Meduza-Auswahl 19.-25. Oktober: Regierungskritiker in Gefahr

Der belarussische Diktator Lukaschenko verfolgt die Protestierenden von 2020 bis heute. Unvorsichtige Berichte gefährden sie, schreibt das Exilmedium.

Eine Frau hält sich eine rot-weiße Fahne vor ihr Gesicht

Minsk, Belarus, 27.09.2020: Oppositionsprotest mit rot-weißer Fahne Foto: Sergei Bobylev/ITAR-TASS/imago

Das russisch- und englischsprachige Portal Meduza zählt zu den wichtigsten unabhängigen russischen Medien. Im Januar 2023 wurde Meduza in Russland komplett verboten. Doch Meduza erhebt weiterhin seine Stimme gegen den Krieg – aus dem Exil. Die taz präsentiert seit 1. März unter taz.de/meduza immer mittwochs in einer wöchentlichen Auswahl, worüber Meduza aktuell berichtet. Das Projekt wird von der taz Panter Stiftung gefördert.

In der Woche vom 19. bis zum 25. Oktober 2023 berichtete Meduza unter anderem über folgende Themen:

Wie Belarussen bis heute für die Proteste 2020 bezahlen

Drei Jahre sind seit der schicksalhaften Präsidentschaftswahl in Belarus vergangen, die die größten Anti-Regierungs-Proteste in der Geschichte von Belarus auslöste. Der amtierende Präsident Alexander Lukaschenko reagierte mit einer brutalen Niederschlagung, und die massiven Straßenproteste verschwanden schließlich in den Untergrund. Heute leben schätzungsweise 200.000 bis 500.000 Be­la­rus:­in­nen im Exil.

In diesem englischsprachigen Bericht unternimmt Meduza einen historischen Exkurs und spricht mit Betroffenen über die aktuelle Situation.

Außerdem wird aufgezeigt, wie unvorsichtig viele Medien heute in ihrer Berichterstattung sind und wie sie Bela­rus:­in­nen dadurch gefährden: Etwa im Juli 2023 veröffentlichte die litauische Ausgabe der baltischen Medienplattform Delfi einen Dokumentarfilm mit dem Titel „Chroniken der Moderne“, der Archivmaterial von den Protesten in Belarus im Jahr 2020 zeigte. Dutzende von Belaruss:innen, die an den Protesten teilgenommen hatten, waren entsetzt, als sie feststellten, dass ihre Gesichter in dem Film zu erkennen waren.

Delfi nahm den Dokumentarfilm innerhalb einer Stunde von seiner Website und veröffentlichte einige Wochen später eine anonymisierte Version. Doch der Schaden war bereits angerichtet: Die belarussischen Strafverfolgungsbehörden behaupten, das Original heruntergeladen zu haben, um es als Beweismittel in neuen Strafverfahren zu verwenden. Mehrere Personen, die in dem Film vorkamen, wurden später festgenommen.

Veteranen begehen keine Verbrechen, behauptet Moskau

Zwei der russischen Regierung nahestehende Quellen berichten Meduza, dass die Putin-Regierung die staatlich kontrollierten und kremlnahen Medien des Landes angewiesen habe, nicht über Verbrechen zu berichten, die von Menschen begangen wurden, die aus dem Krieg in der Ukraine zurückgekehrt sind. Dazu zählen Söldner und ehemalige Sträflinge, die im Gegenzug für ihren Kriegseinsatz Amnestie erhielten. Meduza hat dazu eine englischsprachige Zusammenfassung geschrieben.

Den Quellen zufolge ist dies die erste Weisung des Kremls, die die Medien in Bezug auf Berichterstattung über Verbrechen ehemaliger Soldaten eingeht. Bisher haben regimenahe Sender gerne über solche Fälle berichtet: „Verbrechen bringen immer gute Zahlen, und die Erwähnung der speziellen Militäroperation in der Schlagzeile wärmt das Publikum auf und macht die Nachricht klickbarer“, so eine Quelle.

Mitte Oktober veröffentlichte die Nachrichtenseite Lenta.ru beispielsweise einen Artikel mit der Schlagzeile „Ehemaliger Wagner-Kämpfer kehrt von militärischer Spezialoperation zurück und ersticht behinderte Großmutter wegen Geld“. Ähnliche Artikel erschienen in kremlfreundlichen Telegram-Kanälen und in von der Regierung kontrollierten lokalen Nachrichtenagenturen.

Eine der Putin-Regierung nahestehende Quelle erklärte gegenüber Meduza, die neuen Beschränkungen seien notwendig, „damit die Russen die Kämpfer nicht als potenzielle Kriminelle betrachten und ihre Rückkehr nicht fürchten“.

Wegen eines Gutachtens gefeuert

Swetlana Drugoweiko-Dolschanskaja ist eine bekannte St. Petersburger Philologin und Dozentin. Im Oktober 2023 wurde sie von der Staatlichen Universität St. Petersburg entlassen, obwohl sie dort mehr als 40 Jahre gearbeitet hatte. Der Grund: Ein Gutachten, das Drugoweiko-Dolschanskaja im Auftrag der Verteidiger der Künstlerin Alexandra („Sascha“) Skotschilenko erstellt hatte. Der wurde vorgeworfen, „Falschmeldungen“ über die russische Armee verbreitet zu haben.

In ihrer Studie kam die Philologin zu dem Schluss, dass das zuvor in Auftrag gegebene Gutachten – das von anderen Wissenschaftlern der Staatlichen Universität St. Petersburg erstellt wurde – Kritik nicht standhält.

Eine Kooperative unabhängiger Journalisten namens Berega („Das Ufer“) hat mit Drugoweiko-Dolschanskaja gesprochen. Welche Fehler sie in dem ersten Gutachten gefunden hatte und was genau ihr von der Universitätsverwaltung vorgeworfen wurde, erzählt sie im Gespräch mit Berega. Meduza veröffentlicht das Interview auf Russisch.

Über Faschismus und Schuldgefühle

„Habe ich alles dafür getan, dass es in Russland keinen Faschismus gibt? Die richtige Antwort lautet: Nein, das habe ich nicht“, sagt die Autorin Elena Kostjutschenko. Ein auf Russisch geführtes Interview mit ihr veröffentlicht Meduza.

Elena Kostjutschenko, Sonderkorrespondentin für Novaya Gazeta und Meduza, ist eine der bekanntesten russischen Journalistinnen und eine der prominentesten Persönlichkeiten der russischen LGBTQ-Community. Ihr Buch „Mein liebstes Land“ war das erste Projekt des Buchverlags Meduza.

„Ich wollte vor allem verstehen, wie wir zum Faschismus gekommen sind. Woraus er entstanden ist, was seine Wurzeln genährt hat. Am 24. Februar 2022 ist es nicht sofort passiert: alles hat sich verändert. Das heißt, nicht alles änderte sich sofort, aber es ging in diese Richtung.“, erklärt sie.

Und: „Wir gewöhnen uns an dieses Gefühl, an den Verfall der moralischen Normen, an die allen gemeinsame Hilflosigkeit. Und an eine andere Variante dieses Gefühls, über das Gefühl der Unsicherheit – was es heißt, in Russland eine Frau zu sein.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Mehr Geschichten über das Leben in Belarus: In der Kolumne „Notizen aus Belarus“ berichten Janka Belarus und Olga Deksnis über stürmische Zeiten – auf Deutsch und auf Russisch.

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.