Meinungsfreiheit in der Türkei: Eminanim, meine Zensurbehörde

Meinen Nachruf auf die Meinungsfreiheit in der Türkei habe ich nicht mal durch die hausinterne Zensur bekommen.

Jemand hält ein Smartphone, auf dessen Display Präsident Erdogan dabei zu sehen ist, wie er eine Rede hält.

Korrekter Gebrauch aus Sicht der türkischen Behörden: Präsident Erdogan auf dem Handy Foto: Ronald Wittek/dpa

Weil die türkische Regierung jetzt auch noch die sozialen Medien unter ihre Kontrolle bringen will, schreibe ich auf meiner Facebook-Seite: „Herzliches Beileid, Türkei! Die Meinungsfreiheit ist nach langer Krankheit nun endgültig beerdigt worden.“

Sofort bekomme ich einen Kommentar von meiner Facebook-Freundin Eminanim.

„Osman, was hast du dir denn dabei gedacht, verdammt?“, schreibt sie und kommt dann höchstpersönlich ins Wohnzimmer gestürmt.

„Na, Eminanim, ist doch schön satirisch und höchst kritisch, nicht wahr?“, sage ich und freue mich über die begeisterte Resonanz ihrerseits.

„Sofort löschen! Sofort löschen“, brüllt meine Frau daraufhin weniger begeistert.

„Warum das denn? Mit 'nach langer Krankheit’ meine ich, dass die Türkei, was die Meinungsfreiheit betrifft, ohnehin auf Platz 254 in der Welt war, noch hinter Kongo, Bangladesch, Simbabwe, Afghanistan und Äthiopien.“

„Das habe ich schon verstanden. Aber warum schreibst du das? Willst du Ärger haben, oder was?“, schimpft sie.

„Aber als Satiriker muss ich doch das neue Zensur-Gesetz ironisch kritisieren und durch den Kakao ziehen!“, kontere ich selbstbewusst.

„Und die Zensurbehörde wird dich durch alle möglichen Gerichte ziehen – es sei denn …“

„Es sei denn – was?“, frage ich diesmal nicht ganz so selbstbewusst.

„Die Türkei war, was die Meinungsfreiheit betrifft, ohnehin auf Platz 254 in der Welt“

„Es sei denn, du verhältst dich ausnahmsweise mal intelligent und zensierst dich selbst, wie alle Autoren in der Türkei. Zum Beispiel der Satz 'nach langer Krankheit’ muss raus.“

„Das geht doch nicht! Das ist die ironische Kernaussage meines Satzes. Das bedeutet, nachdem die Meinungsfreiheit all die Jahre wie ein Stier einen Dolchstoß nach dem anderen hinnehmen musste, bekommt sie jetzt den 'Todesstoß’. Das muss ich doch anprangern!“

„Die Meinungsfreiheit bekommt einen Dolchstoß und wenn du es anprangerst, bekommst du zehn Jahre Knast! Es sei denn du tauschst das Wort 'Türkei’ mit 'Familie’ aus.“

„Super Idee, Eminanim! Wenn ich anstatt 'Herzliches Beileid, Türkei’, 'Herzliches Beileid, Familie’ sage, bleibt meine höchst satirische Aussage trotzdem dieselbe. Die Türkei ist ja ohnehin wie eine richtige Familie. Die streiten, zanken und würgen sich ständig. Genial, das machen wir so.“

„Wir müssen auch die 'Meinungsfreiheit’ austauschen“, knurrt sie.

„Meinungsfreiheit austauschen? Womit?“

„Mit 'Onkel Ömer’ zum Beispiel.“

„Mit Onkel Ömer? Was hat denn mein Onkel jetzt damit zu tun?“

„Sehr viel. Er wird dich vor dem Knast bewahren! Also Osman, so sieht jetzt deine höchst satirische Zensurkritik aus: 'Herzliches Beileid, Familie. Mein Onkel Ömer ist nach langer Krankheit nun endgültig beerdigt worden.’“

„Eminanim, spinnst du? Mein Onkel Ömer ist doch quicklebendig und wurde nicht beerdigt, sondern die Meinungsfreiheit!“

„Na Osman, ist das nicht genial? Damit legst du die türkische Zensurbehörde so was von rein!“

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