Linke-Parteichef Riexinger: „Wir sagen, was mit uns geht“

Nach den Turbulenzen unter Lafontaine und Gysi ist es ruhiger um die Linkspartei geworden. Jetzt beschäftige man sich mit realen Problemen, sagt Parteichef Riexinger.

Findet, dass er keine großen Fehler gemacht hat: Linksparteichef Bernd Riexinger. Bild: dapd

taz: Herr Riexinger, Sie sind jetzt seit 120 Tagen Chef der Linkspartei. Was ist Ihnen gelungen?

Bernd Riexinger: Wir streiten uns in der Partei wenig und haben im Sommer unsere Themen – Eurokrise, Mindestlohn, Ostrente – nach vorn gebracht.

Und was ist misslungen?

Da fällt mir nicht so viel ein. Die Umfragen gehen wieder nach oben. Nach dem Göttinger Parteitag lagen wir zwischen 4 und 6 Prozent, jetzt liegen wir zwischen 6 und 8.

Sie haben also keinen Fehler gemacht?

Niemand macht keine Fehler, aber große waren nicht dabei.

60, führt seit dem Göttinger Parteitag im Jahr 2012 gemeinsam mit Katja Kipping die Linkspartei. Zuvor war er Geschäftsführer der Gewerkschaft Ver.di in Stuttgart, wo er zum linken Flügel gezählt wurde, und saß im Landesvorstand der Linkspartei in Baden-Württemberg. Er unterstützte soziale Bewegungen wie Attac ebenso wie Proteste gegen die Agenda 2010 der Schröder-Regierung.

„Streit in der Linkspartei“ ist aus den Schlagzeilen verschwunden. Ist der Preis für den innerparteilichen Frieden Unauffälligkeit?

Nein. Wir werden als Oppositionspartei wahrgenommen. SPD und Grüne haben ja für Merkels Politik in der Eurokrise gestimmt, nur wir haben eine Alternative aufgezeigt. Das ist für eine kleine Partei wie unsere nicht schlecht. Auch dass andere Parteien jetzt die Altersarmut, die die Linkspartei schon lange als Thema hat, entdecken, zeigt, dass wir wirksam sind.

Sind Sie beleidigt, wenn man Sie farblos nennt?

Das sagt niemand, der mich kennt. Als ich nach Ostdeutschland gefahren bin, um der Basis zuzuhören, stand in einigen Zeitungen, dass mir das Charisma von Oskar Lafontaine fehlt. Wie soll ich denn große Reden halten, wenn ich dort bin, um zuzuhören? Da werden Klischees bedient.

Im Westen hat es Wahlniederlagen gehagelt, in Nordrhein-Westfalen und Schleswig Holstein ist die Linkspartei aus dem Parlament geflogen. Was nun?

Wir müssen klarmachen, dass wir die sozialen Interessen der Arbeitnehmer, Rentner und Arbeitslosen vertreten …

Damit ist die Linkspartei in NRW auf 2, 5 Prozent gekommen …

In Nordrhein-Westfalen hatten wir das Pech, dass wir uns dort während des Wahlkampfs innerlich zerlegt haben. Das geht nicht gut, jedenfalls bei uns nicht. Bei den Piraten oder den Grünen werden solche internen Streitereien vielleicht als interessanter Diskurs empfunden. Sozial Schwächere und Gewerkschafter sind da anders. Die fragen: Wie wollen die denn unsere Interessen vertreten, wenn sie sich selbst nicht einig sind?

Auch im Osten haben die GenossenInnen sehr unter den Zerwürfnissen gelitten. Das habe ich auf meiner Sommerreise dort oft gemerkt. Unser zweites Problem ist, gerade im Westen, dass die SPD in der Opposition verbal nach links geht und sich sozialen Fragen zuwendet. Mit dieser SPD müssen wir anders umgehen als mit der SPD, die gerade die Rente mit 67 und Hartz IV verabschiedet hat.

Und wie sieht Ihre neue Strategie gegenüber der SPD aus?

Ich weiß nicht, ob das eine neue Strategie ist. Wir sagen einfach, was mit uns geht und was wir an konkreten Projekten durchsetzen wollen. Wir wären also bei einer Regierung dabei, wenn es um eine armutsfeste Rente geht, um Mindestlöhne, von denen man leben kann, um eine sanktionsfreie Grundsicherung statt Hartz IV, um Friedenspolitik und eine faire Verteilung von Reichtum. Die Wähler verstehen somit, wofür wir stehen. Und sie sehen auch, wie ernst es die SPD meint.

Die SPD sagt, sie will auch Bankenregulierung. Mindestlöhne und Vermögensteuer, aber nicht mit den Linken. Da fragt sich: mit wem dann? Also in einer großen Koalition oder, wie Steinmeier es sagt, lieber mit der FDP als mit den Linken? Da müssen sie ihren Wählern erklären, wie sie mit dieser FDP höhere Steuern für Reiche durchsetzen. Wir stehen für einen Politikwechsel zur Verfügung. Die anderen müssen zeigen, ob sie ihre eigenen Forderungen ernst meinen.

Ist das Agitprop? Wenn sie Rot-Grün nur Ihr Parteiprogramm vorlesen, ist das ja kein seriöses Angebot zur Zusammenarbeit. Oder wollen Sie Rot-Grün ein ernsthaftes Angebot machen, mit Mindestforderungen für eine Unterstützung?

Wir machen ein seriöses Angebot. Wir fordern nichts Exotisches. Die Angleichung der Renten in West und Ost steht doch selbst im schwarz-gelben Koalitionsvertrag. Dass man Renten und Löhne braucht, von denen man leben kann, ist eine Selbstverständlichkeit. Ich hoffe, dass die SPD in wichtigen Punkten eine Klärung herbeiführt. Bei der Frage, ob sie die rot-grünen Rentenkürzungen zurücknehmen will, ist sie tief gespalten. Aber ich finde es toll, dass es in der SPD nun eine Rebellion gegen die Rentenkürzer-Troika gibt.

Stellen Sie sich vor, es gäbe in der SPD einen Mitgliederentscheid darüber, ob sie das Rentenniveau bei über 50 Prozent sichern will. Ich bin mir sicher, dass die Basis auf der Seite der Rentenrebellen steht. Vielleicht wäre das gar nicht schlecht. Dann gäbe es auch Klarheit für den Politikwechsel. Denn armutsfeste Renten sind für uns ein Knackpunkt.

Das klingt anders als bei Ihren Vorgängern Klaus Ernst und Oskar Lafontaine, bei denen es in Richtung SPD nur Abteilung Attacke gab.

Wenn Sie das so sehen.

Wie sehen Sie das?

Wir, Katja Kipping und ich, sagen nichts über unsere Vorgänger, schon gar nichts Negatives. Aber jede Zeit braucht ihre Tonlage.

Herr Riexinger, im Westen ist das Bild der Linkspartei trübe. Zu den Wahlniederlagen kommt, dass 20 Prozent der GenossenInnen dort keine Beiträge zahlen, der Einfluss der Linkspartei in den Gewerkschaften sinkt. Was tun?

Wir haben unter Gewerkschaftern an Vertrauen verloren. Das ist kein Wunder, weil sich die SPD wieder auf die Gewerkschaften zubewegt hat. Aber eine aktuelle Analyse zeigt, dass sich wieder mehr Menschen vorstellen können, uns zu wählen. Vor allem unter Gewerkschaftern ist die Zahl der potenziellen Wähler gestiegen. Darin spiegelt sich, dass wir uns wieder mit den realen Problemen beschäftigen, mit prekärer Beschäftigung und guter Arbeit befassen. Das merken die Leute.

Aber die Mitgliederbasis im Westen schwindet …

Wir sind im Westen noch immer eine neue Partei. Da kommen und gehen Leute, das ist normal. Um die, die keine Beiträge mehr zahlen, müssen wir uns kümmern. Wir haben uns bewusst dagegen entschieden, die Leute einfach zu streichen. Manche zahlen einfach nicht mehr, weil sie ärgerlich auf die eigene Partei sind aber auch nicht austreten wollen. Auf die müssen wir zugehen.

Also gibt es gar keine Krise der Linkspartei im Westen?

Wir haben dort sehr schnell Wahlerfolge erzielt, ohne dass die Partei sich genauso schnell entwickelt hat. Da gibt es eine Schere. Wie verlieren noch Mitglieder, aber deutlich weniger. Bei den Grünen hat es auch zehn, zwölf Jahre gedauert, ehe sich dort ein stabiler Unterbau entwickelt hat.

Das ist ja ein Bild schönster Harmonie. Gregor Gysi hat beim Parteitag in Göttingen noch von „Hass in der Fraktion“ geredet. Wo ist er geblieben? Verdampft?

Ich war seit Göttingen regelmäßig in der Fraktion. Ich habe da keinen Hass gesehen. Gysi hat selbst festgestellt, dass das Klima auch in der Fraktion besser geworden ist.

Die Ost-Chefs haben sich neulich in einem Brandbrief für mehr Fokussierung auf den Osten eingesetzt. Im engeren Parteivorstand gebe es beispielsweise niemand mehr mit DDR-Biografie. Verstehen Sie das als Schwabe?

Das ist nicht die Schlüsselfrage. Im Parteivorstand müssen alle Traditionslinien vertreten sein, und das ist der Fall. Die Interessen der ostdeutschen Landesverbände werden dort sehr ernst genommen.

Also kein Ost-West Konflikt mehr?

Die Linke ist eine linkspluralistische Partei. Wir dürfen die kommunale Kompetenz im Osten nicht gegen die außerparlamentarische Bewegungen stellen. Das ist ein Scheinkonflikt. Wir brauchen beides.

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