Kunstbiennale in Freiburg: Der Duft von Pflastersteinen

Zum zweiten Mal findet die Kunstbiennale Freiburg statt. Sie nimmt sich die Straße als Ort der gesellschaftlichen Reibung und der Subkultur vor.

Eine Frau kniet auf einer einsamen Bergstraße und bringt eine weiße Linie an

Standbild aus dem Video „Una milla de cruces sobre el pavimento“ Foto: Fundación Lotty Rosenfeld

Die Straße ist ein politischer Raum und sie ist ein Nervensystem der Gesellschaft, das wurde mit den jüngsten Protesten in den Pariser Vororten wieder sichtbar. Auch im pittoresken Freiburg gehören Demonstrationen zum Alltag. Während kürzlich die zweite Ausgabe der Biennale für Freiburg (BFF2) eröffnete, gingen etwa 3.500 Menschen auf die Straße, sie wünschten sich mehr Raum für Subkultur.

Insofern scheint die Kuratorin der Biennale, Paula Kommoss, mit ihrer Kunstschau unter dem Titel „Das Lied der Straße“ eine sensible Frage anzusprechen, mit der sich die Stadt derzeit befasst. Mit 33 Künst­le­r:in­nen oder -gruppen – darunter Dara Birnbaum, Hito Steyerl oder das ukrainische Kollektiv R.E.P. (The Revolutionary Experimental Space) – widmet sie sich dem öffentlichen Raum als einem Ort der gesellschaftlichen Reibung.

Eine Treppe als Machtgeste

Dafür muss man unter anderem in ein altes Schwimmbad gehen, das mittlerweile den Kunstverein beherbergt. Hier wird man direkt in die Straßen Londons geworfen. Ähnlich wie in Fellinis „La Strada“ zeigt die Musikerin und Künstlerin Klein in ihrem Film aus der Perspektive des Trompetenspielers, wie sich das Instrument durch die engen Straßen seinen Weg bahnt.

Auf Plakaten und Fotos kann man dort auch Finnegan Shannons Protestaktion gegen die monumentale Treppe „Vessel“ verfolgen. Auf Initiative eines Immobilienunternehmens und nach Plänen von Thomas Heatherwick steht sie seit 2019 als absurde, kupferfarbene Architekturattraktion mitten in Manhattan. Menschen mit und ohne körperliche Einschränkungen nahmen an Shannons „Anti-Stairs Club Lounge at the Vessel“ teil, zeigten, wie das Bauwerk weniger mobile Personen diskriminieren, eine Machtgeste darstellen kann.

Die vergessene Künstlerin

Tumult in Kairos Straßen erregte 2009 Amal Kenawy mit ihrer Performance „The Silence of the Sheep“, die nun in einer Videodokumentation zu sehen ist. Kenawy ließ Menschen wie eine Schafherde auf allen Vieren über eine Verkehrsachse kriechen. Die Künstlerin leitete sie als Hirtin an, paraphrasierte die romantische Idee von einem (männlichen) Künstler, der den Menschen den Weg zeigen soll. Am Ende wurden die Per­for­me­r:in­nen verhaftet, wegen „Beschmutzung der ägyptischen Würde“. Gut ein Jahr danach begannen die Proteste am Tahrir-Platz, in deren Folge sich Ägypten politisch umwälzen sollte.

Eine Wiederentdeckung ist die von der Kunstgeschichte vergessene Künstlerin, Kunstpädagogin und Erfinderin Eva Eisen­lohr (1891–1977). In Freiburg befanden sich einst viele ihrer figurativen Skulpturen, heute kennt man noch eine Göttin von 1919 auf dem Hauptfriedhof oder eine Eule von 1960 im Stadtgarten. Maximiliane Baumgartner holte für die Bien­nale Akten zu Eisenlohr aus dem Stadtarchiv, deckt auf, wie ihre Skulpturen von den Nazis als „entartet“ diffamiert und von Freiburgs Straßen entfernt wurden.

Unweit von Eisenlohrs Eule, in einem Parkpavillon, hängte Maximiliane Baumgartner ihre Malereien auf. Ihre zwischen konkreter Skizze und Abstraktion changierenden Bilder formen dann einen Aktionsraum, der als Flugblattwerkstatt für Kinder und Jugendliche dient.

„Das Lied der Straße“:

Biennale für Freiburg

bis 30. Juli

Es geht noch weiter auf die Straße, zum Pförtnerhäuschen, zur Kaiserwache oder zum studentisch geprägten Seepark, wo die Biennale unter anderem ihre Stationen hat. Im Seepark findet man die Videos der Medienwerkstatt Freiburg. Sie begleitete in den 1970er und 1980er Jahren die alternative Szene der Stadt. In „Nachrichten über eine Veränderung“ lässt sich beobachten, wie das Gebäude des Schwarzwaldhofs, das ein Zentrum der Haus­be­set­ze­r:in­nen­sze­ne war und die erste Kita Freiburgs beherbergte, Schritt für Schritt abgetragen wird.

Eine Szene über die gewaltsame Räumung des Geländes drehte der Brite Matt Welch für seinen Film „Untitled (Scharzwaldhof)“ nach. Projiziert auf eine provisorisch installierte Leinwand in einem Kommunalen Kino, wird Welchs Film zur Metapher für eine Subkultur in Freiburg – und wie schnell sie verschwinden kann.

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