Mai-Protest im Hamburger Villenviertel: Anarchie und Umverteilung

Mehrere tausend Menschen demonstrieren in Hamburg am 1. Mai. Die Polizei stört sich an Mund-Nasen-Masken der falschen Farbe.

Teilnehmer einer Demonstration zum 1. Mai unter dem Motto „Klassensturz statt Kassensturz“ ziehen mit einem Banner mit der Aufschrift „Reichensteuer Jetzt!“ durch die Straßen im Stadtteil Harvestehude

Das Bündnis für Umverteilung „Wer hat der gibt“ demonstriert in feinster Hamburger Alster-Lage Foto: Christian Charisius/dpa

HAMBURG taz | Inflation und Krieg, Energie und Gesundheit – wie soll die Gesellschaft auf die aktuellen Krisen reagieren? Darauf hat auch Hamburgs linke Szene unterschiedliche Antworten. Am 1. Mai demonstrierten, wie auch in vergangenen Jahren, mehrere tausend Menschen mit unterschiedlichen inhaltlichen Schwerpunkten über die Stadt verteilt.

„Wer in Krisen reicher wird, klaut, was anderen gehört!“, schallt es am Mittag aus der Demo des Umverteilungsbündnisses „Wer hat, der gibt“ im Hamburger Nobelviertel Pöseldorf. Knapp 3.000 Teil­neh­me­r*in­nen haben sich am Eppendorfer Baum getroffen und ziehen vorbei an Luxusläden und Alstervillen. Das Bündnis „Wer hat, der gibt“ hat sich 2020 als linke Antwort auf die Corona­krise gegründet und mobilisiert seitdem immer wieder in die Stadtteile, in denen von Krise und Inflation sonst wenig zu spüren ist.

Die Ak­ti­vis­t*in­nen fordern eine höhere Besteuerung von Reichtum und Erbschaften, ferner den sozial-ökologischen Umbau des Wirtschaftssystems. Unter dem Motto „Klassensturz statt Kassensturz“ reihen sich auch Klima- und Men­schen­rechts­ak­ti­vis­t*in­nen der Seebrücke und von Ende Gelände ein, die Volksinitative Hamburg Enteignet, die Interventionistische Linke, die Linkspartei, ein Queer- und ein revolutionärer Jugendblock sowie die Hedonistische Internationale.

Im Schanzenviertel ist schon lange nichts mehr los

Es ist die spektrenübergreifende unter den Hamburger Mai-Demos: Neben feministischen Umzügen jeweils am Vorabend waren die An­ti­im­pe­ria­lis­t*in­nen vom „Roten Aufbau“ jahrelang die einzigen, die in Hamburg eine linksradikale Maidemo organisierten – obwohl sie selbst in der Szene nicht sonderlich beliebt sind. 2019 kamen die An­ar­chis­t*in­nen dazu. Zu Ausschreitungen, wie in früheren Jahren im Schanzenviertel, kam es seit dem G20-Gipfel am Tag der Ar­bei­te­r*in­nen nicht mehr.

Im Vorfeld der diesjährigen Maidemos hatte die Polizeisprecherin Sandra Levgrün angekündigt, die Polizei werde den ganzen Tag über mit einem Großaufgebot im Einsatz sein. Zwei Wasserwerfer und ein Räumpanzer stehen in Pöseldorf und blasen stinkende Abgase in die Luft, ein Hubschrauber filmt von oben das Geschehen. Etwa die halbe Strecke können die Protestierenden laufen, dann stoppt die Polizei den Zug, kesselt den Revolutionären Jugendblock ein: Einige der 450 hier Mitlaufenden tragen Sonnenbrillen und Schlauchtücher. Vermummung gilt in Hamburg im Gegensatz zu vielen anderen Bundesländern als Straftat, weshalb die Polizei die Demo nicht weiter laufen lassen will.

„Sie können ja Ihre Arbeit machen“, sagt der Anwohner zum Einsatzleiter. „Sie sollen nur wissen, dass Sie das Bürgertum auf diese Weise verlieren“

Nach einer halben Stunde Verhandlungen nehmen die De­mons­tran­t*in­nen ihre Schlauchtücher ab und setzen Corona-Schutzmasken auf. Der Einsatzleiter der Polizei ist zufrieden – nicht jedoch sein Chef, der Leiter der Schutzpolizei Matthias Tresp: „Da keine Maskenpflicht aus Infektionsschutzgründen mehr besteht, werten wir das Tragen von Corona-Schutzmasken als Vermummung“, lässt Tresp mitteilen. Auch, dass die Masken schwarz seien und nicht weiß, mache den Charakter der Vermummung aus. Auf das Argument der Demo-Anwält*innen, die Teil­neh­me­r*in­nen wollten sich vielleicht gegen die Pandemie schützen, schlägt der Einsatzleiter vor, die Abstände zwischen den Protestierenden zu vergrößern – was durch den Polizeikessel schlecht möglich ist.

Ein Anwohner im grauen Pullover regt sich auf: „Ich finde es enttäuschend, wie die Polizei es immer wieder schafft, Situationen zu eskalieren“, sagt er. „Wer sind Sie denn, dass Sie hier die Polizeiarbeit bewerten?“, blafft ihn der Einsatzleiter an. „Sie können ja Ihre Arbeit machen“, sagt der Anwohner, „Sie sollen nur wissen, dass Sie das Bürgertum auf diese Weise verlieren.“ Er finde die Aktion der Polizei „selten dämlich“.

Am Abend: Zwei Demos mit Konfliktpotenzial

Nach einer Stunde hat sich der Jugendblock aufgelöst und in der Menge verteilt, einige Teil­neh­mer*in­nen tragen jetzt weiße Schutzmasken. Die Demo kann weiter gehen und kommt gegen 16 Uhr am Endpunkt am Dammtor an. Einige De­mons­tran­t*in­nen ziehen weiter: Am Hauptbahnhof macht sich der antiimperialistische Rote Aufbau bereit, im Norden Hamburgs hat der anarchistische „Schwarz-rote 1.Mai“ mobilisiert.

Beide Demos bergen Konfliktpotenzial: Im vergangenen Jahr hatte eine Einheit der Beweissicherungs- und Festnahme-Einheit der Polizei auf die anarchistische Demo eingeprügelt, als die sich unter einer Brücke befand. „Wir rechnen dieses Jahr mit einem ähnlichen Auftreten der Cops“, hat ein Sprecher des „Schwarz-roten 1. Mai“ vorab der taz gesagt. „Es reicht offenbar, das Maul gegen die Verhältnisse aufzumachen, um provokationslos verprügelt zu werden.“ Man werde sich weder einschüchtern noch auseinander prügeln lassen.

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