Londons neue Koalition: Sonnenschein, Tendenz leicht bewölkt

Die neue Koalition aus Konservativen und Liberaldemokraten unter Führung von Cameron nimmt Arbeit auf. Die Einigkeit in der Innenpolitik überdeckt außenpolitische Differenzen.

Wechselnde Profilschärfe: die neue Doppelspitze in 10 Downing Street mit David Cameron (rechts) und Nick Clegg (links). Bild: reuters

Sein erstes Telefonat nach seiner Amtsübernahme führte David Cameron am Dienstagabend mit Barack Obama, und noch bevor seine neue Koalition am gestrigen Donnerstag zu ihrer ersten Kabinettssitzung zusammenkam, traf sich am Mittwoch der neu gegründete Nationale Sicherheitsrat. Außen- und Verteidigungspolitik spielten im britischen Wahlkampf sowie in den Koalitionsverhandlungen zwischen Konservativen und Liberaldemokraten keine Rolle, denn die Differenzen zwischen den beiden sind in diesen Politikfeldern besonders groß. Afghanistan, das hat Cameron bereits versprochen, steht auf der politischen Prioritätenliste ganz oben. Doch öffentlich betont der neue konservative Premierminister lieber seine Einigkeit mit seinem neuen liberalen Vizepremier Nick Clegg in der Wirtschafts- und Innenpolitik.

Die Liberaldemokraten sind für einen baldigen Abzug aus Afghanistan, die Konservativen sind dagegen. Die Liberaldemokraten sind für eine stärkere europäische Integration, die Konservativen dagegen. Die Liberaldemokraten wollen das alternde britische Atomwaffenarsenal aus U-Boot-gestützten Trident-Raketen nicht erneuern, die Konservativen wohl. Die Liberaldemokraten wollen Einwanderung nach Großbritannien erleichtern, die Konservativen nicht.

All diese Streitpunkte bleiben im Koalitionsabkommen entweder unerwähnt oder werden zugunsten der Konservativen entschieden. Eine starke Landesverteidigung, eine Ablehnung weiterer Kompetenzen für die EU und schärfere Einwanderungskontrollen hatte Cameron gleich zu Beginn seiner Koalitionsgespräche für nicht verhandelbar erklärt, und damit hat er sich durchgesetzt. Die Liberaldemokraten wiederum nannten als ihre Grundbedingungen eine Wahlrechtsreform sowie eine möglichst starke Präsenz ihrer Partei im Kabinett, und das haben sie erreicht. Der zügige Erfolg der konservativ-liberalen Gespräche ist auch darauf zurückzuführen, dass jede Partei der anderen die jeweiligen Kernthemen überlasst.

So erhält Vizepremier Nick Clegg eine besondere Zuständigkeit für Verfassungsreform, während die beiden profiliertesten Vertreter des rechten Flügels der Konservativen, William Hague und Liam Fox, die Außen- und Verteidigungsministerien bekommen. Gemeinsam mit Innenministerin Theresa May werden sie den britischen Sicherheitsapparat fest in konservativer Hand halten, zur Erleichterung des Establishments. Clegg hingegen wird sich bei Verfassungsfragen mit dem alten und populären konservativen Schwergewicht Kenneth Clarke herumschlagen müssen, der das zuständige Justizministerium bekommt. Das ist der Preis dafür, der kleine Partner zu sein.

Kräftige linke Tupfer erhalten hingegen Wirtschaft und Umwelt: Die beiden Ministerien gehen an die nach Clegg profiliertesten Liberaldemokraten, Vincent Cable und Chris Huhne. Die "grüne Erneuerung" Großbritanniens, der sich auch Cameron verpflichtet hat, wird gestärkt. Ungeliebte Projekte der scheidenden Labour-Regierung wie eine dritte Startbahn für den Londoner Flughafen Heathrow oder eine Zentralisierung der Flächennutzungsplanung sind damit tot. Auch bei der Stärkung des Datenschutzes und der Bürgerrechte werden Liberaldemokraten und Konservative freiheitlicher sein, als es Labour war.

Fantasiereichtum wird in der Wirtschaftspolitik gefragt sein. Die Liberaldemokraten setzten sich mit Steuererleichterungen für Geringverdiener durch, die Konservativen mit massiven Einsparungen im Staatshaushalt bereits dieses Jahr. Das ergibt zusammen zwar einen kleineren Haushalt, aber noch keinen ausgeglichenen. Finanzminister George Osborne, Camerons engster Vertrauter, dürfte also bald als unbeliebter Sparkommissar dastehen.

Die neue britische Regierung war entstanden, nachdem Gordon Brown am Dienstagabend seinen Rücktritt als Premierminister sowie als Labour-Parteichef eingereicht hatte. David Cameron wurde noch am selben Abend von der Queen mit der Regierungsbildung beauftragt. Die konservativ-liberale Regierung hat mit 363 von 650 Sitzen eine solide Mehrheit im Unterhaus.

Am 25. Mai soll die Queen im Parlament Camerons erste Regierungserklärung verlesen. Cameron plant einen Nachtragshaushalt innerhalb von 50 Tagen sowie ein "Großes Abschaffungsgesetz" zur Streichung zahlreicher Maßnahmen der Regierung Brown. Aber auch bei diesem Kalender schiebt sich der Rest der Welt nach vorn. Denn schon vorher muss sich London zu den EU-Plänen zur Harmonisierung der Wirtschaftspolitik verhalten. Nicht einmal die Liberaldemokraten dürften dies befürworten.

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