Küchenarbeit in der JVA: „Durch Essen steigt die Moral“

Sebastian Glück ist Koch in einem Gefängnis. Ein Gespräch über Speisevorlieben der Insassen, resozialisierendes Essen und konfessionslose Osterhasen.

Gefängniskoch Sebastian Glück lehnt an einer Edelstahlplatte in der Gefängnisküche

Sebastian Glück sagt, an Karfreitag gibt es Fisch, wie jeden Freitag. Aber abends da gibt's an Ostern noch zwei bunte Eier dazu Foto: Juliane Reichert

wochentaz: Herr Glück, Sie arbeiten seit über 14 Jahren in Gefängnisküchen. Vermutlich sieht es da nicht wirklich aus, wie wir es aus Hollywoodfilmen und Netflixserien kennen?

Sebastian Glück: Tatsächlich ist es hier anders, als viele es sich vielleicht vorstellen würden. Wir haben ein Programm, bei dem es nicht nur um den Speiseplan, sondern auch um die Einbindung der Insassen in die Küchenarbeit geht. Man sagt ja nicht umsonst: Durch Essen steigt die Moral. Mit der gemeinsamen Zubereitung kann man einiges erreichen, sowohl im Umgang miteinander als auch im Blick darauf, wie es dem Einzelnen geht.

Gibt es Lieblingsessen?

Das sind in der Regel die allgemeinen Kantinenklassiker: Schnitzel, Spaghetti Bolognese, Wurstgulasch. Vegetarier gibt es natürlich auch. Andere Gefangene wiederum bekommen muslimische Kost. Abzüglich medizinischer Sonderkost bleiben dann ca. 600 sogenannte Normalessen übrig. Außerdem gehört Milchreis zu den allgemein sehr beliebten Speisen. Der eignet sich oftmals auch gut als Diätkost, da er sehr gut verdaulich ist.

38, ist gelernter Koch. Seit 2009 arbeitet er in der Berliner JVA Plötzensee und ist dort seit 2014 stellvertretender ­Küchenleiter.

Und medizinische Sonderkost – was kann man sich darunter vorstellen?

Das bezeichnet die Essen, die Allergien berücksichtigen, beispielsweise gluten- oder laktosefreie Kost, oder das Essen nach einem Entzug. Die medizinische Sonderkost wird bei der Arztvorführung erfragt, beziehungsweise verordnet. Wer beispielsweise aus einem Entzug kommt, kommt oft direkt aus dem Justizvollzugskrankenhaus nebenan. Die Kommunikation zum Facharzt erfolgt also über kurze Wege.

Wie sieht der Speiseplan für Gefangene aus, die gerade aus dem Entzug kommen?

Die ersten Tage bekommen sie sehr viel Tee und Zwieback. Alkoholentzüge gehören zu den gefährlichsten und schädlichsten Entzügen – da ist erst mal „Schonkost“ angesagt.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Damit erübrigt sich auch meine Frage nach einer Hausbrauerei.

Im Gefängnis herrscht strenges Alkoholverbot. Manche Gefangene trinken in der Not allerdings auch mal Desinfektionsmittel oder lassen Reste von Brot oder Obst in der Zelle vergären. Das kann natürlich gefährlich werden. In der Regel wissen wir, auf wen wir besonders Acht geben müssen. Aber die Gefangenen bleiben da stets erfinderisch – aus diesem Grund ist etwa unser Desinfektionsmittel auf Salzbasis hergestellt.

Eingeschweiste Scheibenwurst liegt auf einer Edelstahlplatte

Wurst gehört zu den Klassikern in der JVA, aber natürlich gibt es auch Vegetarier Foto: Juliane Reichert

Wie würden Sie die Stimmung beim Kochen mit den Gefangenen beschreiben?

Man darf nicht vergessen, wo man ist. Die Männer arbeiten ordentlich mit. Aber sie alle sind schließlich aus einem Grund hier. Zwistigkeiten kommen schon vor, gerade zwischen verschiedenen Nationalitäten. Die Umgebung ist laut, der Ton in der Küche rau. 40 Arbeitsplätze haben wir, und die sind auch immer gut frequentiert. Mehr Gefangene in der Küche wären unübersichtlich.

Gibt es hin und wieder Vorfälle?

Die zwei Jahre Ausbildung zum Justizvollzugsbeamten haben mich gelehrt, bei der Zusammenarbeit stets professionelle Distanz zu wahren. Zwar kommt es zu Rangeleien, aber so gut wie nie gegen Bedienstete. Gewalttätige Vorfälle gab es bislang noch keine in der Küche, zumindest nicht in meiner Zeit hier.

Worauf müssen Sie als Gefängniskoch im Umgang mit den Insassen besonders achten?

Bei allen Gefangenen – der Begriff „Sträfling“ ist übrigens ein absolutes No-Go – handelt es sich bei der Haft auch um eine Resozialisierung. Das gilt auch im Hinblick auf das Essen. Während meiner Zeit im Frauengefängnis habe ich das bisweilen sogar stärker empfunden als bei den Männern. Manche kennen es überhaupt nicht, drei Mahlzeiten am Tag zu essen, die muss man erst einmal daran gewöhnen, eine ausreichende Menge an Kalorien zu sich zu nehmen.

Apropos Kalorien: Als Boris Becker im Gefängnis saß, titelte die Regenbogenpresse damit, dass er seinen Haftraumkollegen trainiere. Wie beeinflusst Sport die Anstaltsküche?

Für die Männer ist die angepeilte Kalorienzahl um die 2.500, etwas weniger als für den Mann auf der anderen Seite der Gefängnismauern, da man sich in Haft durchschnittlich etwas weniger bewegt. Die meisten treiben Sport, sowohl in Form von Angeboten der Haftanstalt, als auch im eigenen Haftraum. Aber die alltäglichen Wege fallen weg, und das fließt in unsere Berechnung natürlich ein.

Viele Menschen feiern in diesen Tagen Ramadan und Ostern. Wie geht man im Gefängnis mit religiösen Feiertagen kulinarisch um?

Man feiert auch in der JVA die Feste, wie sie fallen. Konkret richtet sich das dann auch kulinarisch nach den entsprechenden Religionen. Beim Ramadan muss man sich vorher anmelden, damit wir uns logistisch darauf einstellen können, vor allem was die entsprechende Nachhaltigkeit der Ressourcen angeht. Es ist auch aus lebensmittelrechtlichen Gründen nicht immer möglich, den Gefangenen ihr Essen für einen späteren Verzehr mitzugeben. Daher werden speziell Mahlzeiten vorbereitet, die nach Sonnenuntergang gegessen werden können. Für Ostern haben wir keinen außergewöhnlichen Speiseplan. An Karfreitag gibt es Fisch, aber den gibt es hier jeden Freitag. Zur Abendverpflegung wird es aber zusätzlich zwei bunt gefärbte Eier geben. Schoko-Osterhase wie -Weihnachtsmann werden hier übrigens funktional „Hohlkörper“ genannt. Der Begriff wurde deshalb gewählt, damit es aus religiöser oder genderperspektivischer Sicht nicht ungelenk wirkt.

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