Mobilität auf dem Dorf: Früher Trampen, heute Mitfahrbank

Menschen, die von A nach B wollen, setzen sich auf die Mitfahrbank und warten. Mittlerweile gibt es davon bereits rund 1.000 auf dem Land.

Eine Bank mit der Aufschrift "Mitfahrbank"

Von hier aus ins nächste Dorf: Mitfahrbank in Baden-Württemberg Foto: Michael Weber/imago

PRIORT taz | Priort im Havelland, Brandenburg, Berliner Speckgürtel. Eine paar Straßen, viele Einfamilienhäuser und eine Auffahrt zur Bundesstraße 5. Viel ist hier nicht los, einige Autos fahren vorbei, die meisten Richtung Berlin. Eine einsame Bank steht etwas verloren am Straßenrand neben einer Bushaltestelle. An der Bank ist ein Schild.

Volle Radwege trügen: Klima- und menschenfreundliche Mobilität ist längst nicht normal. In Deutschland etwa ist der Anteil des Verkehrs an den CO2-Emissionen in den letzten 30 Jahren von 13 auf fast 20 Prozent gestiegen – zu viel Gütertransporte auf der Straße, zu viel Individualverkehr. Doch es gibt spannende neue Konzepte für Räder, Busse, Bahnen und Schiffe mit E-Mobilität und neuen Formen des Teilens. Oder auch mehr Verantwortung für Umwelt­schädigung. Hier stellen taz-Autor:innen Ideen vor, die bereits ausprobiert werden.

Es ähnelt einem Straßenschild. Aber anstelle von einem Straßen- stehen Ortsnamen darauf. Genauer: Es sind mehrere Schilder, die einfach aufgeklappt werden können. Zur Wahl stehen fünf Fahrtrichtungen: Elstal, Wustermark, Falkensee, Potsdam, Havelpark. Wohin man hier in Priort mit seinen 1.350 EinwohnerInnen halt am häufigsten will.

Dann heißt es, hinsetzen und abwarten, bis jemand hält, der nichts dagegen hat, MitfahrerInnen zum Ziel zu bringen. Was zunächst wie eine ländliche Bushaltestelle aussieht, ist etwas ganz anderes. Nämlich eine Mitfahrbank, die der Heimatverein vor vier Jahren gestiftet hat. Das ist die infrastrukturelle Selbsthilfe von Priort.

35 Kilometer. So weit ist es von hier bis nach Berlin gar nicht. Doch ohne Auto ist es für viele zu weit, direkte Busverbindungen gibt es nicht. Der einzige Bus kommt alle 60 Minuten. Höchstens. Die Bür­ge­r*in­nen helfen sich deshalb gegenseitig.

Eine aus der Not geborene Lösung

„Auf dem Land gibt es mehr Autos als Menschen, diese Autos müssen viel effizienter genutzt werden“, sagt Ursula Berrens zur Idee der Mitfahrbänke. Sie hat vor mittlerweile 9 Jahren die erste Mitfahrbank Deutschlands in Rheinland-Pfalz aufgestellt. „Das war eine aus der Not geborene Lösung und ist ein Armutszeugnis ländlicher Infrastruktur.“ Und so gibt es mittlerweile überall in Deutschland Mitfahrbänke. „Sie sind immer eine Ergänzung zum ÖPNV“, betont Berrens.

Die Mitfahrbänke helfen auszugleichen, was die staatlich organisierte Infrastruktur in ländlichen Regionen versäumt. Dabei ist die Idee simpel: Menschen, die von A nach B wollen, setzen sich auf eine solche Bank, hängen das Schild mit ihrem Zielort auf und warten auf ein Auto, das in die gewünschte Richtung fährt. Modernes, organisiertes Trampen. Genau wie das klassische Den-Daumen-Raushalten ist das Ganze dezentral organisiert und funktioniert durch Kommunikation zwischen Fahrenden und Mitfahrenden.

Doch der Weg zur Bank ist schwerer, als es scheint. Die Finanzierung müssen Kommunen oder Verbände selbst stemmen. Eine Mitfahrbank kostet im Schnitt 1.000 Euro, sagt Berrens. Damit ist es noch nicht getan. Es ist auch viel Arbeit, alles am Laufen zu halten. Ohne die nötige Aufmerksamkeit werden die Bänke nicht genutzt. „Das System läuft nicht von allein“, sagt auch Martin Hovekamp, Vorstandsmitglied beim Mitfahrverband, der sich für alternative Mobilität einsetzt.

Denn: Viele auf dem Land wüssten oft gar nicht, dass die Bänke existieren. Hovekamp schätzt, dass derzeit rund 1.000 Mitfahrbänke in Deutschland stehen, davon ein Großteil an der Nordseeküste. Offizielle Zahlen gibt es nicht.

Vorbild Frankreich

Durch die Vereinheitlichung von Mitfahrgelegenheiten und einer App sollte es Fahrenden und Mitfahrenden einfacher gemacht werden, ihre Fahrten zu organisieren, schlägt Hove­kamp vor. Frankreich ist dafür Vorbild. Dort bietet der Staat sogar finanzielle Anreize für die Mitnahme von Personen: Für 10 mitgenommene Gäste erhalten AutofahrerInnen 100 Euro. Außerdem würden dort mitgenommene Personen und Fahrten sogar protokolliert, da es eine App gibt, die alles aufzeichnet. So werde die Mitnahme effizienter und sicherer.

Und natürlich auch klimafreundlicher: Im Schnitt ist ein Auto in Deutschland nur mit 1,4 Personen besetzt. Wenn diese Zahl durch Fahrgemeinschaften auf 1,8 Personen steigen würde, könnten pro Jahr 27 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden, rechnet Hovekamp vor. Das würde dem Verkehrssektor zumindest stark helfen, die deutschen Klimaziele zu erreichen.

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