Mürvet Özturk über Asylpolitik: „Grüne Grundwerte verblassen“

Die Abgeordnete Mürvet Özturk ist mit der schwarz-grünen Asylpolitik in Hessen unzufrieden: Aus Protest trat sie nun aus der Grünen-Fraktion aus.

Mürvet Öztürk

Feldbetten für Flüchtlinge in einer Turnhalle in Stern-Buchholz bei Schwerin. Foto: dpa

taz: Frau Öztürk, warum sind Sie aus der Grünen-Fraktion im Hessischen Landtag ausgetreten?

Mürvet Öztürk: Ich bin schon seit Längerem nicht mehr zufrieden mit der Flüchtlingspolitik, die wir in der schwarz-grünen Koalition machen.

Warum?

Es fehlen die Konzepte für die Unterbringung und die Integration der Flüchtlinge, also das, was den Kern grüner Politik ausmacht. Wir haben uns zum Beispiel zu wenig um niedrigschwellige Deutschkurse in den Erstaufnahmeeinrichtungen oder die Einbeziehung auf dem Arbeitsmarkt gekümmert. Grundsätzlich gilt: Was der Bund nicht zeitnah liefern kann, muss die Landesebene abfedern und eigene Projekte anstoßen. Aber da passiert nicht genug, obwohl ich mehrfach versucht habe, Dinge anzustoßen.

Mürvet Öztürk, geboren 1972, ist seit 2001 Mitglied der Grünen. Im Januar 2008 zog sie in den Wiesbadener Landtag ein, dort war sie bis zuletzt Sprecherin für Integration und Migration.

Ist das ein rein hessisches Problem?

Auf Bundesebene fordern die Grünen das Richtige. Doch wichtig ist, was in den Ländern geschieht, wo wir Regierungsverantwortung haben, und wie diese im Bundesrat abstimmen. Ein Beispiel: Ich halte die Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten, die aktuell diskutiert wird, für Unfug. Sie hat inden 90ern nicht funktioniert und wird auch in Zukunft nicht funktionieren. Das Asylrecht ist ein Menschenrecht und darf nicht weiter ausgehöhlt werden.

Die Bundesregierung will das – was wollen die Grünen?

Das hängt für einige Grüne davon ab, was verhandelt wird und was dabei herauskommt. Daher befürchte ich, dass die zweite Verschärfung kommt. Und ich vermute, dass dies im Bundesrat Unterstützung von Teilen der Grünen finden wird. Dann würde ich die Partei verlassen.

Sind Sie mit Ihrer Fraktion grundsätzlich unzufrieden?

Die Bundesregierung hat 2014 Bosnien und Herzegowina, Serbien und Mazedonien zu „sicheren Herkunftsstaaten“ erklärt, um Asylbewerber von dort schneller ablehnen zu können. Jetzt will sie diese Liste um Albanien, Kosovo und Montenegro erweitern. Die Grünen sind offiziell kategorisch dagegen.

Mein Eindruck ist: Seitdem sich die Grünen in Hessen in einer Koalition mit der CDU befinden, vertreten sie ihre Grundwerte nicht mehr so laut, wie sie es früher getan haben. Aber mir sind diese Positionen, die mit Grundwerten verbunden sind, wichtig. Es geht hier um Menschen, die zu uns kommen – und um Grundrechte. Das sollten die Grünen nicht einfach aufgeben.

Haben sich die Grünen an der Macht verändert?

Eine Koalition bedeutet immer Kompromisse. Aber es muss rote Linien geben. Meine rote Linie ist die Flüchtlings- und Integrationspolitik. Man muss Strukturen schaffen oder vorhandene Strukturen so verändern, dass sich Menschen hier von der ersten Stunde an orientieren, ehrenamtliche Helferinnen und Helfer Unterstützung finden, Traumatisierte behandelt werden können. Geflüchtete aus den Balkanstaaten haben andere Fluchtgründe als beispielsweise Syrier, aber auch wirtschaftliche und soziale Not sind Schutzgründe. Für diese Menschen muss man dann eben legale Statuswechsel ihres Aufenthalts ermöglichen und Arbeitsmöglichkeiten schaffen, wenn sie schon hier sind. Ein Einwanderungsgesetz ist gut und wichtig, doch bis es geschrieben und beschlossen ist, können wir nicht alle Schutzsuchenden aus dem Balkan abschieben.

Sind sie die Einzige, die so denkt?

Da kann ich nur für mich sprechen. Aber ich war mit einigen Entscheidungen in der Koalition nicht zufrieden. Das war die Enthaltung der Grünen bei der Einrichtung des NSU-Untersuchungsausschusses, für den wir Grünen uns vor der Landtagswahl lange eingesetzt hatten. Das war aber auch der Umgang mit dem Kollegen Hans-Jürgen Irmer, einem CDU-Rechtsaußen. Ausgerechnet er bekam den Vorsitz im Unterausschuss für Heimatvertriebene, Wiedergutmachung und Flüchtlinge.

Sie bleiben als fraktionslose Abgeordnete im Landtag. Was wollen Sie dort tun?

Ich will für die Menschen zur Verfügung stehen und auch die Flüchtlings- und Integrationspolitik weiter begleiten. In meiner Freizeit engagiere ich mich stark für Geflüchtete und will die Dinge, die ich dort erlebe, in den Landtag tragen. Aber ein wenig freier und ungefilterter als bisher. Mit den Linken, der SPD beispielsweise, aber auch den Grünen oder der CDU, wenn sie vernünftige Vorschläge machen.

Ist Schwarz-Grün ein Irrweg?

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass mit Schwarz-Grün die asyl- und flüchtlingspolitischen Fragen schwerer voranzubringen sind als mit Rot-Grün. Dort habe ich auf kommunaler Ebene mit der Zusammenarbeit gute Erfahrungen gemacht. Und ja, in der aktuellen Situation scheint mir eine vernünftige Politik im Sinne der Flüchtlinge in der Koalition mit der CDU nicht machbar.

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