Künstler Wols: Provokation trifft Verweigerung

Die Bremer Weserburg eröffnet den "Circus Wols" - einen "Parcours zum Flanieren", der einen bedeutenden, weithin unbekannten und schwer fasslichen Künstler feiert.

Wegbereiter des Informel: Wols' Tête fantastique. Bild: VG Bild-Kunst / Karin und Uwe Hollweg-Sammlung

Kennen Sie Wols? Nein? Da geht es Ihnen wahrscheinlich wie den meisten da draußen. Alfred Otto Wolfgang Schulze (1913-51) – das ist einfach kein klingender Name. Und doch ist Wols einer, von dem nicht nur Carsten Ahrens, der Direktor der Bremer Weserburg, sagt: „Er ist eine der großen Künstlerpersönlichkeiten des vergangenen Jahrhunderts.“ Die Weserburg hat gerade den „Circus Wols“ eröffnet. Eine „Hommage“. Aber an wen eigentlich?

Jene, die Wols doch kennen, oder Kunstgeschichtler sind oder beides, gilt er vor allem als „Wegbereiter des Informel“, also der abstrakten Kunst der europäischen Nachkriegsjahre. Doch das allein wird ihm keineswegs gerecht. Der Mann ist immer noch schwer zu fassen. Passt nicht in tradierte Schubladen. Wollte er auch nie.

Und sind da noch jene – und oft sind dies wohlsortierte Bildungsbürger – die sehen in Wols fast prototypisch den „armen Künstler“, dabei, natürlich, an van Gogh denkend. Jean-Paul Sartre, der Wols Zeit dessen kurzen Lebens immer wieder ausgehalten und seine Hotelrechnungen beglichen hat, nannte ihn ein „tragisches Genie“, einen „grausamen Invaliden“, eine „herrliche Termite“.

Und, ja, Wols, der übrigens nur zufällig unter dieser Abkürzung firmiert, strahlt, fast filmreif, all das Illustre aus, was man gemeinhin an jenen Künstlern seltsam anziehend und faszinierend findet. Er ist exzentrisch. Exaltiert. Düster. Abgründig. Teil der Pariser Bohème. Und doch immer ein Einzelgänger abseits alles Bürgerlichen. Ein Getriebener, der vor den Nazis flieht, Jahre in Internierungslagern verbringt, fahnenflüchtig und staatenlos, in vielerlei Hinsicht labil, dazu alkoholabhängig. Ein Mann, der nie richtig zu Geld kommt und kommen will, bis er mit 38 Jahren schließlich einer Pferdefleischvergiftung erliegt – das Luxushotel, in dem er stirbt, entsorgt ihn durch die Hintertür. Und doch wird Wols hernach neben allerlei Prominenz auf dem berühmten Pariser Friedhof Père Lachaise beerdigt, danach gleich dreimal hintereinander auf der documenta in Kassel gezeigt.

Er ist ein Künstler, der einst erfolglos versuchte, seine eigene Ausstellung zu verhindern. Einer, der „nur in Schmerz und Armut“ arbeiten wollte, wie er sagte. Und für dessen Werke heute bei Londoner Auktionen schon mal 2,3 Millionen Pfund gezahlt werden – obwohl gerade 100.000 aufgerufen sind. Posthum erfährt er eine paradoxe Form der Wertschätzung, die er, solange er konnte, strikt ablehnte: „Die Malerei ist keine Ware. Sobald ein Bild verkäuflich ist, hört es auf ein Bild zu sein.“

All diese Geschichten – und noch viel mehr – könnte der „Circus Wols“ erzählen. Tut er aber nicht. Will er nicht. Man könnte sogar sagen: Er setzt sie, etwas elitär, voraus. Oder wird zumindest erst so richtig verständlich, wenn man sie kennt. Aber das hier ist eben keine klassische Retrospektive, auf halber Strecke zwischen dem 100. Geburtstag und dem 60. Todestag angesiedelt. Keine brave Werkschau. Und auch nicht in erster Linie die naheliegende Huldigung des Sammlermuseums Weserburg an eben jenes Sammlerehepaar Karin und Uwe Hollweg, das ihm zuletzt, finanziell, diskret immer wieder mit aus der Patsche geholfen hat. Und das zu Hause eine große Schatzkiste voller Wols besitzt, die sich sonst in einem hochkarätig besetzten Privatmuseum gleich neben der Bremer Kunsthalle befindet.

Nein, diese Ausstellung ist von einem Künstler kuratiert, dem Bildhauer und Objektkünstler Olaf Metzel – und will selbst Kunst sein. Metzel nennt seinen durchchoreografierten „Circus Wols“ einen „Parcours zum Flanieren“, der „eine ganz andere Sinnlichkeit“ eröffnen will. Es ist ein Ort, der dir nichts erklärt. Sondern dich fordert. Keinen Kunstkonsum anbietet. Ganz bewusst. Moderne Audio-Guides sucht man hier vergebens – „alles überflüssig“, sagt Metzel, so „trockener Quatsch mit verhärmter Didaktik“, das ist ja gar nicht sein Ding. Hier wird Kunst nicht vorgekaut und in leicht verdauliche Häppchen zerteilt. Hier trifft dich der unfassbare Wols in all seinen Facetten, dicht an dicht im Dialog mit über 50 anderen KünstlerInnen.

Nicht jeder von denen, die Metzel eingeladen oder ausgesucht hat, müsste zwingend mit dabei sein, aber keiner wurde ohne Hintersinn ausgewählt, ohne konkreten Bezug zu Wols – der stets durch kleinteilige, manchmal fein ausziselierte Werke brillierte. Und der von der Wucht, der schieren Größe mancher Dialogpartner bisweilen arg bedrängt wird. Cy Twombly ist dabei, Paul Klee, Daniel Spoerri und Sigmar Polke, dazu Dieter Roth, Martin Kippenberger, Norbert Schwontkowski und Alberto Giacometti.

Und natürlich Olaf Metzel selbst, allerdings nur mit einem Foto. Vor zwei Jahren war Metzel, sonst Professor in München und von der Bild kürzlich zum „Krawallkünstler“ geadelt, mal mit einer Einzelausstellung in der Weserburg vertreten, da war auch „Turkish Delight“ zu sehen, die Bronzeskulptur einer Nackten mit Kopftuch, vielleicht sein bekanntestes Werk. Metzel ist einer, der stets als „Provokateur“ apostrophiert wird. Und der selbst sagt: „Provoziert wird man durch die dumme Gesellschaft.“

Erklären will er seinen Wols nicht, aber das hat der Künstler selbst auch fast nie gemacht. Nicht den frühen Fotografen mit dem Sinn fürs Abseitige, Fremde. Nicht den zarten Aquarellisten und filigranen Zeichner. Nicht den unaufdringlichen Surrealisten. Nicht den Ölmaler mit seinen wilden Farbverläufen und Gesichtern, die von Leid erzählen. Gerade darum ist die Ausstellung spannend. Sie verklärt Wols nicht zu Mythos und Legende, erzählt nicht nur von fortwährender Aktualität eines eben schon länger verstorbenen Künstlers – das machen ja viele. Die Ausstellung in Bremen erzählt von einer Haltung.

Bis 28.Mai, Weserburg, Bremen

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