Zum Umgang mit Flüchtlingen: Den Letzten beißen die Hunde

Die Politik versagt und schiebt Überforderung als Grund vor. Dadurch wird die Hilfe von Ehrenamtlichen notwendig und das dürfte nicht so sein.

Flüchtlinge warten im September auf dem Hauptbahnhof in München

Ein Leben in der Warteschleife: Flüchtlinge am Hauptbahnhof in München Foto: dpa

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán behauptet, an der Flüchtlingskrise seien nicht etwa seine Politik oder die EU schuld. Sondern Deutschland. Weil es den Hilfesuchenden dort zu gut geht. Wenn man diese unmenschliche Logik zu Ende denkt, dann lässt sich auch sagen: Die Verhältnisse in Syrien sind kein syrisches Problem, sondern ein deutsches – was sich unschwer daran erkennen lässt, dass derzeit sehr viel mehr Leute lieber in Hamburg als in Aleppo leben wollen.

So offen wie Orbán hat nur selten ein Spitzenpolitiker zum Rechtsbruch aufgerufen. Er bemüht sich nicht einmal mehr um den Anschein, die Genfer Flüchtlingskonvention – also geltendes Völkerrecht – beachten zu wollen. Ein großes Risiko geht er damit nicht ein. Selbst wenn Ungarn von einem anderen Staat verklagt werden sollte: Dann wird man eben behaupten, „überfordert“ zu sein.

Das ist ja derzeit überall die Entschuldigung für das Versagen von Politik und Adminis­tration. Dabei entpuppt sich der Begriff der Überforderung täglich mehr als scheinheilig. Die Bilder gestrandeter Flüchtlinge, denen es am Nötigsten mangelt, wirken inszeniert. Auch und gerade in Deutschland.

Kommunen scheinen damit dem Bund deutlich machen zu wollen, dass mehr Geld zur Verfügung gestellt werden muss; der Bund will offenbar den Druck auf die EU-Partner erhöhen. Den Letzten beißen die Hunde. Das sind in diesem Fall: die Flüchtlinge.

Ohne die eindrucksvolle Hilfe erstaunlich großer Teile der Bevölkerung müssten noch mehr Notleidende im Freien übernachten oder ohne warme Mahlzeit auskommen. Deshalb ist die Hilfe notwendig. Was nichts daran ändert, dass sie es nicht sein dürfte. Es ist absurd, dass die Erstversorgung von Kriegsvertriebenen in Europa man­cher­orts schlechter ist als in den ärmsten Regionen dieser Welt. Derzeit ist man zunächst oft besser dran, wenn man in Afrika strandet, als wenn man in Berlin landet.

Zugegeben: In einigen Bereichen kommen selbst reiche Staaten wie Deutschland vermutlich nicht ohne Ehrenamtliche aus. Beim Sprachunterricht für Flüchtlingskinder, beispielsweise. Dafür kann kein Bundesland in einer Situation wie dieser genügend Lehrkräfte „vorhalten“; jede entsprechende Forderung wäre unrealistisch.

Aber Wohnraum, Nahrung, sanitäre Einrichtungen und medizinische Versorgung von Notleidenden: Das sind staatliche Aufgaben, dafür werden Steuern gezahlt. Wenn Ehrenamtliche erst einmal damit angefangen haben, die öffentliche Hand zu entlasten, dann ist der Weg zum Nachtwächterstaat nicht mehr weit. Auch das ist eine der Gefahren, die hinter der gegenwärtigen Situation lauern.

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