Landesweite Krawalle in Frankreich: Im Krisenmodus

Nach der Tötung eines 17-Jährigen durch einen Polizisten gab es auch in der dritten Nacht Straßenschlachten. Wie reagiert Präsident Macron?

Eine Frau mit gereckter Faust in einer protestierenden Menschenmenge

Mounia, die Mutter des ermordeten Nahels, am Donnerstag in Nanterre Foto: Bertrand Guay/afp

PARIS taz | Nach Einschätzung der Polizei sei die dritte Nacht gewaltsamer Zusammenstöße mit Jugendlichen in zahlreichen Städten Frankreichs „noch schlimmer als die beiden vorhergehenden“ gewesen. So fasste ein Sprecher der Behörden am Freitagmorgen die Geschehnisse in Le Figaro zusammen.

Am Dienstagvormittag hatte ein Polizist in Nanterre bei Paris bei einer Straßenkontrolle den 17-jährigen Nahel erschossen. Der Polizeibeamte befindet sich in U-Haft, gegen ihn wurde ein Ermittlungsverfahren wegen „vorsätzlicher Tötung“ eingeleitet. Nach Aussagen seines Anwalts hatte er nicht die Absicht, Nahel zu töten, und bittet dessen Familie um „Vergebung“.

Dennoch kommen die Vorstädte seit Dienstag nicht zur Ruhe. Ein Trauermarsch am Donnerstag verwandelte sich in eine Demonstration mit feindseligen Sprechchören gegen die Polizei, am Nachmittag griffen vermummte Jugendliche das massive Aufgebot der Ordnungskräfte an und setzten ein Bürogebäude in Brand. Die Auseinandersetzungen dauerten bis spät in die Nacht an. Nicht nur in Nanterre.

Rund um die Hauptstadt Paris, aber auch in anderen Landesteilen, vor allem in der Region Lille und in Marseille, attackierten Jugendliche mit Molotow-Cocktails und Feuer­werkraketen die Ordnungskräfte und öffentliche Verkehrsmittel. Im Zentrum von Paris, in Marseille und Lyon wurden Geschäfte geplündert.

Ausgehverbot verhängt

667 Personen wurden laut Polizeiangaben in der Nacht zu Freitag festgenommen, 249 Angehörige der Ordnungskräfte verletzt. Auch das Aufgebot von 40.000 Angehörigen der Polizei und Gendarmerie, darunter Eliteeinheiten, konnte diese Eskalation der Gewalt nicht verhindern – was am Donnerstag noch Innenminister Gérald Darmanin versprochen hatte.

Vergeblich hatten die Bürgermeister mehrerer Pariser Vororte ein Ausgehverbot von 21 bis 6 Uhr angeordnet. Diese präventive Maßnahme soll bis zum 3. Juli in Kraft bleiben.

In vielen Vorstädten (Ban­lieue) waren alle Bedingungen für eine explosive Lage ge­geben. Dass der tödliche Schuss eines Polizisten auf einen Jugendlichen massive Proteste auslöste, überrascht nicht. Doch die schnelle Ausweitung mit so gravierenden Auseinandersetzungen hat die Behörden kalt erwischt. In der Nacht zu Freitag wurden bei den Krawallen laut einer vorläufigen Bilanz mindestens 39 Polizeiposten, 34 Rathäuser und 28 Schulen angegriffen.

In nordfranzösischen Amiens erklärte die Bürgermeisterin Brigitte Fouré: „Bei uns gab es die Vorkommnisse von 2005 und 2012, aber was heute geschieht, ist unerhört.“ Das wirft Fragen auf, auch zur Rolle der sozialen Netzwerke. Dort zirkulieren Videos, die nach Ansicht des Bürgermeisters der Stadt L'Haÿ-les-Roses, Vincent Jeanbrun, zu noch dramatischeren Aktionen anstiften könnten.

Viele Feuerwerkskörper

Er wundert sich auch, wo die Randalierer in so kurzer Zeit so viele Feuerwerkskörper beschaffen konnten. Zudem beklagt er das Verhalten Schaulustiger, die den Einsatz von Polizei und Feuerwehr behindern und die Gewalttäter ermuntern würden.

Staatspräsident Emmanuel Macron musste am Freitagvormittag vorzeitig vom EU-Gipfel in Brüssel nach Paris zurückkehren, um dort am Nachmittag eine von ihm einberufene Krisensitzung zu leiten. Dass der Präsident seine Teilnahme an einem derartigen Treffen abbricht, ist eigentlich nur im Fall einer schweren Katastrophe denkbar. Als solche müssen auf höchster Staatsebene die jüngsten Unruhen eingeschätzt werden.

Macron erklärte noch vor seiner Ankunft in Paris, es gebe für ihn „bei der Anpassung der Ordnungseinsatzpläne kein Tabu“. Er erwarte dazu Vorschläge der Regierungschefin Elisabeth Borne. Diese sagte, sie prüfe „alle Hypothesen“. Einen Einsatz der Streitkräfte, ein landesweites Ausgehverbot oder ein Belagerungszustand? Im Anschluss an die Sitzung sprach Macron von einer „inakzeptablen Instrumentalisierung des Tods eines Jugendlichen“ durch die Randalierer. „Nichts kann die Gewalt (bei den Krawallen) rechtfertigen“, sagte er.

Die Welle der Gewalt in Frankreich wird für Macron auch zu einem diplomatischen Problem. Am Sonntag wird er zum Staatsbesuch in Deutschland erwartet, sein Image wird von der Ban­lieue-Krise beeinträchtigt. Die UNO hat Frankreich derweil „wegen eines tief sitzenden Rassismusproblems in der Polizei“ ermahnt.

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