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Der Binnenflüchtling Anatolij erwartet, dass Sol­da­t:in­nen gegen einen Gebietsaustausch protestieren würden Foto: Juri Larin

Krieg in der UkraineLieber Aufstand als Deal

Der US-Präsident redet davon, der Ukraine den Tausch von besetzten gegen unbesetzte Gebiete anzubieten. Betroffene Menschen drohen mit Protesten.

Die Familien der gefallenen Verteidiger bitten darum, dass ihre Angehörigen nicht umsonst gestorben sein mögen“, sagt Maya aus der Stadt Kramatorsk im Gebiet Donezk. „Ich denke, dieser Schmerz wird nicht nur meiner, sondern der Schmerz des ganzen Landes sein. Ein Gebietsaustausch wird unseren Feind nicht aufhalten. Es wird ein Frieden von kurzer Dauer“, sagt die fünfzigjährige Lehrerin.

Aktuell liegt die Frontlinie nur gut 15 Kilometer von Kramatorsk entfernt. Den letzten heftigen Beschuss erlebte die Stadt am 31. Juli. Dabei starben 7 Zivilisten, die russische Armee zerstörte Teile eines Wohnhauses. Dieses Ereignis wirkt bei den Menschen in der Stadt gerade noch stark nach, erzählt die 55-jährige Hausmeisterin Olha. Sie kümmert sich um eins der vielen städtischen Rosenbeete, für die der Donbass so berühmt ist. Die Blumen gibt es hier praktisch immer noch fast überall. Nur Menschen gibt es in Kramatorsk immer weniger, im Zentrum ist so gut wie niemand unterwegs. Anfang 2022 lebten noch etwa 175.000 Menschen in der Stadt, Anfang 2025 sollen es noch etwa 80.000 sein.

Das Thema Gebietsaustausch, das sagen Maya und Olha, werde gerade von allen Menschen im Donbass diskutiert.

Am 15. August findet in Alaska das erste Treffen von US-Präsident Donald Trump mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin statt. Hauptthema: die russische Invasion in die Ukraine und das Kriegsende. Trump erklärte, es werde „einen bestimmten Gebietsaustausch geben“. Gleichzeitig tauchten in verschiedenen Medien anonyme Informationen darüber auf, wonach die Ukraine aus dem bisher nicht besetzten Teil des Gebietes Donezk abziehen müsse, während Russland im Gegenzug die von ihm besetzten Teile der Gebiete Sumy und Charkiw an die Ukraine zurückgebe. Auch die Kontrolle über das Atomkraftwerk Saporischschja und den zerstörten Staudamm von Nowa Kachowka würde die Ukraine zurückerhalten. Offizielle Informationen darüber gibt es aus keiner Quelle.

Am 11. und 12. August erklärte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, dass die Territorien der Ukraine in der Verfassung festgeschrieben seien, und rief die Verteidigungskräfte dazu auf, standhaft zu bleiben. Der Präsident der Ukraine erklärte, dass keine Vereinbarungen über die Ukraine ohne Beteiligung der Ukraine getroffen würden und es keinen Gebietsaustausch geben werde.

Ein Tausch von Gebieten wird unseren Feind nicht aufhalten. Es wird ein Frieden von kurzer Dauer

Maya, 50, Lehrerin in Kramatorsk

Seit 2014, also seit nun 11 Jahren, konnten russische Streitkräfte zwei Drittel des Gebietes Donezk besetzen. Unter der Kontrolle Kyjiws stand Mitte August 2025 noch ein Drittel mit Städten wie Pokrowsk, Kostjantyniwka, Druschkiwka, Kramatorsk und Slowjansk.

Der Vormarsch der russischen Truppen in der Donbass-Region zwischen 2023 und 2025 verlief in einem Tempo, dass die Besetzung der unter ukrainischer Kontrolle verbleibenden Ballungsgebiete laut verschiedenen Schätzungen noch drei bis zehn Jahre gedauert hätte.

Am 11. August wurde bekannt, dass der russischen Armee in der Region Pokrowsk ein Durchbruch in Richtung Dobropillja und Kramatorsk gelungen war. Schon am nächsten Tag erklärte Präsident Wolodymyr Selenskyj, an der Front seien Maßnahmen zur Stabilisierung der Lage ergriffen worden. Insbesondere wurden Teile des 1. Korps der ukrainischen Nationalgarde Asow – einer der kampfstärksten Einheiten der ukrainischen Verteidigungskräfte – in das Gebiet verlegt.

Alle diskutieren gerade über das Thema Gebietsaustausch, sagt die Hausmeisterin Olha, die sich in Kramatorsk um Blumenbeete kümmert Foto: Juri Larin

Der russische Durchbruch wurde von kleinen Infanteriegruppen ohne Einsatz von gepanzerten Fahrzeugen durchgeführt, sodass die ukrainischen Streitkräfte etwa zwei bis drei Tage Zeit haben, um die russischen Soldaten hier aufzuhalten. Gelingt dies nicht, kann die russische Armee gepanzerte Fahrzeuge und Drohneneinheiten nachholen. In den nächsten Tagen wird es deshalb voraussichtlich zu heftigen Kämpfen kommen.

Es ist wahrscheinlich, dass der russische Präsident seiner Armee den Auftrag erteilt hat, rechtzeitig zu den Verhandlungen in Alaska einen Erfolg an der Front zu erzielen. Wenn es den ukrainischen Streitkräften nicht gelingt, die russischen Soldaten zurückzudrängen, einzukesseln oder zu töten, wird dies einer der erfolgreichsten russischen Vorstöße seit der Besetzung von Bachmut im Mai 2023 sein.

Im April 2014 begann die russische Invasion in der Stadt Slowjansk. Der Name, auf Russisch heißt die Stadt Slawjansk, erschien den Ideologen im Kreml, die seit den 1950er Jahren die Idee der „dreieinigen slawischen Brudervölker“ kultivieren – Russen, Belarussen und Ukrainer, von symbolischer Bedeutung. Es waren die Truppen des russischen Saboteurs Igor Girkin, die die Stadt vor 11 Jahren eroberten. Nach drei Monaten wurden sie vertrieben, seit Juli 2014 steht Slowjansk wieder unter der Kontrolle Kyjiws.

Eine strenge Durchsage erinnert an den Krieg

Aktuell liegt Slowjansk circa 30 Kilometer von der Frontlinie entfernt. Nach heutigen ukrainischen Maßstäben ist das Hinterland. In der Stadt ist es friedlich, auf den Parkbänken und in den Cafés sitzen Menschen, Schulkinder fahren Fahrrad, im Zentrum kann man Elektroroller ausleihen.

„Fassen Sie keine unbekannten Gegenstände an, sie könnten detonieren“, schallt die strenge Stimme eines Radiomoderators durch ein Megafon über den Hauptplatz der Stadt. Solche Durchsagen und eine Allee mit Dutzenden Porträts Verstorbener sind das Einzige, was hier gerade an den aktuellen Krieg erinnert. Eines der Porträts zeigt den 23-jährigen Jaroslaw Trush, Träger des Ordens für Tapferkeit III. Klasse und stellvertretender Kommandeur einer Aufklärungsgruppe, der am 16. Dezember 2023 in der Nähe des Dorfes Nowokalynowe im Bezirk Pokrowsk sein Leben ließ.

„Slowjansk muss zur Ukraine gehören, das ganze Gebiet Donezk muss zur Ukraine gehören“, sagt Oleksandr, 45, aus Slowjansk Foto: Juri Larin

Die Menschen in Slowjansk sind sehr freundlich, niemand lehnt ein Gespräch ab, viele lächeln. Nur 30 Kilometer von hier entfernt ist die größte Armee Europas auf dem Vormarsch.

Der 45-jährige Oleksandr ist Bauarbeiter, er stammt aus Slowjansk. Als er uns Journalisten sieht, scheint es, als wolle er etwas sagen. Und dann sagt er sehr deutlich und direkt, dass er bereit sei, an Demonstrationen gegen die Entscheidung zum Gebietsaustausch und zum Abzug der ukrainischen Streitkräfte aus dem Gebiet Donezk teilzunehmen.

„Slowjansk muss zur Ukraine gehören, das ganze Gebiet Donezk muss zur Ukraine gehören. Das ist doch total unfair. Wie kann man denn unser Eigentum gegen unser Eigentum austauschen? Eine Socke gegen eine andere Socke? Was gibt es da zu tauschen, wenn alles uns gehört? Wenn das passiert, muss man einen Aufstand anzetteln, damit die Bevölkerung sich erhebt. Welche Gebiete sollen da,getauscht' werden: Cherson gegen den Donbass oder den Donbass gegen die Krim? Das sind doch alles unsere Gebiete! Wir tauschen doch auch nicht Moskau gegen Alaska! Die tauschen doch auch nicht ihre Gebiete untereinander! Ich werde nirgendwo hingehen! Wenn das Volk sich erhebt, werde ich mich auch erheben, denn dies ist die Ukraine. Der Donbass gehört zur Ukraine. Punkt!“, sagt Oleksandr.

Wie kann man denn unser Eigentum gegen unser Eigentum austauschen?

Oleksandr, 45, Bauarbeiter aus Slowjansk

Generell erkennt man in den ukrainisch kontrollierten Teilen des Gebietes Donezk sehr deutlich die Falle, in die Trump und Putin offenbar den ukrainischen Präsidenten Selenskyj locken wollen. Im Falle eines sogenannten Gebietsaustausches könnte die Ukraine durch den Volkszorn auseinandergerissen werden.

„Ich bin hier aufgewachsen. Ich habe hier alles, ich habe hier ein Haus. Der Krieg hat begonnen, meine Frau ist gestorben, es gab keine Möglichkeit, sie zur Behandlung nach Dnipro zu bringen. Ihre Nieren haben versagt, ich konnte ihr nicht helfen. Ich gehe nirgendwo hin. Wenn unsere Leute uns nicht zurückhalten, nehme ich eine Schaufel und werde die Russen damit schlagen, ich werde ihnen Salz in die Augen streuen. Das hier gehört uns! Früher war hier ein Springbrunnen, als Kind habe ich darin gebadet“, sagt Oleksandr und zeigt auf einen jetzt trockenen Springbrunnen aus sowjetischer Zeit. Sehnsucht nach der Sowjetunion verspürt er jedoch absolut nicht.

Der 34-jährige Soldat und frühere Programmierer Maksym weist darauf hin, dass der Vormarsch der russischen Armee in der Donbass-Region manchmal nur wenige Meter pro Tag beträgt. Das Gelände ist für Verteidigungskämpfe günstig und seit 2014 gibt es Befestigungsanlagen in den Städten. „Unter keinen Umständen darf man einen Gebietsaustausch zulassen“, sagt Maksym. Und weiter: „Selbst, wenn wir aus dem Gebiet Donezk weggehen, werden wir es dort nicht aushalten, denn wir sind nicht bereit, dort zu bleiben. Es ist, als ob man sich selbst ins Bein schießt, so was darf man einfach nicht tun. Und es wird den Krieg nicht stoppen. Die russische Armee ist aktuell die bestaufgestellte Angriffsarmee. Keine andere Armee der Welt, außer vielleicht noch der ukrainischen, hat ein solches Potenzial. Die Russen können sich jetzt in jede Richtung wenden und mit der Eroberung beginnen, denn sie verfügen über eine funktionierende und gut etablierte Taktik.“

Viele Menschen, die Slowjansk verlassen hatten, sind inzwischen zurückgekehrt. Dazu kommen noch die Binnenflüchtlinge aus den besetzten Gebieten. Einer derjenigen, die zurückgekehrt sind, ist Wyktor. Der große, stämmige 65-Jährige hat 25 Jahre in den USA gelebt. Erst kürzlich ist er nach Slowjansk zurückgekehrt, er spricht noch mit leicht amerikanischem Akzent. Die Idee, den Donbass an Putin abzugeben, lehnt er entschieden ab: „Ich sehe das sehr negativ. Dieser Trump ist ein Schwätzer: ich gebe ihnen noch fünf Tage, noch zehn Tage. Er wird nichts tun, es wird nichts passieren, bis es einen neuen Präsidenten gibt, der so mächtig ist wie in Frankreich oder Deutschland und Nein sagen kann“, meint der Rentner.

Diese Karte zeigt die aktuelle militärische Lage in der Ukraine

Wyktor ist davon überzeugt, dass Putin auch nach einem Gebietsabtritt nicht aufhören wird. „Die hören nicht auf. Solche Menschen müssen mit Bomben gestoppt werden“, sagt er.

Dass es eine große Rückkehrwelle nach Slowjansk im Jahr 2025 gibt, bestätigt auch die Rentnerin Iryna. „Ich möchte hier für immer bleiben. Wir sind Ukrainer und sollten in der Ukraine leben. Alles andere ist ungerecht und falsch. Die Menschen sind zwischen 2022 und 2024 von hier fortgegangen, aber jetzt sind sie zurück. Sie waren in Deutschland, in der Westukraine, aber sie sind zurückgekehrt, mit ihren Kinder. Sie glauben an die Ukraine“, meint Iryna.

Die Verkäuferin Nataliya fordert, die Tausenden von Leben ukrainischer Soldaten, die infolge der Invasion Russlands ums Leben gekommen sind, nicht durch Gespräche über einen Gebietsaustausch zu entwerten: „Niemand wird sein Land aufgeben. Haben die Jungs gekämpft, um aufzugeben? Ich glaube nicht, dass das passieren wird. Denn Selenskyj würde in Stücke gerissen werden, wenn das geschieht“, zeigt sich die 31-Jährige überzeugt.

In Kramatorsk im Nordosten des Gebietes Donezk unterscheidet sich die Stimmung bezüglich der Gespräche zwischen Trump und Putin nicht von der in Slowjansk. Auch wenn der Krieg hier viel näher ist.

Wiktorija ist empört, dass so viele glauben, die Menschen im Donbass seien prorussisch

„Ich werde jetzt weinen“, warnt uns Wiktorija, die erste Einheimische, mit der wir sprechen, zu Beginn des Gesprächs. „Die Leute lächeln, aber es kostet sie Mühe. Wir leben in der Hoffnung, dass dies hier trotz allem weiter die Ukraine sein wird. Ich verurteile diesen Gebietsaustausch. Ich liebe den Donbass und bin nicht bereit dafür, dass wir an Russland gegeben werden“, sagt sie.

Weder Wiktorija noch die anderen Menschen in Kramatorsk, mit denen wir sprechen, wollen unter russischer Besatzung leben. „Alle denken einfach, dass bei uns im Donbass alle für Russland sind, aber das stimmt nicht. Die Mehrheit ist proukrainisch“, sagt Wiktorija. Und ergänzt, ähnlich wie Oleksandr aus Slowjansk: „Im Falles eines Gebietsaustausches werde ich dagegen auf die Straße gehen.“

Einen sehr wichtigen Aspekt erwähnt Anatolij, Binnenvertriebener aus Tschassiw Jar. Als er die Journalisten sieht, die die Trümmer eines durch Beschuss zerstörten Wohnhauses fotografierten, flucht er über das, was die Russische Föderation hier getan hat, und erklärt, dass im Falles eines „Gebietsaustausches“ nicht nur Zivilisten, sondern auch Soldaten protestieren würden. Und das, so der Mittfünfziger, sei für die Ukraine viel gefährlicher.

„Vielleicht wird es Proteste geben. Aber es werden nicht nur einfach Leute auf die Straße gehen, sondern auch Soldaten. Das wird die Gesellschaft spalten. Und das ist schlecht. Vielleicht gibt es einen Waffenstillstand, aber der wäre nur von kurzer Dauer. Frieden gibt es keinen. Ich denke, Putins imperialer Traum ist es, ganz Europa zu erobern“, meint Anatolij.

Aus dem Russischen Gaby Coldewey

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1 Kommentar

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  • Sicher sind - auch zeitlich begrenzte - Gebietsabtretungen keine gute Lösung.



    Aber gibt es denn momentan relitistisch eine andere, wenn man den Krieg beenden möchte?