Montagsinterview mit Filmmacher Jan Schütte: "Auf die persönliche Handschrift kommt es an"

Auch ohne Ausbildung leitet Regisseur Jan Schütte seit einem halben Jahr die Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb). Seine Studenten sollen sich ihre künstlerische Freiheit bewahren, sagt er. Er selbst gibt das Filmen erst einmal auf.

"Habe mich nie als Autorenfilmer verstanden." Regisseur Jan Schütte. Bild: Wolfgang Borrs

taz: Herr Schütte, seit September sind Sie Direktor der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin. Zuvor haben Sie lange als Filmregisseur gearbeitet. Haben Sie das Regieführen jetzt an den Nagel gehängt?

Jan Schütte: Wenn man so eine Institution wie die dffb übernimmt, muss man sich zunächst einmal ganz um die Schule und die Studenten, die Dozenten und Mitarbeiter kümmern. Zudem war die dffb ja lange Zeit ohne Direktor. Filme machen werde ich also in den kommenden zwei, drei Jahren sicher nicht. Aber irgendwann möchte - und muss! - ich auch wieder Filme drehen.

Bereuen Sie nicht ein wenig den Wechsel vom Set oder Schneideraum zum Schreibtisch?

Der Direktor: Jan Schütte (53) studierte Literatur, Philosophie und Kunstgeschichte und begann als Dokumentarfilmer. "Drachenfutter", sein erster Spielfilm, entstand 1987. Schütte ist Mitglied der Berliner Akademie der Künste und der Europäischen Filmakademie. Seit 2010 ist er Direktor der dffb. Er ist verheiratet und hat vier Kinder. + + + Die Filme (Auswahl): "Verloren in Amerika", Doku, 1988. "Auf Wiedersehen Amerika", 1994, mit Otto Tausig und George Tabori. "Fette Welt", 1998, mit Jürgen Vogel. "SuperTex", 2003, nach dem Roman von Leon de Winter. "Love comes Lately", 2007, mit Otto Tausig und Rhea Perlman. + + + Die Akademie: Die Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb) wurde 1966 von Willy Brandt gegründet. Träger ist das Land Berlin. 120 bis 150 Studenten werden hier vier Jahre in Regie, Kamera und Produktion unterrichtet. Seit 2001 residiert die dffb am Potsdamer Platz. Zu den Absolventen gehören Wolfgang Becker, Detlev Buck und Wolfgang Petersen. (taz)

Alles hat seine Zeit. Neben meiner Arbeit als Regisseur habe ich sehr früh begonnen, auch zu unterrichten. Als Lehrender zu arbeiten hat mir immer großen Spaß gemacht, und im Wechselspiel mit dem Filmemachen war die Erfahrung mit den Studenten sehr inspirierend. Aber die Leitung einer Schule wie der dffb ist noch mal eine eigene Herausforderung, für die ich die Regie gerne eine gewisse Zeit aussetze.

Sie selbst haben Germanistik und Kunstgeschichte studiert, also keine Ausbildung an einer Filmhochschule absolviert. Wozu braucht es eigentlich Filmhochschulen, wenn es, wie in Ihrem Fall, auch anders geht?

Ich hatte das große Glück, mich über viele Stufen zur Spielfilmregie hinarbeiten zu können. Ich habe vieles ausprobiert: Journalist, Dokumentarfilmer, ich war Produktionsleiter und Regieassistent. Irgendwann, mehr aus Neugierde, passierte der Schritt zur Spielfilmregie. Der Weg war ungewöhnlich, damals aber noch möglich. Heute gibt es viele sehr gute Filmhochschulen, gerade in Deutschland. Die Absolventen sind sehr gut ausgebildet, für learning by doing außerhalb der Schulen ist da wenig Platz.

Das Handwerkszeug als Filmemacher haben Sie sich angeeignet. Was braucht man als Lehrer oder Leiter einer Filmschule?

Natürlich bringe ich meine eigenen Erfahrungen, Erfolge und Niederlagen als Regisseur mit. Gleichzeitig arbeitet und diskutiert man mit den Studenten ihre Projekte und Filme. Generell, glaube ich, es kommt darauf an, neugierig und offen zu sein für die Studenten und ihnen die Balance zwischen Können, Wissen und Selbermachen zu vermitteln. Die Schule ist ein Raum, in dem man experimentieren kann und soll - übrigens auch mal im Scheitern. Man kann bestimmte Haltungen und Sichtweisen künstlerisch formulieren.

Nicht so offen für Sie waren Studenten der dffb, als der Senat Sie zum Direktor berief. Es gab Proteste, Streiks, eine Abstimmung. Hat Sie das geschockt?

Ich habe versucht, das nicht persönlich zu nehmen. In einem bestimmten Sinne konnte ich den Unmut ja nachvollziehen. Mein Vorgänger Hartmut Bitomsky war 2009 von jetzt auf gleich gegangen. Die Studenten fühlten sich zum Teil im Stich gelassen. An der dffb war ein Vakuum entstanden, und bei den Studenten gab es vielleicht Frust über das reguläre Berufungsverfahren.

Aber die Studenten äußerten auch direkte Vorbehalte gegen einen neuen Direktor Jan Schütte: zu mainstreamig, Agent des Hamburger Filmbüros … Haben Sie damals nicht mal überlegt, den Job nicht zu machen?

Den Widerstand empfand ich wie gesagt nicht als gegen mich persönlich gerichtet, sondern gegen das Verfahren. Daher habe ich mich trotz allem sehr auf die dffb, ihre Studenten und Mitarbeiter gefreut. Diese Arbeit war und ist mir wichtig.

Die dffb gilt als eine der renommiertesten Filmakademien in Deutschland. Was ist ihr Profil?

Ich habe in den vergangenen Monaten viele hier produzierte Filme gesehen, mich überraschen Vielfalt, Breite und Qualität der Arbeiten. Die Studenten haben eine unglaubliche Verschiedenheit von filmischen Sprachen und Formen, Haltungen und Sichtweisen entwickelt, die ich als Direktor weiter fördern will.

Wo bleibt das Handwerk?

Hier ist natürlich die Praxis ein wesentlicher Faktor. Was die dffb einzigartig macht, ist die Gleichzeitigkeit zweier Prozesse: Hier werden Regie, Drehbuchschreiben, Produktion und Kamera ausgebildet. Man lernt fundiert ein Handwerk. Gleichzeitig werden gleich zu Beginn die Jahrgänge gemeinsam übergreifend ausgebildet: Die Studenten lernen von Anfang, in Teams zu arbeiten. Aber am Ende geht es immer um die Frage: Welche ästhetischen oder formalen Ausdrucksformen habe ich zur Verfügung, wie transportiere ich filmisch meine Haltung und die Inhalte, und gelingt es mir, meine künstlerische Freiheit zu bewahren?

Und da insistieren Sie als Direktor nicht da oder dort?

Es gibt da einen großen Unterschied: Unterrichte ich eine Klasse, lehre ich meine eigene Sichtweise. Als Direktor aber bin ich für alle Formen und Sprachen da, ob das nun ein Horrorfilm wird oder eine sehr persönliche, intime Arbeit. Ich versuche, jeden Film in seiner Form zu erkennen und dann so stark wie möglich zu machen. Ich betrachte es als Aufgabe, die künstlerischen Möglichkeiten zu stärken, die jemand besitzt. Manchmal sind das vielleicht andere, als die Studenten selbst bei sich sehen. Ich versuche, in der einen Hälfte meiner Zeit mir die Projekte und Filme der Studierenden anzusehen, und diskutiere mit ihnen in allen Entstehungsphasen darüber. Filme machen ist ein langwieriger Prozess. Die andere Hälfte meiner Arbeit besteht darin, wie jeder Hochschulleiter, die Institution nach außen zu vertreten, Dozenten zu gewinnen, die inneren Abläufe zu strukturieren, Mittel aufzutreiben, Filme auf Festivals zu bringen etc.

Die dffb war einmal sehr politisch. Unter Hartmut Bitomsky entstand die "Berliner Schule" mit einem besonderen Realismus. Wird es eine Schütte-Richtung geben? Mehr poetischer Realismus etwa, ein Merkmal Ihrer eigenen Filme?

Ich werde sicher keine Richtung vorgeben. Für mich ist wichtig, jedem Film möglichst gute Bedingungen zu verschaffen und gleichzeitig die Studenten so zu fordern, dass sie das Beste aus ihren Projekten herausholen. Wenn, dann kommt eine Richtung von den Studenten selbst. Es wird ja auch in der Schule viel und intensiv diskutiert. Wenn sich hier also etwas herausschält, kann man das nur stärken. Mir persönlich ist ein durchaus kritischer Blick auf die Gesellschaft und die Suche nach entsprechenden Geschichten wichtig. Aber erzwingen kann man das nie.

Müssen Ihre Absolventen heute fit für den kommerziellen Film- und Fernsehmarkt sein?

Nur Filmschaffende mit einer persönlichen Handschrift können sich beim Kino oder Fernsehen durchsetzen. Die Schule ist der Raum für die Studenten, ihren eigenen Stil zu entwickeln. Ich halte es für falsch, nach kommerziellen Entwicklungen zu schielen. Das heißt nicht, dass wir von der Außenwelt nichts wissen wollen. Ganz im Gegenteil: Darum kooperiert die dffb eng mit den Fernsehredaktionen. Und Projekte mit Arte und dem RBB gehören zum festen Bestandteil des Curriculums.

Sie selbst kommen aus der Ära des Autorenfilms. Ist das damalige Ideal, die Filmproduktion vom Drehbuch bis zum Schnitt selbst zu bestimmen, heute noch Studenten vermittelbar?

Ich persönlich habe mich nie als Autorenfilmer verstanden. Ich habe Regie geführt und an Drehbüchern mitgeschrieben, eher zwangsweise habe ich auch produziert. Ich habe in unterschiedlichsten Konstellationen gearbeitet, mit kleinen Rucksackproduzenten bis zu großen Produktionsfirmen, mit sehr verschiedenen Autoren. Trotzdem hatte ich die Chance, eine persönliche Handschrift zu entwickeln. Und darauf kommt es in meinen Augen an, ob Sie nun Drehbücher schreiben, Kamera führen, über Finanzierungen grübeln oder Schauspieler inszenieren: eine persönliche Handschrift.

Wo steht die dffb in fünf Jahren?

Im Moment lerne ich die Schule ja erst kennen. Ich würde mir wünschen, dass sich die Studenten einen offenen, neugierigen Blick bewahren und sich die Fragen des Lebens in ihren Filmen sehr unterschiedlich widerspiegeln. Beim letzten Deutschen Kurzfilmpreis war die dffb mit drei Filmen vertreten, einer erhielt den Deutschen Kurzfilmpreis in Gold, ein anderer den Sonderpreis der Jury: "Jessi" von Mariejosephin Schneider erzählt die Geschichte einer Elfjährigen, deren Mutter inhaftiert ist. "Manolo" von Robert Bohrer ist eine kleine, feine Komödie im Columbia-Schwimmbad. "Kafarnaum" von Jasco Viefhues hat die Geschichte einer jungen Frau und ihre Pflege der krebskranken Mutter zum Thema. Drei ganz verschiedene Blicke auf die Welt, drei ganz verschiedene Themenstellungen, drei ganz verschiedene formale Ansätze. Wunderbar.

Auf der in dieser Woche startenden Berlinale 2011 hat die dffb einen Beitrag in der Reihe "Perspektiven Deutsches Kino". Ein Film unter 400, ist das nicht ein bisschen wenig?

Die Berlinale ist kein regionales oder Nachwuchsfilmfest wie Saarbrücken, es gibt einen Überblick über den Stand der weltweiten Filmproduktion. Wenn also unter den tausenden Einreichungen mit Lothar Herzogs Film "weisst du eigentlich dass ganz viele blumen blühen im park" ein studentischer Beitrag dabei ist, Absolventen der dffb in Forum, Panorama und Wettbewerb vertreten sind und auch noch zwei Dozenten - Bela Tarr und Andres Veiel - ihre Filme im Wettbewerb zeigen, dann ist das doch gar nicht so schlecht.

Aber der Anspruch, als dffb präsenter zu werden, besteht?

Die Berlinale ist auf vielfältige Weise wichtig für uns. Nicht ohne Grund wurden das Festival, das Filmmuseum, das Arsenal und die dffb gemeinsam an den Potsdamer Platz verpflanzt. Während des Festivals ist unser Kino eine Spielstätte des European Film Market. Ich schätze, über die Hälfte unserer Studenten arbeitet in irgendeiner Form für die oder bei der Berlinale. Der Talent Campus schneidet und mischt in unseren Räumen. Die dffb-Studenten haben Filmstudenten aus ganz Europa zum Couchsurfing beim Festival eingeladen. Aber es gibt viele Festivals, die für Studenten spannend sind. Wir haben mit "Headshots" von Laurence Tooley einen Film in Rotterdam im Wettbewerb. Natürlich eignen sich kleinere Festivals eher für den Nachwuchs.

Berlinale-Chef Dieter Kosslick, Ihr Exkollege beim Hamburger Filmbüro, hat vier deutsche Beiträge im Wettbewerb. Das ist überraschend, es gab Jahre ohne deutsche Beteiligung. Auffallend ist, dass alle Themen rückwärtsgewandt erscheinen: eine RAF-Geschichte, Wim Wenders Film über Pina Bausch, ein Beitrag über türkische Gastarbeiter. Von Krieg und Tod, neuer Armut, dem Finanzdesaster oder der Umweltkatastrophe keine Spur. Fehlt unseren Filmemachern Mut?

Wir kennen ja die Filme noch nicht, oder? Und es könnte doch sein, dass die Filme sehr radikale Fragen aufwerfen. Aus journalistischer Sicht haben Sie vielleicht recht, dass die Beiträge nicht aktuell wirken. Aber aus künstlerischer Perspektive kommt es doch eher darauf an, mit tieferem Blick oder längerem Atem hinzuschauen. Und genau dafür ist doch ein Festival auch da: abseits und frei vom Tagesgeschäft Filme zu zeigen, die einen anderen Blick auf die Dinge werfen, die uns inspirieren, Fragen stellen, neugierig machen. Ich bin sehr neugierig auf alle vier deutschen Filme im Wettbewerb.

Sie selbst haben sich als Filmemacher wiederholt einem speziellen Thema gewidmet: den von den Nazis ins US-Exil getriebenen Menschen - Juden, Polen, Russen - und ihrem bitteren Leben in Brooklyn, ihren Sehnsüchten nach Heimat, Liebe, der eigenen Vergangenheit. Was hat Sie daran so gereizt?

Auf diese Menschen und ihre Geschichten bin ich bei meinen New-York-Aufenthalten gestoßen, das hat mich unglaublich fasziniert. Brighton Beach liegt fast eine Stunde U-Bahn-Fahrt von Manhattan entfernt. Es wirkt fast europäisch, ein Stadtteil voller neuer und alter Immigranten. Hinzu kam die Begegnung mit Schauspielern wie George Tabori und Otto Tausig, dann die Erzählungen von Isaac B. Singer. In Deutschland fehlen diese Persönlichkeiten, bestimmte Stimmen sind uns für immer verloren gegangen. Ich war neugierig, habe diese Menschen gesucht, ihre Schicksale kennengelernt und dabei auch so viel über Deutschland erfahren.

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