Medizinische Versorgung in Niedersachsen: Nachwuchssorgen auf dem Land

Niedersachsen gehen Hausärzte und Apotheken aus. Das Land will Ärzte jetzt mit zwei Millionen Euro fördern, aber letztlich bleibt das Problem an den Kommunen hängen.

Schwierige Suche: Junge Ärzte wollen einfach nicht aufs Land. Bild: dpa

HAMBURG taz | Niedersachsen gehen die Hausärzte und langsam auch die Apotheker aus. Seit 2009 haben 133 Apotheken geschlossen und nur 76 wurden neu eröffnet – macht 57 Apotheken weniger. In Oevelgönne beispielsweise gibt es für die rund 5.500 Einwohner seit diesem Jahr keine Apotheke mehr, nachdem das örtliche Apotheker-Ehepaar mit über 80 Jahren in den Ruhestand ging – ohne einen Nachfolger zu finden.

Ähnlich sieht es bei den Hausärzten aus. Eigentlich sollte auf 1.750 Patienten ein Hausarzt kommen, aber es gibt Regionen wie den Heidekreis oder die Landkreise Harburg und Wolfenbüttel, in denen diese Quote nicht mehr erreicht wird. Häufig mangelt es bei den Hausärzten und Apothekern an Nachfolgern.

Deswegen will das niedersächsische Gesundheitsministerium nun dort, wo es eng wird mit der Versorgung, dieses und nächstes Jahr jeweils eine Million Euro bereitstellen. Mediziner können aus diesen Mitteln maximal 50.000 Euro Fördersumme für EDV oder medizinische Geräte beantragen. „Das ist ein wichtiger Impuls für die Aufrechterhaltung der ambulanten Versorgung“, sagt Thomas Spieker vom niedersächsischen Gesundheitsministerium. „Dadurch werden wir nicht Hunderte neue Ärzte gewinnen“, sagt dagegen Detlef Haffke von der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN). Aber es sei wenigstens ein Mosaiksteinchen.

Exemplarisch ist der Fall der Gemeinde Gartow im Landkreis Lüchow-Dannenberg. Monatelang fanden sie keinen neuen Hausarzt, bis die Gartower im Frühsommer 2011 ein Plakat mit der Aufschrift „Arzt gesucht. Praxis sofort zu vergeben“ in die Schaufenster der Hauptstraße aufhängten, Handzettel verteilten, bei Facebook die Gruppe „Gartow sucht den Landarzt“ einrichteten. Mit dem Ergebnis, dass die TV-Talkrunde „Hart aber fair“ berichtete, Lokalzeitungen das Thema aufgriffen und sich am Ende nur ein einziger Bewerber fand. Der 66-jährige Jan Geldmacher übernahm die Praxis, unterschrieb für seine Praxisräume einen Mietvertrag für zehn Jahre.

In den 80er Jahren gab es in Deutschland eine Ärzteschwemme und die Politik reagierte unter anderem mit Beschränkungen von Medizinstudentenzahlen und Kassenzulassungen. Dieser Eingriff hat bis heute Spuren hinterlassen und zum Ärztemangel beigetragen. Der Mangel auf dem Land rührt aber auch zu einem Teil daher, dass die Medizin zunehmend weiblicher wird:

Mindestens sechs von zehn Erstsemestern im Fach Humanmedizin sind laut Deutschem Ärztinnenbund Frauen, bei den Berufseinsteigerinnen stellen Ärztinnen knapp 60 Prozent.

Laut der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen entscheiden sich aber gerade Frauen eher für ein Angestelltenverhältnis, oft für eine halbe Stelle, das passt schwer zu einer Landarztpraxis.

Aber er ist nur einer von 430 Hausärzten, die sich in Niedersachsen momentan noch niederlassen könnten, wenn es denn Interessenten gäbe. „Sieben von 44 Gebieten in Niedersachsen sind unsere Sorgenkinder“, sagt Haffke. Allein im Emsland fehlen 21 Hausärzte und in der Grafschaft Bentheim neun. Hier sieht es auch mit den Apotheken dünn aus, denn zwei Drittel des Umsatzes machen die Apotheken über Rezepte. „Kein Arzt, kein Rezept, kein Umsatz, keine Apotheke“, sagt Magdalene Linz, Präsidentin der Apothekerkammer Niedersachsen. „Auf dem Land ist der Nahverkehr nicht optimal, was gerade für ältere Menschen schwierig ist.“ Aber nicht nur die Wege werden immer weiter, es fehle auch der persönliche Ansprechpartner. Etwa 470 der gut 2.000 niedersächsischen Apotheken sind laut Linz akut in ihrer Existenz bedroht. Das ist beinahe jede vierte. „Die Basis erodiert bei uns und bei den Landärzten, da hilft ein bisschen Geld vom Land auch nicht“, sagt Linz.

In Umfragen der KVN sagen Medizinstudenten und aus dem Beruf ausgestiegene Ärzte, sie hätten Angst vor der Arbeitsbelastung in einer Hausarztpraxis, würden für den Partner, der meist auch einen akademischen Hintergrund hat, auf dem Land keine adäquate Arbeitsstelle finden und es fehle an der Infrastruktur wie Kita-Plätze und Schulen. „Da müssen sich die Kommunen viel einfallen lassen, um das Umfeld für Ärzte attraktiv zu gestalten“, sagt Spieker vom Gesundheitsministerium. „Wieso soll das ein kommunales Problem sein?“, sagt dagegen Heinz Jarmatz, Vorsitzender vom Landesverband Niedersachsen des Deutschen Hausärzteverbands. „Es ist ja bei der Suche nach Ärzten nicht mit dem Angebot von günstigen Praxisräumen getan.“ Die Kommunen könnten nicht mal eben neue Kindergärten bauen und unterhalten.

Schon heute ist jeder vierte Apotheker in Niedersachsen älter als 60 Jahre. Und bis 2020 werden mehr als die Hälfte der jetzt 5.300 niedersächsischen Hausärzte in den Ruhestand gegangen sein. „Bisher wurden wir von der Politik mit unseren Bedürfnissen oft abgewimmelt“, sagt Jarmatz. Daher sei es in Ordnung, dass Niedersachsen sich ein wenig bewege. „Wir sind bundesweit mit der größte Arbeitgeber und es ist gut, wenn wir auch mal etwas bekommen“, sagt Jarmatz, wenn sich auch darüber streiten ließe, ob die Fördersumme von zwei Millionen ausreicht, um wirklich viel zu bewirken.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.