Kritik an ZDF-Krimi: „Unser Trauma ist keine Ware“

Das ZDF zeigt einen Krimi mit Parallelen zum Haasenburg-Heimskandal. Betroffene sehen sich kriminalisiert und wollen, dass er nicht ausgestrahlt wird.

Nora Weiss (Anna Maria Mühe, links) und Ben Salawi (Camill Jammal, rechts) ermitteln im Kinderheim

Nora Weiss (Anna Maria Mühe, l.) und Ben Salawi (Camill Jammal, r.) ermitteln im Kinderheim Foto: ZDF

Heute Abend strahlt das ZDF den Krimi „Todesengel“, die siebte Folge der Serie „Solo für Weiss“ aus. Hintergrund eines Mordfalls ist diesmal ein Heimskandal, bei dem ein ehemaliges Heimkind auf Rachefeldzug ist. Doch was als Unterhaltung mit gesellschaftskritischem Anstrich daherkommt, kommt bei ehemaligen Heimkindern nicht gut an. „Wir werden unserer Geschichte beraubt und kriminalisiert“, sagt Renzo Martinez, der als Kind in einem der Haasenburg-Heime war.

In dem Film stellt sich heraus, dass die beiden Toten ein ehemaliger Erzieher und Psychologe des „Haidhofs“ waren. Der Täter wird am Ende in dem leer stehenden Heim gestellt, übergießt sich mit Benzin und verbrennt. Ein schlimmes Ende.

Er ist ein junger Mann, der als 16-Jähriger im fiktiven Heim miterlebte, wie eine Mitbewohnerin namens Leonie vom zweiten Stock zu Tode stürzt. Aufmerksam auf diese Spur werden die Kommisarin Nora Weiss (Anna Mühe) und ihr Co-Ermittler Ben Salawi (Camill Jammal) durch einen Blog des Ex-Bewohners Benno, der in einem Bauwagen wohnt und die Kunde vom Tod der beiden Ex-Betreuer lakonisch mit „gut“ kommentiert.

Nicht nur dieser Todessturz eines Mädchens erinnert an die realen Geschehnisse in den Brandenburger Heimen. Auch die Schilderungen von Benno im Film ähneln den Berichten dreier Ex-Bewohner 2018 bei einem „Heimtribunal“ in Hamburg.

Offener Brief ans ZDF

Einer der drei Betroffenen war Martinez, der seine Erfahrungen danach in der Fachzeitschrift Forum veröffentlichte. Er schreibt nun einen offenen Brief an das ZDF, in dem er fordert, aus Respekt vor den Opfern auf die Ausstrahlung zu verzichten. „Stellt euch vor, ihr findet Mut, über die schlimmsten Erlebnisse eures Lebens zu sprechen. Und dann beraubt euch jemand eurer Erfahrung und macht ’nen Film draus.“ Bis zum Redaktionsschluss hat das ZDF auf Nachfrage nicht auf den offenen Brief reagiert.

Zwar sind Zeitraum und Bundesland verändert. Die Haasenburg in Brandenburg wurde 2013 geschlossen, der fiktive Haidhof 2015 in Schleswig-Holstein. Doch es gibt noch mehr Ähnlichkeiten. Wie bei der Haasenburg gab es auch 50 Strafanzeigen von Betroffenen, die fast alle eingestellt wurden. Und wie in der Haasenburg gibt es im Haidhof die besonders strenge „rote Phase“.

Er habe zu Hause Schläge erhalten, „aber das war nichts gegen den Haidhof“, erzählt der Film-Benno den Kommissaren. „Rote Phase. Gelbe Phase. Grüne Phase. Ich war immer nur in der roten.“ Das habe geheißen: „Abgeschlossene Tür. Kein Besuch, kein Kontakt zu andern. Einmal am Tag raus, unter Bewachung. Alleine Essen und Sprechverbot.“ Und weiter: „Wenn man aufs Klo musste, musste man an die Tür klopfen. Wenn man Glück hat, kommt einer und wenn nicht, scheißt man sich in die Hose.“

Parallelen und Unterschiede

Ebendies hatte Martinez fast wortgleich beschrieben: „Es kam vor, dass gar kein Erzieher kam und man musste sein Geschäft im Zimmer auf dem Brandschutzteppich verrichten oder man machte sich in die Hose.“ Aber: Es gibt auch Unterschiede. Im Film schildert Benno, wie die Erzieher sie zur Strafe in der Badewanne tauchten. In dem Heim wurden Minderjährige auf Liegen fixiert. In beiden Welten gab es Chips zu Belohnung für erwünschtes Verhalten. Im Krimi hinterlässt der Täter sie bei den Leichen.

Martinez nennt es „pietätlos“, wie der Tod des Mädchens im Film dargestellt wird. „Unser Trauma ist keine Ware, die sie spannend verpacken können, um sie anschließend dem Publikum zu erzählen.“ „Es gibt viele Parallelen und man hat nicht mit uns gesprochen“, kritisiert auch die ehemalige Bewohnerin Christina Witt. „Das ärgert uns.“

Beide waren dabei, als sich vor einem Jahr die Interessengemeinschaft ehemaliger Haasenburg-Kinder gründete. Das war auch die Reaktion auf den Suizid eines früheren Bewohners. Seither fordert die Gruppe Entschädigung und sucht Gehör.

Die Ex-Heimkinder sind heute erwachsen und wollen als Gesprächspartner ernst genommen werden. „Aber hier werden die Betroffenen als Kriminelle dargestellt“, sagt Dennis Engelmann von Verein Kinderseelenschützer, der die Gruppe der Betroffenen unterstützt. Das sei ein „Schlag ins Gesicht“.

Das ZDF erklärte auf Nachfrage, es sei Redaktion und Produktionsfirma bei dieser Episode der Krimireihe „Solo für Weiss“ um das übergeordnete Thema gegangen, „den gesellschaftlichen Missstand des Missbrauchs von Schutzbefohlenen in privatwirtschaftlich geführten Heimen“ zu thematisieren. „Es gibt viele öffentlich bekannte Fälle, unter anderen auch den der Haasenburg GmbH“, so eine Sprecherin. In der Folge „Todesengel“ seien keine konkreten Einzelschicksale von Betroffen als Vorbilder eingeflossen, weshalb der Sender keinen Grund dafür sehe, auf die Ausstrahlung dieses fiktionalen Krimis zu verzichten. „Mit den Vorwürfen befassen wir uns intensiv, da eine persönliche Betroffenheit nicht intendiert war“.

Renzo Martinez, der sich auch persönlich an die Redaktion wandte, hat noch keine Antwort bekommen. Er sagt, er sei enttäuscht, dass der Film gesendet wird und bleibt bei seiner Kritik.

Anmerkung der Redaktion, 3. November 2022: Inzwischen hat sich (nach Ausstrahlung des Films und Erscheinen dieses Artikels) ein zuständiger Redakteur bei Martínez gemeldet und dessen Argumente angehört.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.