Konflikt um Bergkarabach: Auf den Schwachen drauf

Seit Längerem stehen die Karten für Armenien im Konflikt um Bergkarabach schlecht. Auch die frühere Schutzmacht Russland ist anderweitig beschäftigt.

Soldaten mit Blauhelmabzeichen stehen an einem Lastwagen, auf den Bewohner Berg Karabachs klettern, im Hintergrund steht ein Hubschrauber

Ein Bild des russischen Verteidigungsministeriums zeigt die Evakuierung von Zivilisten aus Bergkarabach Foto: imago

ISTANBUL taz | Mit der Kapitulation der armenischen Milizen aus Bergkarabach könnte eine jahrhundertelange Siedlungsgeschichte des armenischen Volkes in diesem Teil des Südkaukasus zu Ende gehen. Zwar werden am heutigen Donnerstag Gespräche zwischen armenischen Vertretern von Bergkarabach und aserbaidschanischen Offiziellen über die zukünftige Integration der Armenier in Bergkarabach stattfinden. Doch unabhängig davon werden viele armenische Bewohner der umkämpften Bergregion ihre Heimat verlassen und nach Armenien gehen. Der wechselseitige Hass und die Angst vor Racheakten und einem neuen Völkermord sind viel zu groß.

Bergkarabach (im Armenischen: Arzach) wird in Armenien als eines der historischen Siedlungsgebiete, als Wiege der Armenier, mythisch überhöht. Dabei war das Gebiet immer schon auch Teil der Konfliktzone zwischen Persern, Russen und dem Osmanischen Reich.

Die neueren Konflikte um die Region entstanden durch die Nationalitätenpolitik Stalins. Dieser wollte sich die Feindschaften der vielen Völker im Kaukasus untereinander für die Stabilität der Sowjetunion zunutze machen. Er verfügte deshalb, dass das überwiegend von Armeniern bewohnte Karabach nicht Teil der Sowjetrepublik Armenien wurde, sondern sich als autonome Region innerhalb der Sowjetrepublik Aserbaidschan wiederfand.

Die damit verbundenen Probleme blieben in der Sowjetunion weitgehend unter dem Deckel, wurden aber bereits sichtbar, als unter Gorbatschow die Autorität der Zentrale zu bröckeln begann. Im Chaos der sich auflösenden Sowjetunion sagten sich die Armenier dann von Aserbaidschan los und wollten eine eigene Republik gründen, beziehungsweise ihren Anschluss an das Mutterland Armenien durchsetzen.

Anfang der 90er Jahre war Armenien noch im Vorteil

Damit begann ein jahrelanger Krieg zwischen Armenien und Aserbaidschan um die Kontrolle von Bergkarabach, dem das taumelnde Russland unter Jelzin zunächst tatenlos zusah. Armenien war Anfang der 90er Jahre mit Unterstützung hochmotivierter Freiwilligenverbände aus der Diaspora militärisch im Vorteil und kämpfte nicht nur einen Korridor nach Bergkarabach frei, sondern besetzte anschließend auch alle aserbaidschanischen Provinzen rund um Karabach, bis Russland einen Waffenstillstand vermittelte.

Armenien besiedelte diese Gebiete nicht, sondern wollte sie als militärische Pufferzone zu Aserbaidschan vorhalten. Unterdessen tagte Jahrelang eine diplomatische Kontaktgruppe im Rahmen der OSZE. Weit kam diese nie, weil Russland als wichtigster Akteur jede politische Lösung blockierte. Moskau hatte in Armenien seinen letzten großen Militärstützpunkt im Kaukasus und war mit dem eingefrorenen Konflikt ganz zufrieden.

Doch nach und nach veränderte sich die Situation zu Ungunsten der Armenier. Nachdem 2009 eine diplomatische Initiative des damaligen türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoğlu unter anderem daran scheiterte, dass Armenien sich weigerte, im Gegenzug für die Öffnung der Grenze zur Türkei einige der besetzten Gebiete an Aserbaidschan zurückzugeben, setzte Präsident Erdoğan voll auf die militärische Unterstützung Aserbaidschans. Zusätzlich nutzte Präsident Alijew die Öl- und Gaseinnahmen seines Landes für die Aufrüstung seiner Armee.

Armenien ist ohne russische Unterstützung

2020 startete dann Aserbaidschan seinen lang vorbereiteten Angriff zur Rückeroberung seiner Provinzen und Bergkarabachs. Mit Unterstützung der Türkei rückte die aserbaidschanische Armee auch im Kerngebiet von Karabach vor und eroberte rund die Hälfte des Territoriums, bis Putin den Vormarsch stoppen ließ, um seinen Einfluss im Südkaukasus zu behalten.

Landkarte von Armenien und Aserbaidschan

Foto: Landkarte von Armenien und Aserbaidschan

Der Angriff Russlands auf die Ukraine verschlechterte die Position Armeniens zusätzlich. Für Putin wurden die Beziehungen zur Türkei und Aserbaidschan wichtiger als die russische Stellung in Armenien.

Genau diese Schwäche nutzte Alijew möglicherweise nun, als er seine Truppen in den vergangenen zwei Tagen auch die restlichen Gebiete Bergkarabachs beschießen ließ. Die westlichen Staaten, die USA und die EU haben in dem gesamten Konflikt nie eine große Rolle gespielt. Auch in Zukunft wird Armenien wohl weitgehend auf sich allein gestellt sein.

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