Kompilation mit Fake-DDR-BRD-Hippiesound: West-östliche Dekadenz reloaded

Haschpfeiferauchen im Plattenbau? Eine Kompilation mit Fake-DDR-BRD-Sound befeuert Fantasien über den Osten, verfehlt aber knapp ihr Thema.

Eine Gruppe junger Hippies

Singen unter DDR-Staatswappen: Aus dem Booklet zu „Plattenbau. Ein Krautrockmärchen“ Foto: Ufo ­Hawaii

Klarer Fall für die Konfliktkommission: Handelt es sich bei der Kompilation „Plattenbau. Ein Krautrock-Märchen“ um kulturelle Aneignung oder kulturelle Wertschätzung? Oder was ist davon zu halten, wenn zum Auftakt des Albums zu einem aus den Achtzigern gekippten Science-Fiction-Wave ein Listentext wie dieser gesungen wird: „Fortschritt, Zukunft, Perspektive, Plattenbau“? Alles zentrale Begriffe in der DDR, deren vier Jahrzehnte Lebenswelt weiter umrissen werden: „Balkon, Treppenhaus, Wäschetrockner, Durchreiche, Arbeitsplatz, Baustoffe, Heizkraftwerk“, und wieder als Refrain: „Plattenbau“.

Als maßgebliche Musikgruppe wird eine Formation namens Hit Kombinat genannt, der Waschzettel spricht von einem einmaligen Experiment: Mitte der siebziger Jahre hätten, angeregt von Kultur- und Jugendfunktionären und dem Umfeld der DDR-Musikzeitschrift Melodie & Rhythmus, Musiker aus der westdeutschen Krautrockszene gemeinsam mit ostdeutschen Kollegen an einer Art sozialistischem Zukunftspop gearbeitet.

Wie es sich für solche ausgedachten Geschichten gehört, ging die hoffnungsfrohe Gleichung nicht auf, blieben die Bänder verschollen und wurden erst jetzt gesichtet. Was für den Osten spricht, sind die Fantasien, die er befeuert.

Geschichtsphilosophisch aus­geholt wird im Beitrag der Gruppe Formant: „Auf der grünen Wiese / Einst standen hier Bäume / Erhebt sich majestätisch / Nun der Lohn unserer Arbeit / Die Ernte unseres Denkens / Der Ertrag unserer Visionen“. Allerdings huschen die blässlichen Keyboardflächen von Hit Formation einfach nur weiter durch den Song. Der Sänger pendelt, wie an anderen Stellen des Albums auch, zwischen Ironie und Sentiment und schlägt damit einen Ton an, der eher zu den Neunzigern als in die Siebziger, die die Geschichte noch nicht abgeschrieben hatten, gehört.

Der Ostberliner Volkspark Friedrichshain

Arg wird es beim Refrain: „Für deine und meine Zukunft“. Da muss jemand sehr oft im Ostberliner Volkspark Friedrichshain an dem dort 1972 tatsächlich eingeweihten Denkmal für den gemeinsamen Kampf der polnischen Soldaten und der deutschen Antifaschisten vorbeigekommen sein. Dessen Inschrift lautet: „Für eure und unsere Freiheit.“ Deine und meine, eure und unsere, da ist schon einmal eine Differenz.

Verschiedene: „Plattenbau. Ein Krautrockmärchen“ (Ufo ­Hawaii/Eigenvertrieb)https://ufohawaii.bandcamp.com/album/plattenbau

Offenbar ist der Osten immer noch so unheimlich, dass er weiter privatisiert und verniedlicht werden muss. Zum Glück gibt es die slowenische Band Laibach. Zum Glück gab es Heiner Müller: „Bolschewiken sind auch Menschen, das zeigen wir euch jetzt mal. – Ganz falsch. Bolschewiki sind Marsmenschen. Sie sind so weit weg. Dann wird es Kunst.“ Der Dramatiker Müller übrigens lebte in einem Plattenbau am Tierpark Berlin-Friedrichsfelde, schrieb Linernotes für Udo Lindenberg und hörte gerne die Krachmusik von Einstürzende Neubauten.

Die Chronisten der „Plat­tenbau“-Kompilation beginnen ihre Legende mit den X. Weltfestspielen der Jugend 1973 in Ostberlin. Zu dem Festival, das wahlweise als Woodstock der DDR oder Propagandashow beschrieben wird und beides zugleich war, gehörte eine zwei Singles, eine EP und acht Alben umfassende Edition des DDR-Staatslabels Amiga. Und Amiga konnte sich die internationale Solidarität einiges kosten lassen. Die Beiträge mehrerer Kompilationen kamen aus den Warschauer-Pakt-Staaten und aus Lateinamerika, Kuba, Finnland, Schweden, der BRD, Palästina, Südafrika, Nigeria und Vietnam.

Aus dem Kanon der DDR verbannt

Mit den Bluesrockern Renft und den Jazzrockern SOK waren zwei einheimische Bands dabei, die aus dem Kanon der DDR verbannt werden würden. Auf einem Album sprach die orthodox-marxistische afroamerikanische Philosophin Angela Davis den Appell an die Jugend der Welt, auf der B-Seite spielte das Rundfunk-Sinfonie-Orchester Ostberlin Beethovens Neunte. Dass zu den Sängern von Schillers „Ode an die Freude“ der Chor des Stasi-Wachregiments „Feliks Dzie­rzynski“ gehörte, ist bitter und für Ironie untauglich.

Wäre die „Plattenbau“-Kompilation kein Märchen, dann wäre in der DDR der Mittsiebziger mit dem musikalischen und textlichen Vokabular der Achtziger über ihre Alltagswelt gesprochen worden. Denn Bands mit Namen wie Intershop oder The Klassenfeind hätten es nicht einmal ins Vorzimmer einer Einstufungskommission geschafft, Kristall oder Gruppe Kolorit schon eher. Werkstatt für Musik liest sich wie Jazz aus Bad Freienwalde, Formation Motorik wie Synthie-Pop aus Suhl. Richtig gut ist nur das Instrumental „Neptun“ der offenbar mit Medikamenten und Schnaps erfahrenen Gruppe Kaufhalle.

„Plattenbau“ gehört, wie auch der fiktionale Space-Funk von Charlie Keller und der imaginäre Proto-Techno des Kosmischen Läufers, zum unterhaltsamen Genre des Fake-Ostens. Eingehender mit dieser Gattung beschäftigen müssen wird sich wohl der Gründungsparteitag der SED/RFT. Bis dahin läuft in den einschlägigen Hinterhofquartieren die Brigade Bernstein, feministischer Shanty-Punk aus dem VEB-Werk für Abwracktechnik „Anna German“ Wolgast, Anspieltipp: „Wir lachen mit den Fäusten“.

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