Landwirtschaft in Indien: Bihars kleine Ökorevolution

In einem der ärmsten Bundesstaaten Indiens steigen Landwirte auf ökologische Anbauweisen um. Mit Erfolg: Die Kosten sinken, die Erträge steigen.

Häufig weniger ertragreich: konventionelles Reisfeld in Bihar Bild: imago/Indiapicture

DARVESHPURA taz | Nithish Kumar* ist einer der Wundertäter von Darveshpura. Vor zwei Jahren hat der Mittdreißiger aus dem Dorf in Bihar, einem der ärmsten Bundesstaaten Indiens, den weltweiten Rekord für Kartoffelanbau geknackt. Den hielten bis dahin niederländische Bauern mit 44,7 Tonnen pro Hektar. Das übertraf Nithish im Frühjahr 2012 fast um das Zweifache: er holte 72,9 Tonnen pro Hektar vom Feld.

Seitdem bekommt der Bauer immer wieder Besuch von Wissenschaftlern, Politikern, Bürokraten, Aktivisten und Journalisten, die wissen wollen, was das Geheimnis des „Wunderdorfes“ ist. Dabei ist an Darveshpura nicht viel Besonderes: Es liegt im Süden von Bihar, ist mit anderen Dörfern durch Staubpisten verbunden, es gibt keine Wasseranschlüsse und nur wenige Einwohner haben Strom. Viele bearbeiten ihre kleinen Felder noch immer mit Ochsen, trocknen den Dung an Hauswänden und machen so Feuer in ihren Küchen. Trotzdem ist der Ort weltbekannt geworden, weil die Bauern dort über mehrere Jahre hinweg mehr aus ihren Feldern holten als Landwirte in den entwickeltsten Ländern der Welt.

Nithish Kumars Kartoffelernte war nicht der erste Rekord im Dorf. Wenige Monate vorher hatte sein Nachbar Sumant Kumar den für Reisanbau geknackt, ein Bauer aus dem Nachbardorf den indischen Rekord für Weizen. 2013 übertraf ein Kollege von dort sogar Nithishs Superernte und holte 109 Tonnen Kartoffeln pro Hektar aus der Erde.

Viele glauben inzwischen, dass das Rätsel von Darveshpura eine einfache Auflösung hat: Die Rekordbauern haben auf ökologische Anbaumethoden umgestellt. 2008 besuchte Nithish Kumar einen Kurs zu diesem Thema. Er lernte das „System der Reisintensivierung“, SRI, eine Anbauart, die 1983 von einem Jesuitenpriester auf Madagaskar entwickelt wurde und auch für Weizen, Kartoffeln und Zwiebeln angewendet wird. Dabei werden junge Setzlinge nicht in Gruppen ins Feld gesetzt, sondern einzeln. Dieses Vorgehen soll die Konkurrenz zwischen Pflanzen verringern und sie ertragreicher machen. Dabei wird wenig Wasser verwendet – und keine Chemie.

Mehr Arbeit, ergiebigere Pflanzen

„Ich habe das damals zuerst auf einem kleinen Teil meines Landes ausprobiert“, sagt Nithish. Mit etwas mehr als einem halben Hektar ist er einer der ärmeren Bauern in Darveshpura. Mit seiner siebenköpfigen Familie lebt er in einer kleinen Zweiraumhütte am Rande des Dorfs. Der intensive Anbau bedeutete erst mal mehr Arbeit – aber Nithish merkte bald, dass er weniger Samen brauchte und dafür größere und ergiebigere Pflanzen bekam. „Danach habe ich den ganzen Anbau umgestellt“, erzählt er. Neben Reis wachsen auf seinen Feldern Weizen, Mais, Kartoffeln und Melonen. Auch sie baut er auf ähnliche Weisen an.

Nithish Kumar Bild: taz

Ob SRI wirklich höhere Erträge bewirkt, ist umstritten. Kritiker sagen, die Methode sei noch nicht ausreichend wissenschaftlich getestet worden – während Befürworter davon ausgehen, dass mit ihr grundsätzlich sehr hohe Erträge erwirtschaftet werden können. „Bisher beobachten wir, dass die Ergebnisse ökologischer Methoden weniger ertragreich sind als die konventionellen“, sagt Urs Niggli vom Schweizer Forschungsinstitut für biologischen Landbau. „Es ist aber durchaus möglich, dass das bei SRI anders ist.“ Die Bauern in Darveshpura machen auch einen anderen Grund für ihre guten Ernten aus: In den Rekordjahren hatte es günstige Regenfälle gegeben – auch ohne SRI und ähnliche Anbauweisen hätten sie vermutlich gute Ernten gehabt.

Und doch haben die Bauern von Darveshpur ganz klar wirtschaftliche Gründe, beim ökologischen Anbau zu bleiben: denn so brauchen sie für ihre Felder nur einen Bruchteil des Saatgutes wie früher, die Kosten für Dünger- und Pflanzenschutzmittel haben sich fast halbiert und die Erträge von vier auf acht Tonnen pro Hektar verdoppelt. Niggli glaubt, dass das Wachstum in Bihar so hoch ist, weil es von einem niedrigen Niveau ausging: „Wer von schlechten konventionellen Methoden auf ein konsequentes ökologisches System umstellt, kann durchaus solche Ergebnisse erhalten.“

Selbst im „Wunderdorf“ haben allerdings nur ein gutes Dutzend der 150 Landwirte umgestellt. Und das, obwohl die Mitte-links-Regierung von Bihar dafür Subventionen vergibt. Seit 2007 verteilt sie Kompost an Landwirte, die auf SRI oder den entsprechenden Anbau bei Weizen umstellen und finanziert mehrere „Modelldörfer“ im Bundesstaat. Aber viele scheuen die Mehrarbeit, die die Methode mit sich bringt – andere können sich den Umstieg nicht leisten, da sie durch den Kauf von Hybridsamen von Großkonzernen verschuldet sind. Und meist dauert es mehrere Jahre, bis der Boden auch ohne chemische Zusätze wieder dieselben Erträge bringt.

Rakesh Kumar vor seinem Zwiebelfeld Bild: Lalon Sander

Hoffen auf neue Absatzmärkte

Trotzdem ist das, was in Bihar passiert, eine kleine Revolution: Neben Einsparungen und höheren Erträgen hoffen viele Bauern inzwischen auch auf bessere Absatzmärkte und lassen sich ihre Höfe teuer zertifizieren. So können ihre Ernten auch ins Ausland exportiert werden – oder zumindest in Indiens Großstädte, wo die Mittelschicht inzwischen auch gerne „bio“ einkauft.

Wenige Kilometer von Nithish Kumars Dorf entfernt begutachtet Rakesh Kumar seine Zwiebeln. In einem kleinen Unterstand direkt neben den Feldern füllen Arbeiter sie in große Jutesäcke, vor dem Gebäude steht der Lkw, der die Fracht in den Norden fahren soll, nach Nepal. „Früher hätten sie hier kaum stehen können vor Pestizidgestank“, sagt Rakesh. Seit dem Umstieg auf ökologischen Anbau vor sieben Jahren stinkt nichts mehr.

„Wir haben 2007 gemerkt, dass die Erträge auf unseren Feldern immer weiter zurückgingen“, erzählt Rakesh. Mit ihm habe sein ganzes Dorf angefangen Kartoffeln, Blumenkohl und Zwiebeln nach der SRI-Methode anzubauen – und die Felder hätten sich wieder erholt. In dem Jahr, in dem Nithish Kumar seine Superernte einfuhr, knackte Rakesh den Rekord für Zwiebelanbau. Im nächsten Jahr war er es, der Nithishs Kartoffelernte übertraf. Das Gemüse erzielte wegen seiner höheren Qualität auf den Dorfmärkten doppelte Preise und wird inzwischen auch in Großstädte wie Kolkata und Mumbai gefahren.

In Zukunft wird noch weniger von der Ernte vor Ort bleiben. „Wir haben uns 2009 zu einer Genossenschaft zusammengeschlossen“, berichtet Rakesh. „So können wir bessere Preise verhandeln.“ Kompost und Biodünger werden gemeinsam eingekauft, auch die Kosten für natürliche Pestizide aus Niemöl werden in der Genossenschaft geteilt – genauso wie die teuren Zertifizierungskosten einer europäischen Firma. Schließlich hoffen die Bauern von Darveshpur auf lukrative Exportmärkte.

* Kumar ist ein häufiger Familienname in Bihar; die drei Männer sind nicht verwandt

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