Konfrontation in Chemnitz: Die zerrissene Seele einer Stadt

In Chemnitz haben Nazis gezeigt, wer sie sind. Viele Leute versuchen nun, das Bild einer weltoffenen Stadt dagegenzusetzen.

Zwei Männer befestigen am Karl-Marx-Denkmal ein Plakat mit der Aufschrift "Chemnitz ist weder grau noch braun".

Eines wenigstens ist sicher: Auch Marx war weder grau noch braun Foto: dpa

CHEMNITZ taz | „Am Montag sind wir überrannt worden“, sagt Randy Fischer. „Aber jetzt wird das anders.“ Fischer ist Geschäftsführer des Chemnitzer Clubs Atomino, eine Institution. Die Band Kraftklub wurde im Atomino groß, bevor sie 2012 den Durchbruch schaffte.

Chemnitz, das muss man sagen, sah in dieser Woche manchmal ganz schön scheiße aus. Rechtsextreme Hooligans machten Jagd auf Migranten und Gegendemonstranten, bürgerliche Anwohner standen Seite an Seite mit Neonazis, die den Hitlergruß zeigten.

Doch seit die Situation am Montag eskalierte, arbeiten viele mit Hochdruck daran, ein anderes Bild von der Stadt zu zeigen. Die nächsten Tage werden entscheidend dafür sein. Da ist das große Konzert am Montagabend: sieben Acts, darunter natürlich Kraftklub. Die Bands, die mitmachen, geben vorab dazu keine Interviews – das Ganze sei eine gemeinsame Kraftanstrengung, heißt es.

„Wir sind mehr“ lautet das Motto für Montag. Eine Ansage nicht ohne Risiko: Mindestens 6.000 Teilnehmer ­waren am letzten Montag bei der flüchtlingsfeindlichen Demonstration, die damit zu einem der größten rechtsextremen Aufmärsche der letzten Jahre wurde. Will Chemnitz zeigen, dass es anders kann, müssen es mehr werden. Zumindest auf Face­book interessieren sich schon hunderttausend für die Veranstaltung.

Das andere Chemnitz

Seit 1999 gibt es das Atomino, gegründet von Jan Kummer, seit den 1980ern einer der umtriebigsten Köpfe der Chemnitzer Kulturszene und Vater von Felix und Till Kummer, zwei Fünfteln von Kraftklub. In der Chemnitzer Lokalpresse wird das Atomino „Kultclub“ genannt, Randy Fischer betont: „Wir machen kein linkes Nischenprogramm, sondern sprechen alle an mit dem, was wir tun.“

Das Atomino steckt auch hinter der Konzertreihe „Rock am Kopp“, die es in Chemnitz seit 2016 gibt. Der Kopp ist das Karl-Marx-Monument. An den kommenden vier Montagen soll der Platz rund um den Nischel, wie das Denkmal in Chemnitz heißt, jetzt wieder zum Umsonst-und-draußen-Festival werden statt zum Aufmarschort gewalttätiger Neonazis. Das Konzert mit Kraftklub, den Toten Hosen, Feine Sahne Fischfilet und anderen am Montag ist nur der Auftakt. „Die Solidarität in der Musikszene ist riesig“, sagt Fischer, es gebe bereits eine ganze Reihe von Angeboten für Auftritte.

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Auch am Samstag gibt es in Chemnitz ein Konzert: Die Band Madsen spielt um 15 Uhr an der Johanniskirche im Chemnitzer Stadtzentrum. „Herz statt Hetze“ ist das Motto. Das ist die zentrale Gegenkundgebung zu den Demos von AfD und Pegida sowie Pro Chemnitz, die ebenfalls für Samstagnachmittag in Chemnitz angekündigt sind. Viele Gruppen, auch die CDU, rufen zu der Gegenkundgebung auf.

Es gibt ihn also, den Ruck durch die Chemnitzer Zivilgesellschaft, das Zusammenhalten und das Aufstehen, das diese Woche viele forderten. Trotzdem: Wie das in den nächsten Tagen ausgeht, ist nicht ausgemacht.

„Die Stimmung war unerträglich“

Denn da ist noch der Schock über das, was am Montagabend passiert ist. Der sitzt tief, auch bei Fischer, auch bei anderen, die Chemnitz und die rechte Szene dort seit Jahren kennen.

In Chemnitz gibt es beides: Schulen, an denen Antidiskriminierungsprojekte abgebrochen werden müssten, weil die rechten Schüler den Ton angeben; und junge Menschen, die Montag für Montag gegen den lokalen Pegida-Ableger auf die Straße gingen, bis dem schließlich die Puste ausging.

Marion Köster etwa, in Sachsen geboren, vor 13 Jahren nach Chemnitz gezogen, Studentin an der Technischen Universität, hochschulpolitisch aktiv. Die 33-Jährige war am Montag mit ihrer Tochter beim Gegenprotest, bis sie gehen musste: „Die Stimmung war unerträglich, was einem dort an Aggression und Gewalttätigkeit entgegenschlug, das konnte man kaum aushalten“, sagt sie. Köster war dabei, wenn gegen den Chemnitzer Pegida-Ableger demonstriert wurde, bei Protesten in Dresden und in Heidenau, aber so was habe sie noch nicht erlebt. Randy Fischer erzählt, er habe sich bei allen Anti-Nazi-Demos, bei denen er in den neunziger Jahren dabei war, geschützter gefühlt als am letzten Montag.

Sie freue sich über die kommenden Protestveranstaltungen, sagt Köster, sie freue sich auch, dass viele, die längst aus Chemnitz weg sind, nun anrufen und nach Übernachtungsplätzen fragen. Doch sie sagt auch: Ob sie hingehen wird, das weiß sie noch nicht. „So etwas wie am Montag will ich meinen Kindern nie wieder zumuten.“

Köster heißt eigentlich anders. In Chemnitz ist sie unter ihrem richtigen Namen für ihr Engagement bekannt – dass der nicht in der Zeitung stehen soll, liegt kurz gesagt daran, dass sie damit nicht nur gute Erfahrungen gemacht hat.

Pegida-Ableger ging die Puste aus

Denn auch das gehört zum Bild: „Es gibt in Chemnitz viele Menschen, die sich gegen rechts engagieren – aber die Hegemonie ist auf der anderen Seite“, sagt Köster. So ähnlich wie das „Sachsengespräch“ mit Michael Kretschmer würden auch die Einwohnerversammlungen verlaufen, die die SPD-Bürgermeisterin Ludwig bereits seit Jahren regelmäßig veranstaltet, was Köster ihr hoch anrechnet. Diejenigen, deren Lieblingssatz „Man wird ja wohl noch sagen dürfen“ lautet, hätten dort die überwältigende Mehrheit.

In Chemnitz gebe es beides, sagt Köster: Schulen, an denen Antidiskriminierungsprojekte abgebrochen werden müssten, weil die rechten Schüler dort den Ton angeben; und junge Menschen, die 2015 und 2016 Montag für Montag gegen den lokalen Pegida-Ableger auf die Straße gingen, bis dem schließlich die Puste ausging. „Das zu sehen war ein Hoffnungszeichen“, sagt Köster.

Die nächsten Tage wird Deutschland noch auf Chemnitz schauen. Aber danach wird der Kampf um das, was Chemnitz ist, noch lange nicht vorbei sein.

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