NS-Opferrente: Senatorin pfeift Sozialämter zurück

Viele russische Kriegsopfer in Berlin müssen von 364 Euro Grundsicherung leben. Manche Sozialämter ziehen davon noch Entschädigungsgelder ab. Die Sozialsenatorin hat das nun verboten.

6.000 Euro sollte eine aus Russland eingewanderte Berlinerin dem Sozialamt zurückzahlen. Die Frau hatte ihre Entschädigungsrente, die sie als Überlebende der Leningrader Blockade aus Russland erhält, nicht gemeldet. Nun wollte das Sozialamt die Grundsicherung mit der Entschädigung verrechnen. "Das ist doch aber nicht der Zweck einer solchen Entschädigung", sagt Irene Runge, die bei der Verwaltung auf eine Grundsatzentscheidung drängte. Für jüdische Verfolgte des Nazi-Regimes sowie für Stasi-Opfer gebe es die Aufrechnung auch nicht, sagt die ehemalige Vorsitzende des Jüdischen Kulturvereins. Sozialsenatorin Carola Bluhm (Linke) stellte nun klar: Russische Opferrenten werden nicht auf die Grundsicherung im Alter angerechnet.

Es war die Zeit nach dem Mauerfall bis Mitte der 1990er, in der es die meisten Einwanderer aus Russland nach Deutschland zog, viele davon nach Berlin. So wie Rudolf Rosenberg. Der heute 86-Jährige flüchtete 1935 vor den Nazis in die Sowjetunion, nach Leningrad. "Für Amerika und England brauchte man viel Geld", sagt Rosenberg. Doch der Krieg kam bis Leningrad: Von 1941 bis 1944 belagerte die Wehrmacht die Stadt. Ihr Ziel: Die Bevölkerung der Stadt systematisch verhungern zu lassen. Mehr als eine Million Leningrader fielen dem Kriegsverbrechen zum Opfer. Rosenberg kämpfte in dieser Zeit gegen die Wehrmacht und ums Überleben. Als er Ende der 1980er in den Ruhestand ging, bekam er wie alle staatlich anerkannten Überlebenden der Blockade eine Entschädigungsrente - umgerechnet etwas mehr als 100 Euro im Monat.

Seit 1993 lebt Rosenberg wieder in Berlin und engagiert sich in Organisationen der Leningrader Überlebenden. Etwa 200 seien es in Berlin. Noch, sagt Rosenberg. "Allein im letzten Jahr mussten wir sieben begraben." Die übrigen müssten sich, genau wie die Opfer des Stalingrader Kessels, einmal im Jahr in eine riesige Schlange vor dem russischen Konsulat stellen. Um zu zeigen, dass sie noch leben, und um ihre Rentenansprüche nicht zu verlieren.

Rosenberg kann von seiner normalen Altersrente leben. Viele andere russische Kriegsüberlebende sind aber auf die Grundsicherung im Alter angewiesen: 364 Euro im Monat. Manche Sozialämter zogen davon noch die Entschädigungszahlungen ab, weil sie im Russischen schlicht als "Renten" bezeichnet werden.

Während es für andere Städte schon Regelungen gibt, brauchte es in Berlin erst einen extremen Fall, um auf das Dilemma aufmerksam zu machen. Inzwischen hat die Sozialsenatorin ein Rundschreiben an die Sozialämter versandt und will in der Runde der Sozialminister eine bundesweite Lösung anregen.

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