Kürzungen bei Sozialprojekten: Eine neue Runde im Kürzungspoker

Die Bezirke verhandeln mit dem Senat über die Erfüllung der Sparvorgaben. Die Finanzierung sozialer Infrastruktur steht auf der Kippe.

Demonstranten mit einem symbolischen "Spar-Paket"

Eine Überraschung der schlechten Sorte Foto: dpa

BERLIN taz | Auch über sechs Wochen nach dem Beschluss des Doppelhaushalts ist die Finanzierung zahlreicher Jugend- und Sozialprojekte weiterhin ungeklärt. Die Bezirke klagen über harte Sparvorgaben, die ihnen nichts anderes übrig ließe, als im Jugend- und Sozialbereich zu kürzen. Während die Verhandlungen mit dem Senat weiter andauern, wächst die Verunsicherung bei den freien Trägern.

Vor allem in den Bezirken Mitte, Neukölln, Friedrichshain-Kreuzberg und Marzahn-Hellersdorf stehen Kürzungen der Jugend- und Sozialarbeit weiter im Raum, wie eine taz-Umfrage bei den Bezirkämtern ergab. Grund sind die millionenschweren, „Pauschale Minderausgaben“ genannten Sparvorgaben des Landes. Allein in Marzahn-Hellersdorf beträgt das Haushaltsloch 10 Millionen Euro. Davon konnten erst 2 Millionen eingespart werden, berichtet Sozialstadträtin Juliane Witt (Linke). „Mit dem Rest schwebt eine Drohung über allen, die die weitere Arbeit behindert“, so Witt gegenüber der taz.

Konkrete Kürzungen wolle sie trotz der hohen Summe vermeiden und hofft auf Verhandlungen mit dem Senat: „Ich bin überzeugt, dass die Bürgermeisterin hier mit den anderen Bezirken Druck auf die Senatsverwaltung ausübt“, sagt Witt.

Ein wesentlicher Streitpunkt sind dabei nicht nur die Sparvorgaben, sondern auch die Handlungsspielräume, diese zu decken. Ein Großteil der Bezirksausgaben sind dabei feste Posten wie etwa Personalausgaben, die nicht gekürzt werden können. Die Sozial- und Jugendarbeit hingegen wird überwiegend aus dem kleinen Anteil frei verfügbarer Mittel finanziert. Die Laufzeit der meisten Projekte ist dabei meist nur auf ein Jahr beschränkt. Strukturell steht der Jugend- und Sozialbereich auf der Kürzungsliste ganz oben.

Verschärfend kommt hinzu, dass der Senat den Bezirken die bisher übliche Praxis, Haushaltslöcher mit Mitteln für unbesetzte Stellen im Bezirksamt zu verrechnen, untersagte – angesichts des Fachkräftemangels bislang eine Summe, mit der die Bezirke fest rechnen konnten.

Bezirke machen Druck

Wie sich der Druck auf den Senat erhöhen lässt, zeigte zuletzt Mitte. Überraschend kündigte der Bezirk Anfang Januar an, die Leistungsverträge frei finanzierter Projekte im April auslaufen zu lassen.

Die Ankündigung war ein Schock für die freien Träger und deren Beschäftigten. De facto bedeutet die Einstellung der Finanzierung das Ende von 97 Einrichtungen der Sozial-, Bildungs-, und Jugendarbeit. In einem offenen Brief forderten die Träger Senat und Bezirk dazu auf, die Finanzierung zu sichern, und bezeichneten die Kürzungsabsichten als „unverantwortlich für den sozialen Frieden dieser Stadt“.

Zwei Demos, eine Petition und einige Gespräche zwischen Bezirk und Senat später gab Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) auf der Ausschusssitzung am Donnerstag bekannt, den Bezirk finanziell entlasten zu wollen, indem der Senat einen Teil der Mietkosten der Anna-Lindh-Schule übernehmen will. Diese ist wegen Sanierungsarbeit in die ehemalige Air-Berlin-Zentrale ausgewichen, deren Miete von 6 Millionen Euro den Bezirk außergewöhnlich belastet.

Auch in Neukölln greift das Bezirksamt zu ungewohnten Mitteln, um die Sparvorgaben zu erfüllen. Ende Dezember kündigte es gegenüber den freien Trägern an, künftig nicht mehr die Betriebskosten bei der Miete übernehmen zu wollen. Ein Schritt, der gerade für Jugendklubs einer drastischen Kürzung gleichkäme. Die Summe würde bei manchen Einrichtungen ein Drittel des Gesamtbudgets ausmachen, erklärt Simone Hermes vom Bezirksjugendring Neukölln. „Das ist nicht mehr aufzufangen, das geht an die Personalstellen.“

Bisher sei völlig unklar, wie die Regelung umgesetzt werden soll – immerhin käme die Betriebskostenabrechnung erst im Folgejahr, während die meisten Leistungsverträge nur jährlich befristet sind. „Wir hängen gerade alle in der Luft“, kritisiert Hermes. Das Bezirksamt ließ eine taz-Anfrage unbeantwortet.

Der andauernde Zustand der Unsicherheit in der ohnehin schon prekären Jugend- und Sozialarbeit würde dazu führen, dass viele Kol­le­g:in­nen dem Beruf den Rücken kehren „Viele fragen sich, warum arbeite ich in einem Bereich, indem es normal ist, dass man sich im Oktober arbeitslos meldet“, sagt Hermes.

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