Muslime in Großbritannien: Islam ist nicht gleich Islam

Wie halten es Muslime mit der Terrororganisation „Islamischer Staat“? Diese Frage spaltet in London auch Araber und Asiaten.

East London Mosque Bild: ap

LONDON taz | Salman Farsis Schreibtisch lässt auf intensive Beschäftigung mit den Medien hindeuten. Zwei Bildschirme stehen zwischen Papierhaufen, darunter liegt ein Memorandum: „Wie man mit journalistischen Recherchen umgehen muss“. Die vielen Akten in dem kleinen Büro lassen die kunstvollen Gemälde mit dem arabischen Namen Gottes fast unscheinbar wirken.

„Meistens sind wir das Problem“, gesteht der 29-jährige Sprecher von Großbritanniens größter Moschee: East London Mosque. Bis zu 7.000 Gläubige vereinen sich darin zuweilen im Gebet.

Die große Moschee im Osten Londons gilt in manchen Berichten auch als Zentrale zur Rekrutierung britischer Freiwilliger für die Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS) in Irak und Syrien: das „Islamische Forum Europa“, das angeblich Dschihadisten in den Mittleren Osten schleusen oder dies zumindest gutheißen soll, war ein Mitgründer der Moschee und unterhält dort bis heute Büros.

So manche Eltern seien in die Moschee gekommen und hätten beklagt, dass ihr Sohn oder ihre Tochter verschollen seien, wahrscheinlich in Richtung Syrien, bestätigt Farsi. Dschihad, sagt er, sei allerdings ausschließlich eine „spirituelle“ Angelegenheit.

Die britische Regierung will am Mittwoch eine neue Gesetzesvorlage zur Terrorbekämpfung vorlegen, die bisherige Maßnahmen bedeutend verschärft und noch vor den Wahlen im Mai 2015 durchs Parlament gehen soll. Die wichtigsten Punkte in Übersicht:

Radikalisierung verhindern: Schulen, Universitäten, Polizei, Haftanstalten, Bewährungsdienste und Gemeindeverwaltungen müssen „helfen, zu verhindern, dass Menschen in den Terrorismus hineingezogen werden“. Sie können gerichtlich gezwungen werden, entsprechende Richtlinien des Innenministeriums zu befolgen, beispielsweise zum Verbot extremistischer Redner in Universitäten.

Reise- und Bewegungsfreiheit einschränken: Terrorverdächtige – ob Briten oder Ausländer – dürfen innerhalb Großbritanniens zum Umzug gezwungen und ihre Reisedokumente bis zu 30 Tage lang eingezogen werden. Die Hürde zur Einstufung eines Terrorverdächtigen wird von „vermutlich“ auf „wahrscheinlich“ gesenkt.

Einreise verhindern: Terrorverdächtige Briten im Ausland können nicht nur an der Ausreise, sondern auch an der Einreise gehindert werden. Fluglinien, die die nötigen Passagierdaten nicht übermitteln, dürfen Großbritannien nicht mehr anfliegen.

Lösegelder stoppen: Private Lösegeldzahlungen an Terroristen, die Geiseln genommen haben, sowie Versicherungen dafür werden verboten.

Datenverkehr überwachen: Die bereits erlaubte Vorratsdatenspeicherung soll von Verbindungsdaten auf Inhalte erweitert werden; dies wird aber erst mit einem neuen Gesetz nach den Wahlen 2015 möglich sein. D.J.

Distanzierung beim Freitagsgebet

Mit Hashtag-Kampagnen auf Twitter wie #notinmyname oder #takingastand, einer Videokampagne auf YouTube sowie Aussagen des Muslim Council of Britain und Distanzierungen vom IS beim Freitagsgebet in allen Moscheen haben die Muslime es mehrheitlich geschafft, nicht ins Fahrwasser der Radikalen zu geraten.

Als der Brite Alan Henning, freiwilliger Lkw-Fahrer eines Hilfskonvois in Syriens Kriegszone, vom IS vor laufender Kamera hingerichtet wurde, war die Empörung unter britischen Muslimen so heftig, dass sogar das Boulevardblatt Sun auf Seite eins „Vereint gegen IS“ titelte und dazu eine Frau mit Union Jack als Kopftuch abbildete. Scotland Yard sagt, dass sich immer mehr Muslime an den britischen Geheimdienst wenden, was in diesem Jahr zu ungewöhnlich vielen Festnahmen von Terrorverdächtigen geführt habe.

Die East London Mosque entstand einst mit mit saudi-arabischer Unterstützung und erfuhr mehrere Zubauten über die Jahre, inklusive einem neuen riesigen Frauenzentrum. Vom ersten Stock aus, wo Farsis Büro liegt, kann man durch ein Fenster in den riesengroßen Gebetsraum mit grün-rotem Teppich blicken. Um die Mittagszeit, es ist Freitag, ist die Moschee proppenvoll. Sogar in den Seitenzimmern und Vorräumen lassen sich Menschen zum Gebet nieder.

Geschäftsmann Ahmed Hamun, 38, im schicken grauen Anzug, bevorzugt diese Moschee aufgrund ihrer Vielseitigkeit, „weil hier sowohl auf Englisch als auch auf Urdu und Arabisch gelehrt wird“. Seine Eltern gingen noch zu Moscheen, in denen kaum Englisch gesprochen wurde. Fiona Shaik Umar, 25, eine schlanke konvertierte Irin mit schwarzem Hijab, findet, dass die Moschee trotz ihrer Größe eine Familienatmosphäre ausstrahlt.

Nicht alles läuft harmonisch in dieser Gegend. Vor einem Jahr pöbelte eine Vigilantengruppe namens Muslim Patrol in der Umgebung der Moschee Nichtmuslime an. Die meisten wurden festgenommen und zu Freiheitsstrafen verurteilt. Farsi behauptet, die Moschee selber habe damit nichts zu tun gehabt.

Das war nicht die einzige Schlagzeile, die auf die Moschee verwies. Sie liegt im Stadtbezirk Tower Hamlets, geführt vom muslimischen Labour-Bürgermeister Lutfur Rahman. Der gilt mittlerweile als so korrupt, dass die Zentralregierung dabei ist, die Direktverwaltung über den Bezirk zu übernehmen. Kommunalwahlen seien gefälscht und staatliche Fördergelder veruntreut worden, so die Vorwürfe. Tower Hamlets mit 35 Prozent muslimischen Bevölkerungsanteil, zumeist Einwanderer aus Bangladesch, verwandle sich in eine „islamische Republik“, fürchteten manche konservative Kommentatoren.

In der East London Mosque, beeinflusst vom saudischen Wahhabitentum, distanziert man sich von den Sitten des indischen Subkontinents. Der 27-jährige Moscheemitarbeiter Juber Hussein behauptet, er habe erst vor Kurzem in Bangladesch miterlebt, wie groß die Unterschiede seien. „Beim Begräbnis meines Onkels haben viele zu seiner Anerkennung Gebete in Richtung seines Grabes gemacht. Man muss das aber gen Mekka tun.“ Hussein sagt, er habe hier in der Moschee Zugang zu einem verbesserten, reineren Islam.

Gegen die Arabisierung des Islams

Rund 1.600 Moscheen gibt es in Großbritannien, nur etwa 60 davon gelten als wahhabitisch angehaucht. Im nordenglischen Bradford, wo im Jahr 2001 Aufstände marginalisierter Jugendlicher mit Familienhintergrund aus Pakistan und Bangladesch tobten, stellte man sich damals nicht nur gegen Angriffe von Rechtsradikalen, sondern auch gegen die Arabisierung des Islam.

„London ist durch seine höhere Anzahl von Menschen aus der arabischen Welt konservativer“, sagt ein Jugendarbeiter aus Bradford. Aber es sei falsch, den Islam mit arabischer Tradition gleichzusetzen. „Die Trachten Indonesiens oder Indiens sehen ganz anders aus als in Saudi-Arabien. In manchen Gemeinden tut man aber so, als sei die arabische Art die einzig richtige.“

Solche Debatten bleiben Nichtmuslimen meist verborgen, aber ohne sie versteht man nicht, wie unter Muslimen über den IS gestritten wird. Farsi, dessen Großvater in der britischen Marine diente, beschreibt die Hashtagkampagne gegen den IS als Anfang eines Gesprächs mit Nichtmuslimen. „Wer will, dass unsere jüngeren Generationen nicht in die Arme von Ideologen mit Tunnelblick rennen, muss uns ein gesellschaftliches Mitspracherecht geben“, fordert er. „Man darf uns nicht andauernd als Sündenbock und unerwünschtes Element in der britischen Gesellschaft verteufeln.“

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