Krieg im Nahen Osten: Gefährliche Doppelmoral

Im Gazastreifen gilt das Völkerrecht ganz offensichtlich nicht mehr. Dort sind die Regeln einer werteorientierten Außenpolitik bedeutungslos geworden.

Luftbild aus Gaza

Ein Drohnenfoto zeigt Betende neben der Ruine der Al-Farouk-Moschee in Rafah Foto: Shadi Tabatibi/reuters

Angesichts der Entwicklungen im Gaza-Krieg wird deutlich, dass alle Handlungen im Widerspruch zum Völkerrecht stehen: die Tötung von Zigtausenden Zivilisten, von Journalisten und humanitären Helfern, die weitreichende Zerstörung im Gazastreifen – darunter Krankenhäuser, Moscheen, Kirchen und Schulen – und das Aushungern der Bevölkerung. Nie zuvor wurde der massive Kontrast zwischen den Prinzipien des Völkerrechts und der aktuellen Kriegsführung täglich und über eine so lange Zeit vor Augen geführt.

Die Konsequenzen für die Integrität der internationalen Beziehungen und Ordnung sind bedeutend. Die Weltmächte haben die Weltordnung, die sie größtenteils nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen haben, zerstört – nicht zuletzt aufgrund einer Doppelmoral, die einerseits die bedingungslose Einhaltung der Menschenrechte einfordert, sie aber in anderen Fällen bewusst ignoriert.

Die Botschaft, die vom Gaza-Krieg ausgeht, lautet: Institutionen, Regeln und Normen, auf denen eine wertebasierte Außenpolitik und eine globale Weltordnung beruhen, sind bedeutungslos geworden. Wir befinden uns nun praktisch im freien Fall in einem Weltsystem, in dem die Autorität von Regierungen und grundlegenden Überzeugungen infrage gestellt wird. Das verändert alles.

Gaza ist nicht nur ein Friedhof für mittlerweile 33.000 Menschen, sondern auch ein Friedhof der internationalen Ordnung geworden. Die größten Unsicherheiten bestehen nun darin, ob eine neue, für alle faire Weltordnung ohne einen großangelegten globalen Konflikt und Krieg entstehen kann, wer die Grundlagen dafür legen wird und wie sie gestaltet werden kann.

Und in Deutschland? „Nie wieder“ bedeutet, dass die Lehren des Holocaust universell gültig sind, und zwar für alle Menschen weltweit. Bedauerlicherweise haben wir uns im deutschen Diskurs davon entfremdet und erreichen sogar einen Punkt, an dem der Holocaust in Teilen instrumentalisiert und als Rechtfertigung für den Verzicht auf moralische Klarheit herangezogen wird.

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ist 55 Jahre alt und wird zum Juni nach 13 Jahren als Vorsitzender des Zentralrats der Muslime in Deutschland sein Amt abgeben. Der studierte Arabist und Politologe ist Mitglied der Christlich-­Islamischen Gesellschaft und der staatlichen Deutschen Islamkonferenz.

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