Krebs und Schweigsamkeit: Wenn Männer nicht mehr reden wollen

Im Alter nimmt Krankheit einen immer größeren Raum ein. Doch manche hüllen sich darüber lieber in Schweigen, anstatt Ängste zu äußern.

Ein älterer Mann steht am See und blickt auf das Wasser

Das Schlimmste am Krebs ist die Angst und das Mitleid der anderen, findet Lutz Foto: imago

Die Schriftstellerin Silvia Bovenschen sagte mal, sie hätte es früher schrecklich gefunden, wenn andere dauernd über ihre Krankheiten reden. Bis sie selbst merkte, dass Krankheiten einen immer größeren Raum einnehmen im Alter. Bovenschen starb 71-jährig mit einer bemerkenswerten Sammlung an finsteren Diagnosen.

Wolfgang Herrndorf schreibt in „Arbeit und Struktur“, wie er auf einer Party Leute traf, die von seiner Diagnose eines tödlichen Hirntumors wussten und deswegen verunsichert waren. Der Einzige, zu dem er einen gefühlten Kontakt bekam, war ein Bekannter, der sachlich nachfragte: Glioblastom? Was ist das? Welche Therapie machst du so? Herrndorf konnte das Medizinische erläutern, berichten, erzählen und sich dabei etwas normaler fühlen.

Diese Passage fiel mir ein, als ich Lutz im Café traf. Leider zufällig. Ich wäre lieber mit ihm verabredet gewesen, so wie früher, als er sich alle halbe Jahre gemeldet hatte und ich dann im Café vertraut mit ihm zusammensaß, plauderte und wir uns gut entspannen konnten. Vor vielen Jahren hatten wir mal eine Affäre gehabt, die nie in Unschönes gekippt war.

Vor sieben Monaten hatte ich ihn angerufen, weil ich seit einem Vierteljahr nichts mehr von ihm gehört hatte. Er erzählte mir von seiner Diagnose. Prostatakrebs. Er mache eine Hormontherapie. Er sei etwas schwach, aber „geht schon“. Er werde sich melden. Das tat er nicht.

Wie äußert sich denn die Angst?

„Ich hab dreimal angefangen, dir zu schreiben“, sagt Lutz, nachdem er sich auf der Terrasse zu mir gesetzt hat, „aber ich hab es wieder gelöscht. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.“ Er hat sich einen Vollbart wachsen lassen und ist schlohweiß geworden und seit Kurzem 70 Jahre alt. Er bestellt einen Tee und ein Stück Erdbeertarte. Und schließlich erzählt er doch etwas. Der Krebs ist fortgeschritten. Das Schlimmste sei die Angst. Und das Mitleid der anderen.

Ich frage vorsichtig nach: Wie äußert sich denn so die Angst? (Man ist wie gelähmt.) Hast du Schmerzen? (Geht so, es wechselt.) Nach der Hormontherapie frage ich nicht. Ich hatte dazu mal gegoogelt: Das Testosteron wird so gründlich wie möglich vernichtet, weil es wohl mit schuld ist am Krebs.

Wenn ich ehrlich bin, reicht es mir, einfach nur mit Lutz da zu sitzen auf der Terrasse, auch wenn er nicht viel reden will. Wir hatten nie irgendwelche Erwartungen gehabt. Er war zugewandt gewesen. Mit ihm hatte ich keine Angst. Ich erzähle ihm von meiner Enkelin. Stell dir vor, wenn sie 80 ist, haben wir das Jahr 2102! Was ist dann wohl los auf unserem Planeten?

Als Lutz nach einer Stunde aufsteht, bleibe ich sitzen, trotz des leichten Sommerregens. Ich will nicht diejenige sein, die geht. Lieber lasse ich mich einregnen. Ich winke ihm hinterher. Eine Woche später schicke ich ihm ein Foto vom Flugfeld Tempelhof. Darauf steigt ein roter Sonnendrachen in einen klarblauen Himmel. Ich dichte ein dreizeiliges Haiku dazu. Ich weiß, dass er sich nicht melden wird. Es ist okay.

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Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).

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