vor allem mit der SPD und den Grünen. Schulte arbeitete seit 2003 für die taz. Bevor er 2011 ins Parlamentsbüro wechselte, war er drei Jahre lang Chef des Inlands-Ressorts.

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