Krieg in der Ukraine und in Gaza: EU-Gipfel bricht mit Tabus

Weniger Zurückhaltung gegenüber Israel und mehr Geld für Waffen für die Ukraine: Die EU-Staaten bauen in Häppchen ihre Großbaustellen ab.

Ein Mann hat die Hände offen an den Seiten und schaut in die Kamera

EU-Ratspräsident Charles Michel freut sich über mehr Hilfen für die Ukraine und härtere Gangart gegenüber Israel Foto: Johanna Geron/Reuters

BRÜSSEL taz | Die Kriege in der Ukraine und in Gaza halten die Europäische Union in Atem. In Brüssel brachen die 27 Staats- und Regierungschefs der EU nun mit zwei wichtigen außenpolitischen Tabus. Die EU-Chefs sprachen sich erstmals für eine Waffenruhe im Gazastreifen aus. In einer Stellungnahme forderten sie „eine sofortige humanitäre Pause, die zu einem dauerhaften Waffenstillstand, der bedingungslosen Freilassung aller Geiseln und der Bereitstellung humanitärer Hilfe führt“.

Die bisher geübte Zurückhaltung gegenüber Israel gehört damit der Vergangenheit an. Die EU-Position stimme weitgehend mit der neuen Haltung der USA überein, sagte der belgische Premier Alexander De Croo, der derzeit den EU-Vorsitz innehat. Auch Washington ist zuletzt von Jerusalem abgerückt.

Eine Wende gab es auch im Streit über die Finanzierung der Waffenhilfe für die Ukraine. Die Staats- und Regierungschefs haben die EU-Kommission aufgefordert, einen Plan auszuarbeiten, wie Zinserlöse aus eingefrorenem russischem Vermögen für Waffenkäufe genutzt werden können. Bisher galt Auslandsvermögen als sakrosankt. Die Europäische Zentralbank hatte vor Turbulenzen gewarnt, falls die EU auf das Geld der russischen Zentralbank zugreifen sollte. Nun soll es nur um die Zinsen gehen. Bis zum 1. Juli könnte die erste Milliarde fließen, sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.

Damit sind die Probleme rund um den Ukraine-Krieg allerdings noch längst nicht gelöst. Es sei „beschämend für Europa“, dass die Mitgliedsländer so wenig Artilleriegeschosse lieferten, sagte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in einer Videoschalte. Die EU müsse dringend mehr tun.

EU will Verteidigung ausbauen

Die Gipfelteilnehmer gelobten, die „Lieferung der notwendigen militärischen Hilfe zu beschleunigen und zu intensivieren“. Als positives Beispiel gilt eine Initiative Tschechiens. Damit sollen durch Käufe auf dem Weltmarkt insgesamt 800.000 Schuss Artillerie-Munition für die Ukraine beschafft werden.

Außerdem will die EU die eigene Verteidigung ausbauen. Gipfelchef Charles Michel hatte vor dem Treffen in Brüssel gefordert, eine Art europäischer „Kriegswirtschaft“ aufzubauen und zur Finanzierung gemeinsame Schulden nach dem Vorbild des Corona-Wiederaufbaufonds aufzunehmen. Der Plan ist allerdings umstritten. Bundeskanzler Olaf Scholz forderte, sich zunächst auf das Machbare zu konzentrieren. Er äußerte sich zudem skeptisch gegenüber Plänen, die Aufrüstung künftig in Brüssel zu koordinieren und zu finanzieren. Die Verteidigung liege in nationaler Verantwortung, betonte Scholz.

Weitere Themen des EU-Gipfels waren die Erweiterung der EU und die Agrarpolitik. Die 27 Mitgliedsstaaten beschlossen, die seit langem versprochenen Beitrittsgespräche mit Bosnien-Herzegowina zu beginnen. Das Land gehöre zur europäischen Familie, schrieb Michel auf der Plattform X. Die EU-Kommission soll nun den Verhandlungsrahmen vorbereiten. Scholz bezeichnete die Entscheidung als „klares Zeichen für ein starkes Europa“ – das europäische Friedensprojekt wachse. Vor Beginn der Verhandlungen soll Bosnien jedoch noch einige Reformen umsetzen.

Keine Fortschritte gab es für die Ukraine und für Moldau. Die EU hat beiden Ländern zwar bereits im Dezember versprochen, Beitrittsgespräche aufzunehmen. Allerdings fehlt dazu noch das nötige Verhandlungsmandat. EU-Diplomaten rechnen mit dem Startschuss erst nach den Europawahlen im Juni.

Zölle für russisches Getreide geplant

Eine Überraschung gab es in der Agrarpolitik: Nachdem die EU vor dem Gipfel angekündigt hatte, einige Zölle auf ukrainische Agrarprodukte wieder einzuführen, nimmt sie auch Russland ins Visier. Geplant sind „abschreckend hohe Zölle“ auf russisches Getreide, die die Einfuhr „unrentabel machen“, sagte Kommissionsvize Valdis Dombrovskis.

Zuvor hatte sich Selenskyj über die neuen EU-Zölle beschwert. „Während ukrainisches Getreide auf die Straße geworfen wird, können russische und belorussische Produkte ungehindert nach Europa gelangen. Das ist ungerecht“, sagte Selenskyj mit Blick auf die anhaltenden Bauernproteste in Polen. Daraufhin kündigte die EU-Kommission in aller Eile antirussische Zölle an.

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