MedizinerInnen in Afrika: Den Braindrain stoppen

Viele gut ausgebildete Experten verlassen ihre Heimat und gehen in die Industriestaaten, wo sie bessere Arbeitsbedingungen finden.

Ein Kind in einer Krankenstation

Krankenstation in Kenia Foto: reuters

„Die Bewältigung von weltweiten Gesundheitskrisen erfordert eine enge Zusammenarbeit.“ Besorgt begrüßte der Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) am Sonntagabend im Auswärtigen Amt in Berlin 1.200 Vertreter aus Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft aus 80 Ländern zum 8. World Health Summit. Bis Mittwoch diskutierten sie Fragen der globalen Gesundheitsversorgung, auch in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara.

Der Fachkräftemangel in den dortigen Gesundheitssystemen, sowohl in der Patientenversorgung als auch in der Forschung, treibt die Experten um. Der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zufolge fehlen derzeit weltweit mehr als 7,2 Millionen Fachkräfte im Gesundheitsbereich, in den nächsten zehn Jahren wird mit einem Anstieg auf 12,9 Millionen gerechnet. 57 Länder mit niedrigem Bruttoinlandsprodukt, darunter 36 in Afrika südlich der Sahara, heißt es aus dem Entwicklungshilfeministerium, leiden besonders darunter; Wanderungsbewegungen von Süd nach Nord verschärfen die Situation.

Die bei der WHO angesiedelte „Hochrangige Kommission zu Beschäftigung im Gesundheitssektor und Wirtschaftswachstum“ appelliert deswegen an die Industriestaaten, alles dafür zu tun, damit medizinwissenschaftliches Know-how nicht länger aus den armen Ländern abgeworben wird. Denn der Braindrain unter Akademikern, insbesondere in der Medizin und in den Ingenieurwissenschaften, gefährdet laut OECD inzwischen vielerorts nicht nur die Gesundheitsversorgung, sondern auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die wirtschaftliche Stabilität. In manchen afrikanischen Ländern verlässt laut OECD inzwischen mehr als die Hälfte aller Absolventen eines Uni-Jahrgangs ihre Heimat, um außerhalb des Kontinents Fuß zu fassen.

Doch es gibt Beispiele, die den „pessimismus africanus“ widerlegen. Mit einem Reisestipendium der Robert-Bosch-Stiftung konnte die taz im senegalesischen Dakar drei international erfolgreiche afrikanische Wissenschaftler zu ihren Gründen befragen, weshalb sie in ihre Heimat zurückgekehrt sind. Ihre Aussagen haben wir protokolliert.

„Ich bereue nichts“
Evelyn Gitau

Evelyn Gitau Foto: Heike Haarhoff

Evelyn Gitau, 40 Jahre, Pharmakologin, Kenia: Manches wäre bequemer, wenn ich 2007 als Wissenschaftlerin in Großbritannien geblieben wäre. Ich verfügte jetzt – als promovierte Pharmakologin, mit 40 Jahren und meiner Erfahrung – über ein Gehalt, mit dem ich meine Familie problemlos ernähren könnte. Meine Kinder besuchten Schulen, über deren Qualität ich mir keine Sorgen machen müsste. Im akademischen Milieu würde ich als Frau nicht als Exotin betrachtet.

Aber vor allem wäre ich mit meiner Forschung sehr viel weiter, als ich es heute in Nairobi in meinem Homemade-Labor bin: Wir entwickeln Diagnostik-Tests für schwerkranke, mangelernährte Kleinkinder, die erlauben, eine Vielzahl von Erregern anhand einer einzigen Blutprobe zu erkennen. Bislang konnten viele dieser Kinder gar nicht untersucht werden, weil sie schlicht nicht genug Blut hatten. Man gab ihnen also irgendwelche Medikamente, meistens Antibiotika, in der Hoffnung, dass sie wirken würden, ohne zu wissen, was sie tatsächlich hatten. Das will ich ändern.

Ich hatte bereits in Liverpool Laborverfahren entwickelt, um anhand von Veränderungen in den Zellen ernste Krankheiten zu diagnostizieren. Diese Verfahren haben wir kenianischen Bedingungen angepasst: Das Narkosegas, die Beatmungsschläuche, die Brutschränke – alles haben wir selbst gebaut. Es ist ein permanenter Kampf. Mein Labor verarbeitet Big Data, uns fehlen Ingenieure, Datenspezialisten, Software-Entwickler.

Gucken Sie nicht so mitleidig, ich bereue nichts. Ich kann jetzt afrikanische Nachwuchswissenschaftler selbst ausbilden, ich bin für die junge Generation der sichtbare Beweis, dass man auch als Forscherin hier leben und arbeiten kann.

Zu meiner Zeit gab es solche Vorbilder nicht. Ich wurde Mitte der 1970er Jahre nahe Nairobi geboren als Tochter eines muslimischen Anwalts. Für Mädchen war damals bestenfalls ein Highschool-Abschluss vorgesehen, mein Vater aber hat mich erst ermutigt, nach Nairobi an die Uni zu gehen und später, da war ich 27 und hatte einen zweijährigen Sohn, mit einem Stipendium nach Großbritannien.

Viele afrikanische Regierungen haben verstanden, dass Wissenschaftler stabile Gehälter brauchen und auch stabile Positionen an den Universitäten. Andernfalls kommen sie nicht an internationale Stipendien und Fördermittel. Es ist innerhalb Afrikas für Wissenschaftler auch schwer, über Ländergrenzen hinweg zusammenzuarbeiten. Häufig scheitert es an Visa- oder Verwaltungsfragen. Es klingt absurd, aber es ist oft einfacher, eine Kooperationsvereinbarung mit den USA oder Großbritannien hinzukriegen als zwischen Kenia und Nigeria.

„Wenn wir nichts ändern …“
Alta Schutte

Alta Schutte Foto: Heike Haarhoff

Alta Schutte, 39 Jahre, Physiologin, Südafrika: Mein Mann und ich hatten unsere Stellen gekündigt, unsere Wohnung in Kapstadt aufgelöst. Ich kannte Australien schon aus meiner Studienzeit in Darwin, und jetzt, es war Anfang 2008 und ich hatte meinen PhD in Physiologie, hatte ich dort an der Uni tatsächlich eine der begehrten Research Positions bekommen!

Es war wie ein Lottogewinn, unsere Kinder waren noch sehr klein damals, sie würden in Australien groß werden, dachte ich – und merkte plötzlich, wie falsch sich das anfühlte. Meine Kinder, geboren in Südafrika, dem Land, aus dem wir kommen, das wir lieben – meine Kinder sollten ausgerechnet hier keine Zukunft haben können? Und ich, die ich mich stets mit spezifisch afrikanischen Gesundheitsproblemen beschäftigt hatte: Wie war ich bloß auf den Gedanken gekommen, ich könne diese Probleme besser auf einem anderen Kontinent lösen, weit weg von den Menschen, die meine Forschung brauchen?

Beinahe wäre auch ich diesem Denken erlegen, das so viele afrikanische Wissenschaftler prägt: Sie sind brillant, hoch qualifiziert, aber sie glauben nicht an sich. Anerkennung und Wertschätzung erfahren sie hierzulande erst, wenn sie eine gewisse Zeit erfolgreich im Ausland gewesen sind. Und Ausland heißt für uns Europa oder USA. Einige meiner Kollegen bezweifeln, dass überhaupt etwas Gutes aus Afrika kommen kann. Das ist fatal. Wenn wir nichts ändern, stoppen wir den Braindrain nie.

Im letzten Moment haben wir also die Australienpläne abgesagt. Wir hatten Glück. Mein Mann hat seine alte Stelle zurückbekommen, ich konnte meine Position an der North-West-University von Kapstadt sogar noch verbessern. Ich untersuche, welche Faktoren dazu führen, dass das Risiko, schon als junger Mensch Bluthochdruck und Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu entwickeln, für schwarze Kinder in Südafrika signifikant höher ist als für gleichaltrige weiße Kinder.

Die meisten Menschen verbinden mit Afrika Infektionskrankheiten, Aids und Malaria, aber tatsächlich ist Afrika der Kontinent des Bluthochdrucks. Laut WHO hat jeder zweite Afrikaner über 25 Bluthochdruck. Es gibt genetische Gründe, aber auch die Lebensumstände in den drei ersten Lebensjahren sind wichtig. Wegen des schlechten Gesundheitssystems werden die wenigsten Patienten diagnostiziert, geschweige denn behandelt. Wenn wir die Risikofaktoren besser kennen würden, können wir frühzeitiger intervenieren und den Ausbruch der Krankheit so möglicherweise verhindern. Das wäre das Beste für Afrika: Gesundheitsproblemen mit Prävention zu begegnen.

„Klar war es hart“
Mohlopheni Jackson Marakalala

Mohlopheni Jackson Marakalala Foto: Heike Haarhoff

Mohlopheni Jackson Marakalala, 37 Jahre, Biochemiker und Mikrobiologe, Südafrika: Als Tuberkulose-Forscher musste ich Südafrika nicht notwendigerweise verlassen. An der Universität Kapstadt sind wir privilegiert im Vergleich zu anderen afrikanischen Hochschulen. Man kann hier durchaus auf einem Niveau forschen, das mit dem europäischen vergleichbar ist. Ich habe trotzdem alles dafür gegeben, in Boston an der Harvard School of Public Health Dozent zu werden, weil ich mir ein internationales Netzwerk von Wissenschaftlern aufbauen wollte: Wir suchen nicht länger nach immer neuen Medikamenten, die ausschließlich die Tuberkulosebakterien ins Visier nehmen. Sondern wir konzentrieren uns auf das Immunsystem. Wir wollen verstehen, weshalb es Menschen gibt, die mit den Bakterien in der Lunge sehr gut leben, ohne dass die Tuberkulose ausbricht. Diese Menschen werden durch bestimmte Mechanismen ihres Immunsystems geschützt. Und wir wollen diese Mechanismen dauerhaft so intakt halten, dass trotz der vorhandenen Bakterien kein Schaden in der Lunge entsteht.

Mir war immer klar, dass ich eines Tages nach Südafrika zurückkehren würde. Es klingt pathetisch, aber ich empfinde es so, dass ich dies meinem Land schuldig bin: Jährlich sterben 1,5 Millionen Menschen südlich der Sahara an Tuberkulose; es gibt resistente Formen, bei denen keine herkömmliche Therapie anschlägt. Ich komme aus einem armen Vorort von Johannesburg, viele Nachbarn waren mit TB oder HIV infiziert, wurden unzureichend therapiert und starben schließlich erbärmlich. Das hat mich geprägt.

Ich bin jetzt 37 Jahre alt, ich bin Biochemiker, Mikrobiologe, Uni-Dozent, ich habe als Wissenschaftler Preise gewonnen, international Ruhm und Ehre genossen, das kann einem zu Kopf steigen, aber mein Antrieb liegt eindeutig in den Erfahrungen meiner Kindheit.

Wer gegen Krankheit und Armut etwas tun will, davon bin ich überzeugt, der muss vor Ort klinisch forschen. Klar war es hart, nach vier Jahren Harvard wieder zu verlassen. Meine Freundin und ich führen jetzt eine Beziehung mit dem Atlantik dazwischen. Die Bibliothek und ein paar Labore darf ich weiterhin nutzen, um die Verbindung nicht ganz zu kappen.

Immer wenn ich wehmütig werde, erinnere ich mich an früher: 30 Schüler teilten sich ein Mathebuch, das Dach unseres Klassenraums war eine Baumkrone. Meine Mutter, die in Johannesburg die Wäsche wohlhabender Geschäftsleute bügelte, alleinerziehend war und selbst weder lesen noch schreiben konnte, sparte trotz allem so viel, dass ich aufs College konnte. Und wenn ich mir das klargemacht habe, dann höre ich auf zu jammern.

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