Liebesbrief an das Tischtennis: Die Pingpong-Nation

Im Tischtennis ist Deutschland schon lange Weltspitze. Die breite Mehrheit denkt bei dem Sport aber eher an Steinplatten und Bier. Eine Liebeserklärung.

Eine Person jongliert einen Tischtennisball auf einem Schläger

Ping, Pong Foto: A.da Cunha/plainpicture

Deutschland ist, auch wenn das so wenige öffentlich sagen würden, eine Tischtennisnation. Seit Jahren gehören deutsche Profis zur Weltspitze, oft können sie nur die übermächtigen Chi­ne­s:in­nen stoppen. Bei Europameisterschaften dominierten dann schon oft genug die Roßkopfs, Bolls und Ovtcharovs.

Allein der legendäre Timo Boll hat schon acht (!) EM-Titel geholt. Dass auch die neue Generation nahtlos an solche Erfolge anknüpfen kann, haben soeben Dang Qiu (Männer-Gold) und Nina Mittelham (Frauen-Silber) bei der EM in München bewiesen. Bei den Damen standen gleich drei Deutsche im Halbfinale. Bei den Herren waren drei unter den besten acht. So sieht Dominanz aus.

Das alles kommt freilich nicht von ungefähr: Den Deutschen Tischtennis-Bund (DTTB) gibt es bald schon hundert Jahre. Am Rande der ersten Weltmeisterschaft im Jahr 1926 ist Deutschland eines von sechs Gründungsmitgliedern des internationalen Dachverbandes ITTF. Bei so viel Tradition kann kaum verwundern, dass es heute 10.000 Vereine mit mehr als einer halben Million Aktiven gibt. Erstaunlicher ist, dass Tischtennis im öffentlichen Leben so sichtbar ist wie kaum eine andere Sportart, von Fußball mal abgesehen.

Kaum ein Pausenhof, kaum ein Spielplatz kommt ohne die mausgrauen Betonplatten aus, die man meist erst hört und dann sieht. Pleng, pleng. Unverwechselbar ist der Ton, der entsteht, wenn ein Schmetterball von dem harten grobmaschigem Metallnetz zurückprallt. In den Großstädten stehen die Platten überall: unter Platanen, neben Backsteinbauten, in Parks. In Berlin weisen die Bezirksämter sogar die Standorte einzelner Platten aus. Selten findet man sie unbesetzt. Oft treffen sich dort ganze Freundeskreise. Auf ’ne Partie und ’n Bierchen scheint für viele gut in den Alltag zu passen. Tischtennis als Trendsport. Zumindest im Sommer.

Epische Matches

Doch der erste Blick trügt. Denn Tischtennis ist keinesfalls ein Breitensport. Breiten-Freizeitbeschäftigung wäre treffender. Denn das, was viele an den Platten treiben, hat mit dem Sport wenig zu tun. Dieses Schicksal teilen natürlich auch andere Sportarten – man denke nur an Badminton, pardon Federball – doch Badminton wird wenigstens als Sport ernst genommen. Tischtennis hingegen wird gerne belächelt. Als Tennis für Unfitte. Wer nur fies genug den Ball schneiden kann, gewinnt. Nicht die Person mit der feineren Schlagtechnik oder der besseren Physis.

Zu diesem Image trägt ausgerechnet einer der wenigen Profis bei, die der breiteren Öffentlichkeit bekannt sind: Timo Boll. Denn auch mit seinen 41 Jahren galt Boll bei den Europameisterschaften in München als heißer Titelanwärter. Europas Bester mit 41? Nach seinem Ausscheiden im Viertelfinale – gegen seinen Düsseldorfer Vereinskameraden Qiu, der später Gold holte – sprach Boll munter vom weitermachen. In Paris will er seine siebten Olympischen Spiele bestreiten. Mit dann 43 Jahren. Man stelle sich vor, DFB-Kapitänin Alexandra Popp – Heldin der Fußball-EM in Großbritannien – würde Ähnliches über ihre Karriere Anfang vierzig prophezeien. Kein Wunder, dass Tischtennis bis heute nicht mit Athletik und hartem Training assoziiert wird, sondern mit Sommer und Feierabendlaune.

Dabei lohnt es sich, den Profis zuzusehen – und sein Bild vom Sport zu korrigieren. Wie Qiu den Endspiel-Favoriten Darko Jorgić mit seinen knallharten Topspins schachmatt setzte, ist technisch, athletisch, mental vom Feinsten. Vor Kurzem sorgte Patrick Franziska für ein Tischtenniswunder, als er im Spiel seines Lebens den schier unbezwingbaren Chinesen Ma Long schlug. Doch von solchen epischen Matches und seinen Hel­d:in­nen bekommen die wenigsten etwas mit. Dabei wurden 2001 extra größere Bälle eingeführt, um das Spiel langsamer – und dadurch attraktiver für den Fernsehzuschauer zu machen.

Vielleicht führt ja die emotionale – weil verletzungsbedingte – Niederlage der Silbermedaillengewinnerin Nina Mittelham dazu, die Alltags- endlich auch für die Spit­zen­sport­le­r:in­nen zu interessieren. Wie es in den meisten anderen Sportarten normal ist. Und wenn nicht, auch nicht tragisch. Dann bleiben deutsche Tischtenniserfolge halt ungerühmt – und Deutschland eine Pingpong-Nation.

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