Parlamentswahl in Armenien: 20 Euro für eine Stimme

Damit die Wähler Anfang April „richtig“ abstimmen, lässt die Regierungspartei einiges springen. Die Opposition ist leider auch nicht besser.

Blick auf die armenische Hauptstadt Jerewan

Noch ist vom Wahlkampf nicht viel zu sehen: die armenische Hauptstadt Jerewan Foto: Imago / robertharding

JEREWAN taz | „Fortschritt und Sicherheit!“ lautet der Slogan auf den Flyern der regierenden Republikanischen Partei mit der Listennummer sechs. Sie liegen in den Treppenhäusern von Plattenbauten aus oder kleben an den Wohnungstüren.

Auf den großen Straßen in der armenischen Hauptstadt Jerewan blicken angegraute und viele merklich noch reifere Männer von Billboards auf Passanten hinab. Mehr weist nicht darauf hin, dass am 2. April in der Südkaukasusrepublik ein neues Parlament gewählt wird.

Dabei ist der bevorstehende Urnengang, der erste seit einer Verfassungsänderung und der Einführung eines parlamentarischen Systems 2016, durchaus ein Thema. Nicht das Ergebnis, versteht sich. Denn es ist klar, dass in Armenien, das seit seiner Unabhängigkeit von der Sowjetunion 1991 noch keinen demokratischen Machtwechsel hinbekommen hat, wieder die Republikaner abräumen werden. Vielmehr versetzt die WählerInnen in Wallung, wer – wieder einmal – wann, wo und wie dreist fälscht.

Die Journalistin Shahane Khachatryan kann zumindest dem neuen Wahlgesetz etwas abgewinnen. „Es werden in den Wahllokalen Überwachungskameras installiert, die WählerInnen müssen einen elektronischen Fingerabdruck abgeben und die Listen derer, die abgestimmt haben, werden veröffentlicht“, sagt sie. Das stellt zumindest sicher, dass am Wahltag nur lebendige Personen wählen und nicht, wie bisher Usus, auch solche, deren Leiber auf Friedhöfen vor sich hin faulen.

Freundlicher Hausbesuch

Da nun am 2. April bestimmte Sicherheitsvorkehrungen greifen, müssen die Aktivitäten für die Stimmakquise etwas vorverlegt werden. „Stimmenkauf“ lautet das Zauberwort gemäß des Mottos: Geben ist mindestens genauso selig wie nehmen.

Der Reporter Armen M. war unlängst bei einem Bekannten in Jerewan zu Gast. Eine Emissärin der republikanischen Partei klopfte an die Tür und erbat freundlich die Passdaten, flankiert von der Bemerkung, stimme der Hausherr für ihre Partei, werde sich diese erkenntlich zeigen.

Aber auch die Gegenseite zeigt sich freigiebig. Eine Frau, die in einer Provinzstadt im Auftrag der Oppositionspartei „Blühendes Armenien“ unterwegs ist, berichtet freimütig, wie sie von Haus zu Haus auf die WählerInnen zugeht. Diese würden dann in eine Liste aufgenommen und müssten zusichern, für die entsprechende Partei zu stimmen. Sie selbst müsse das Wohlverhalten am Wahltag überprüfen und mit einer bestimmten Summe honorieren. Diese belaufe sich auf 10.000 Dram, umgerechnet 20 Euro.

Das liegt im guten Mittelfeld. Der Hauptstädter kostet mehr und kann auf 30 Euro hoffen. Auf dem Land tun es bisweilen auch ein Sack Mehl oder andere Lebensmittel.

Kurzfristige Ummeldung

Artak Sargsyan, ebenfalls Kandidat für die Republikaner und Besitzer der Nobelsupermarktkette SAS mit einigen tausend Mitarbeitern, hat seine eigenen Methoden, um sich Wählerstimmen zu besorgen. Er fordert seine Untergebenen auf, sich kurzfristig in seinem Wahlkreis anzumelden, um dann für ihn zu stimmen. Wer sich widersetze, so die Ansage, müsse sich ein neues berufliches Betätigungsfeld suchen.

Mihran Hakobyan vom öffentlichen Fernsehsender Ararat, der für die Republikanische Partei kandidiert, kann an der Praxis des Stimmenkaufs nichts Verwerfliches finden. Es gebe da wohl eine gewisse Nachfrage. Recht hat der Mann! Bei einer vierköpfigen Familie in Jerewan macht das 120 Euro – fast ein monatliches Durchschnittsgehalt.

Viele fragen sich allerdings, wie das Abstimmungsverhalten der WählerInnen überprüft werden soll. Müssen sie, wie früher, mit ihrem Handy ein Foto des Stimmzettels machen und dann auf der Straße vorzeigen? Jede(r) bekommt am Wahltag neun Stimmzettel. Auf einem wird das Kreuz notiert, die restlichen acht wandern in der Kabine in einen Mülleimer. Und wenn nicht?

„Die Wahlen sind scheiße“, sagt Shahane Khachatryan. Sie überlegt, die Abstimmung zu ignorieren. Auch eine Möglichkeit.

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Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.

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