Kulturhauptstadt Europas 2024: Viel Pfeffer im Salzkammergut

Mit Bad Ischl stellt Österreich seine dritte Europäische Kulturhauptstadt. Die Misstöne vorab wurden von der vielversprechenden Eröffnung übertönt.

WIEN/BAD ISCHL taz | Minutenlang füllte sich die Bühne, bis der tausendköpfige Laien-Chor ganz auf ihr Platz fand. Mit einem derart vielstimmigen Jodler läutete Weltmusiker Hubert von Goisern am Samstag die Kulturhauptstadt Bad Ischl und die umliegende Region Salzkammergut ein. Trotz eisiger Temperaturen kamen rund 15.000 Menschen, um den Beginn eines umstrittenen, aber äußerst vielversprechenden Jahrs einzuläuten. Auch so bekannte österreichischen Künst­le­r*in­nen wie die Songcontest-Gewinnerin Conchita Wurst sowie die Performance-Künstlerin und Choreografin Doris Uhlich traten zum umjubelten Auftakt auf.

Neben Bad Ischl, dem einstigen Sommerdomizil des Wiener Hofs, von dem heute noch allerhand Prachtbauten und gut davon lebende Souvenirläden zeugen, nehmen 22 weitere Gemeinden aus der Umgebung am Kulturhauptstadtjahr teil. Das Salzkammergut ist somit die erste ländlich, gar alpin geprägte Region, die seit Beginn des Formats „Europäische Kulturhauptstadt“ 1985 diesen Titel von der Europäischen Union erhalten hat. Zur Überraschung aller Beteiligten hatte sich die Region im Bewerbungsprozess gegen die anderen österreichischen Bewerber „Dornbirn plus“ sowie den Favoriten St. Pölten durchgesetzt. Nach Graz (2003) und Linz (2009) ist Bad Ischl (14.000 Einwohner) die dritte Kulturhauptstadt Österreichs.

Frischer Wind und große Herausforderungen

Dass nun viel frischer Wind von außen kommt, ist für viele in der von Bergen umrahmten, traditionsbewussten Region durchaus ungewohnt. Die Herausforderungen sind vielfältig: Orte wie Hallstatt sind seit Jahren von problematischem Massentourismus geprägt. Andere wie die Stadt Gmunden kämpfen schon lange um eine Belebung des Ortskerns. Peripherere Gemeinden hingegen profitieren bislang noch kaum vom Tourismus, der wichtigsten Einnahmequelle hier. Viele junge Menschen verlassen das Salzkammergut, weil es dort schlicht an Jobs fehlt.

Das Kulturhauptstadt-Jahr wird all diese Themen künstlerisch thematisieren: Von der ausufernden Bodenversiegelung bis hin zur noch einigermaßen tabuisierten NS-Historie. In den Salzstollen der Region wurden von den Nazis geraubte Kunstschätze untergebracht, um sie vor alliierten Bomben zu schützen. Zwangsarbeiter mussten sich für geheime Rüstungsproduktion der Nazis kilometertief in die Berge graben. Manche dieser Stollen werden für Ausstellungen zugänglich gemacht, die sich kritisch mit diesem Erbe befassen. Auch Klimawandel und Feminismus sind zentrale Themen. Andere große Probleme unserer Zeit wie Rechtsruck, Flucht oder der Krieg in der Ukraine sind eher spärlich vertreten.

Politische Querelen im Vorfeld

Die Rahmenbedingungen waren schwierig: Bad Ischl ist wie die meisten Salzkammergut-Gemeinden sozialdemokratisch, die austragenden Länder Oberösterreich und Steiermark jedoch konservativ regiert. Wohl auch wegen der Jury-Absage an St. Pölten verwehrten die schwarz regierten Länder eine adäquate Unterstützung des Kulturhauptstadt-Projekts. Fördergelder wurden seitens der ÖVP aus politischen Gründen nicht freigegeben beziehungsweise abgerufen, heißt es von Involvierten. Nun muss die Intendanz mit mageren 30 Millionen Euro auskommen. Zum Vergleich: Die Kulturhauptstadt Linz hatte 2009 rund 70 Millionen zur Verfügung, Chemnitz kann 2025 mit 90 Millionen Euro arbeiten.

Lauter noch waren die atmosphärischen Konflikte im Vorfeld. Die aus Wien stammende und international hoch erfahrene Intendantin Elisabeth Schweeger hielten einige für „zu elitär“, sie habe „die Lokalbevölkerung zu wenig eingebunden“, hieß es da zum Beispiel. Ein Blick auf das Programm entkräftet jedoch die meisten Vorwürfe, denn viele Projekte sind an lokale Initiativen, vom Handwerkshaus bis hin zur Musikschule, angebunden. Rund 85 Prozent der teilnehmenden Projektträger seien hiesig, sagt Schweeger.

Kaum Leuchtturmprojekte, aber ambitioniertes Programm

Oberthema des Jahrs ist das Salz, das hier seit 7.000 Jahren abgebaut wird und dem Wiener Kaiserhaus immensen Reichtum bescherte. Die Hauptausstellung findet im Sudhaus Bad Ischl statt, das von 1835 bis 1965 für die Salzherstellung genutzt wurde, gibt es moderne Annäherungen, vom Nachvollziehen der Salzgewinnung via Augmented Reality – also durch Einfügen digitaler Elemente in die reale Welt – bis hin zu Langzeitexperimenten tropfender Farbe auf Salz. Relevanter wird „Die Reise der Bilder“ sein, die sich ab 19. März in Bad Aussee, Bad Ischl sowie der Partnerstadt Linz mit Raubkunst und Restitution, in Österreich jahrzehntelang verschleppten Themen, befassen wird.

Leuchtturmprojekte sind vorläufig nur wenige auszumachen, was dem mageren Budget, aber auch der thematischen und geografischen Breite geschuldet sein dürfte. In seinem Anspruch, neue Lösungen vor Ort zu erarbeiten, aber auch eine in sich gekehrte Region für die Welt zu öffnen, ist das Programm dennoch ambitioniert. „Es wird nicht alles allen gefallen, aber für jeden etwas dabei sein“, hieß es bei der Eröffnungskonferenz. Das lässt sich schon jetzt getrost bejahen.

Transparenzhinweis: Die Reise erfolgte auf Einladung der Kulturhauptstadt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.