Klimakultur: Krawall für eine bessere Welt

Philosophie-Studentin Jasmine Opie kämpft mit „Divest Harvard“ dafür, dass eine der besten Privatunis der Welt ihr Geld aus Kohle und Öl rauszieht.

Jasmine Opie wuchs in einer umweltbewussten Familie auf. Doch was ihre Eltern machten, reichte ihr bald nicht mehr aus Bild: Johannes Gernert

In der Woche, bevor sie den Boston-Marathon laufen wird, sitzt Jasmine Opie vor einer grünen Tür auf dem Campus von Harvard und versucht, die Klimakatastrophe aufzuhalten. Sie ist nicht allein, sie sitzen in Tag-und-Nacht-Schichten. Mindestens drei Studentinnen vor jedem Eingang der Massachusetts Hall, auch wenn es noch nicht besonders warm ist in diesem April des Jahres 2015, manchmal nur fünf Grad.

Die Massachusetts Hall ist das älteste Gebäude Harvards, erbaut zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Ein Klinkerblock am Rande des Campus. In den ersten drei Stockwerken residiert die Verwaltung der Universität, auch die Präsidentin. Sie soll jetzt nicht mehr arbeiten können. Eine Woche lang halten die Aktivistinnen die Besetzung durch. In einer der Nächte präsentieren sie ihre Botschaft auf leuchtenden Bannern: „Divest from Fossil Fuels.“ Stoppt die Investitionen in fossile Brennstoffe.

Jasmine Opie, 22 Jahre alt, Studentin der Philosophie, ist eine der Koordinatorinnen dieser Studentenbewegung. Gäbe es bei ihnen so etwas wie Chefs, dann wären es die Koordinatoren, sagt Opie. Chefs gibt es zwar nicht. Aber Jasmine Opie redet wie jemand, der die Rolle gut ausfüllen kann. Es ist einer dieser viel zu heißen Sommertage an der Ostküste, pralle Sonne über Cambridge, und Opie hat sich auf einen der bunten Stühle gesetzt, die auf der Wiese vor der Massachusetts Hall unter den Bäumen stehen. Ihre Shorts sind sportlich kurz, ihr bauchfreies Top hat keine Ärmel. Wenn man sie nicht unterbricht, hört Opie nur ungern auf zu reden.

Make the world a better place

Obwohl es um den Weltuntergang geht, oder wenigstens um dessen Abwendung, wirkt sie nicht abgeturnt, sondern aufgedreht. Vielleicht machen das neben ihrem Redefluss, der allein mindestens dreikommasieben Wasserkraftwerke am Laufen halten könnte, ein wenig auch die vielen Sommersprossen. „Divest Harvard“ hat eine einfache Forderung: Die Universität, die zu den besten Privatunis der Welt zählt, soll die Gelder ihrer Stiftung nicht in Kohle oder Öl investieren.

Es geht um 35,9 Milliarden Dollar. Wie viel davon derzeit in Ölaktien oder Kohlepapiere angelegt ist, lässt sich nicht genau sagen. Jasmine Opie findet, dass es zu viele Studenten gibt, die sich selbst sagten, sie müssten jetzt erst einmal studieren, um später dann, wenn sie ihren Abschluss hätten, die Welt ändern zu können. „Aber als junger Mensch habe ich doch die Macht, die Welt zu ändern, in der ich lebe“, sagt sie. Jetzt.

Erst studieren, dann protestieren? – Opie will schon jetzt etwas bewegen Bild: dpa

Mit ihrer Besetzung wollten sie klarmachen: „Wir stören die Geschäfte der Universitätsverwaltung, weil sie ein Thema ignoriert, bei dem sie eine entscheidende Rolle spielen könnte.“ Opie sagt „disrupt“, als sie „stören“ meint. Das ist das Verb, das auch Start-up-Gründer gern verwenden, wenn sie davon sprechen, dass sie den Status quo erschüttern wollen. In beiden Fällen heißt die Gleichung: Disrupt = Make the world a better place. Sie stellen sich unter einer besseren Welt nur jeweils etwas anderes vor.

Divestment-Versprechen

Divest Harvard ist weit über den Campus von Cambridge hinausgewachsen, seit die Studentenbewegung vor gut drei Jahren anfing. Stanford liegt am anderen Ende der USA, an der Westküste, ist Harvards größter Exzellenzrivale und die Universität mit der höchsten Absolventenquote selbsternannter Weltverbesserer. Auch Stanford hat angekündigt, wenigstens aus der Kohle auszusteigen.

Neben zahlreichen Universitäten haben sich auch Unternehmen angeschlossen. Kürzlich erst verkündete Oslo, bei seinen Finanzanlagen von Öl, Kohle und Gas zu lassen. Als erste Hauptstadt der Welt. Im September 2014 schon hatte der Rockefeller Funds mitgeteilt, sein Portfolio von Ölinvestitionen zu reinigen, weil sie einfach zu riskant seien. Wenn selbst die Familie der alten Ölmagnaten sich vom Öl verabschiedete, wer konnte die Bewegung da noch aufhalten?

2,6 Billionen Dollar würden langfristig abgezogen, wenn sich alle 452 registrierten Institutionen an ihre Divestment-Versprechen halten, meldet die Website gofossilfree.org. Universitäten und Schulen machen einen Anteil von neun Prozent aus, die größten Divestoren sind religiöse Gruppen und Stiftungen. Selbst Leonardo DiCaprio ist dabei. In Harvard weigert sich die Präsidentin der Universität auch nach der Besetzung vom Frühjahr, die Anlagestrategie zu ändern.

Eine politische Investition

Eines ihrer Abwehrargumente: Die Gelder abzuziehen, sei ein zu politischer Akt für eine Bildungseinrichtung wie die ihre. „Wenn das politisch ist, dann ist es die Investition an sich doch mindestens genauso“, sagt Jasmin Opie nur ein bisschen spöttisch. Zwischendurch lacht sie immer wieder mal, auch sehr laut, wie man so lacht, wenn man vier Fünftel des Lebens noch vor sich hat, und manchmal streut sie kleine Ironien ein, die man bei ihrer Geschwindigkeit fast überhört.

Sie hätten ihre Zelte bei der Campusbesetzung nicht Zelte genannt, das habe manche zu sehr an Occupy erinnert, die andere Bewegung, die hier nicht alle mochten. Deshalb hießen die Zelte Protestpavillons. „Wir knüpfen an eine lange Geschichte des studentischen Aktivismus an“, sagt Jasmine Opie. Kommilitonen haben Semesterarbeiten dazu geschrieben, wie Studenten versuchten, das Apartheidregime in Südafrika oder die Tabakkonzerne finanziell auszutrocknen.

Jasmine Opie, die kein Smartphone besitzt, sondern einen vormodernen Handy-Klotz, ist gar nicht allzu weit von Cambridge aufgewachsen, auf der Urlaubshalbinsel Cape Cod, von der auch der Kennedy-Klan stammt. Sie hat eine Zwillingsschwester. Eine Zeitlang wurden sie zu Hause unterrichtet. Im Garten ihrer Familie stand ein Windrad. Die Trucks, mit denen der Vater seine Boote transportierte, liefen mit Pflanzenöl. Weil das Öl die Filter schnell verstopfte, tuckerten sie manchmal mit zehn Meilen pro Stunde die Ostküste herunter.

Verhaltensänderung allein reicht nicht

Opie hat sich von der umweltbewussten Familientradition nie distanziert. „Wie kann man solche Werte bitte ablehnen – zumindest, wenn man seine Mitmenschen nicht hasst?“ Sie hat stattdessen beschlossen, die Tradition zu erweitern. In Harvard machte sie gleich beim Environmental Action Committee mit. Sie sammelten Unterschriften, um Glühbirnen auf dem Campus auszutauschen, brachten Plaketten in den Waschräumen an, die niedrigere Duschzeiten einforderten, und setzten sich für ein Verbot von Plastikflaschen auf dem Campus ein.

Das Engagement, sagt Opie, habe ihr geholfen, ihre Balance zwischen Verhaltensänderung und strukturellem Umbruch zu reflektieren. Mit dem etwas unbequemen Ergebnis, dass die Verhaltensänderung allein wohl nicht reichen würde. „Es wird der Dringlichkeit der Sache nicht gerecht“, sagt Opie. Was ihre Eltern machten, war gut. Aber es war nicht genug. Wenn sie ehrlich zu sich war, musste sie mehr tun.

Jasmine Opie wollte ehrlich zu sich sein. Es sei ihr irgendwann aufgefallen, wie überproportional viel Glück sie habe. Hier in Harvard. Die Erkenntnis hatte für sie eine dunkle Seite. Was würde sie jetzt daraus machen? „Ich bin mir auch nicht ganz sicher, ob solche Schuldgefühle der beste Motor für diese Art von Aktivismus sind. Aber so war‘s nun mal“, sagt Opie, die die Dinge beim Reden gern mehrfach dreht und wendet, um auszuschließen, dass sie einen Aspekt übersehen hat.

Das große Ganze infrage stellen

Man könnte die Strömung, der sie anhängt, vielleicht logischen Idealismus nennen. Für sie und ihre Mitstreiter, da sind sie dann irgendwie auch pragmatisch, ist die Divestment-Methode vor allem ein politisches Instrument, gar nicht so sehr ein finanzielles. Es scheint einer der besten Hebel, die sie gerade zu fassen kriegen. Er hilft, zu hinterfragen, warum weiter Öl und Kohle verheizt werden, obwohl jedem, der bis zwei zählen kann, klar ist, dass die Zukunft anders aussehen muss. Und er garantiert Aufmerksamkeit für ihr Thema. Man kann etwas Konkretes tun oder fordern und stellt damit das große Ganze infrage.

Absolventen der Harvard University. Nicht alle KommilitonInnen teilen Opies Kapitalismuskritik Bild: Reuters

Es ist sofort klar, dass es um etwas Grundlegendes geht, nicht nur um ein paar hausmeisterhafte Hinweisschilder in den Duschen. Obwohl natürlich auch die wichtig sind, sagt Opie. In ihrem ersten Sommer in Harvard hat Jasmine Opie Kant gelesen. Grundsätzliche moralische Fragen, die auch den Klimawandel betreffen können. Fand sie eher weniger überzeugend. In diesem Sommer hat sie sich mit Geschlechter- und Rassenpolitik befasst. Weniger Klimawandel, mehr soziale Gerechtigkeit. Aber auch da sieht sie Verbindungen: Wohnen nicht gerade in der Umgebung der übelsten fossilen Kraftwerke vor allem Unterprivilegierte?

Cornel West, der schwarze Bürgerrechtsaktivist, hatte sie in der Woche ihres Protest besucht. Er sprach gar von einem „globalen Selma“. Man müsse nun gut überlegen, auf welcher Seite man stehe. Selma, der Ort, in dem Polizisten des Staates Alabama auf Aktivisten um Martin Luther King einprügelten. Im Verwaltungsrat von Harvard gibt es eine einzige geoutete Befürworterin des Divestments und den einen oder anderen stillen Sympathisanten. Es gehe aber eben auch um die Symbolwirkung, sagt Opie. Jenseits der messbaren Erfolge. Und klar, man könne das auch als Kapitalismuskritik verstehen, sagt sie. „Am Kapitalismus in seiner jetzigen Form“, fügt sie dann hinzu.

Engagement von historischer Bedeutung

Es gebe da einige in der Gruppe, die würden ihre grundsätzliche Kapitalismusskepsis nicht teilen. Deshalb die Einschränkung. Man merkt, dass sie Lust am Diskutieren hat. Im Zweifel sucht sie den Weg an der schlechten Laune vorbei. Ihr findet Zelte blöd? Weil ihr Occupy nicht mögt? Wir haben doch gar keine Zelte, das sind Protestpavillons. Manche fragten nun, sagt Opie, wo das denn hinführen solle, dieses ethische Investieren. Erst kein Öl mehr, keine Kohle. Irgendwann auch kein Alkohol? Kein Zucker? Hätte sie auch kein Problem mit, sagt sie. Jedes Investment müsse überdacht werden.

Gleichzeitig möchte sie auch noch mal klarstellen: Sie wollten keinen Stress mit den Arbeitern in Kohleminen. Die hätten Angst, das sei ihnen klar. Da müsse man eben bessere Jobs finden. Und wenn einem das alles angesichts der fortschreitenden Klimaerwärmung, der spärlichen Fortschritte internationaler Klimapolitik im Allgemeinen und der Veränderungsresistenz in Harvard im Besonderen etwas zu düster vorkomme, dann müsse man die Dinge doch bitte einmal historisch betrachten, mahnt Opie fröhlich weiter.

Historisch betrachtet sei es doch immer so gewesen, dass da erst ein paar melodramatische Krawallheinis für Unruhe sorgen und im Laufe der Zeit erscheinen sie als die Leute, die eine Veränderung gebracht haben, die der ganzen Gesellschaft plötzlich völlig logisch vorkommt. Man müsse sich nur mal die Bürgerrechtsbewegung ansehen. „Ich denke, auf das, was wir gerade tun, wird die Geschichte einmal zurückblicken als etwas, das zwar schwierig war, aber auf lange Sicht nicht so hoffnungslos, wie es anfangs schien“, sagt sie. Wenn man dort sei, wo der Wandel gerade stattfinde, fühle es sich nie so an, als ob das Ziel näherkomme – bis es dann doch plötzlich da sei.

Man darf eines nicht vergessen: Jasmine Opie ist Marathonläuferin.

Johannes Gernert

Das Porträt ist erschienen in zeozwei 1/16. Gerne können Sie den Artikel auf unserer Facebook-Seite diskutieren.