Medien und die Wahl in Frankreich: Eine Frage der Glaubwürdigkeit

ZDF-Moderator Claus Kleber und Korrespondent Theo Koll nennen Macron schon den künftigen Präsidenten. Haben die nichts gelernt?

Claus Kleber am Moderationstisch vom heute-journal

Ist ein wenig vorschnell: Claus Kleber Foto: ZDF / Klaus Weddig

Der öffentlich-rechtliche Journalismus ist wie ein Krebspatient, dem man ein Stück Lunge entfernt hat. Als hätte das, was ihn zerfrisst, nichts mit ihm zu tun, sitzt er im Rollstuhl vor der Kliniktür und raucht. Seine Vertreter sind getrieben. Vernunft ist es nicht.

Emmanuel Macron, einer von elf Kandidaten, die zur Wahl um das Amt des französischen Präsidenten angetreten sind, hat mit 23,75 Prozent die meisten Stimmen bekommen. Es folgt Marine Le Pen mit 2,22 Prozentpunkten weniger. Weil eine absolute Mehrheit ausblieb, wird es am 7. Mai eine Stichwahl geben.

Es hat 2016 zwei historische Wahlentscheidungen gegeben, die von den Wahlforschern nicht prognostiziert worden waren und die vom Gros der deutschen Journalisten als Entscheidung gegen den gesunden Menschenverstand gewertet wurden: der Brexit und die Wahl Donald Trumps.

Eine Menge Krokodilstränen

Das Geschrei und die Selbstgeißelung unter den Medienvertretern waren groß: Wieso haben wir diese Ergebnisse nicht vorhergesehen? Wo liegen die Versäumnisse unserer Analysen und Betrachtungen? Haben wir uns von Wunschdenken statt von Fakten leiten lassen?

Das alles wäre nur halb so brisant, lebten wir wie noch vor wenigen Jahren im Wattebausch unhinterfragter Akzeptanz von Politik und Medien. Doch der bis dahin sprachlose Bürger hat sich seiner Stimme besonnen und hinterfragt das scheinbar Feststehende. Und er stellt Konsens infrage. So etwa den, dass es einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk geben muss. Und auch, dass diesem Rundfunk zu vertrauen ist.

Auch hier ist das Geschrei derer, die infrage gestellt werden, groß. Die Fragen ähneln den oben genannten, gehen mit einer großen Menge an Krokodilstränen einher und münden mitunter in dem schwer erträglichen Selbstmitleid eines entmachteten Königs. Und wie so mancher, der um sein Leben fürchtet, werden Einsicht und Besserung gelobt.

Die profiliertesten Nachrichtenmänner des ZDF erheben sich im wahrsten Sinne des Wortes über die Stimme des Volkes, das diese erst noch abgeben muss

Sie missachten Realität

Doch die Einsicht ist vielerorts so fern, wie es bei Nicolae Ceauşescu im Moment seiner Hinrichtung die Erkenntnis war. Sie würde lauten: Wir verkünden nur das, was Fakt ist. Das ZDF „heute journal“ aber hat – als jüngstes Beispiel öffentlich-rechtlicher Ausdenkerei – am Wahlabend kein Problem damit, seine profiliertesten Nachrichtenmänner jenseits aller Fakten Macron als zukünftigen Präsidenten zu handeln, etwa, wenn Claus Kleber sagt: „Es ist ein Präsident, der als Außenseiter beginnt …“

Für das ZDF gibt es keine Wahl am 7. Mai. Für Kleber und den Leiter des Pariser Studios, Theo Koll, reicht eine in Aussicht gestellte Unterstützung Macrons durch die unterlegenen Parteien, um von ebendiesem als künftigen Präsidenten Frankreichs zu sprechen. Sie missachten damit nicht nur die Realität, sondern zeigen „dem Volk“ und der Diskussion um journalistische Glaubwürdigkeit auch ganz klar, was sie von ihnen halten: Sie sind ihnen egal.

Nicht nur, dass sie eine eventuelle, unvorhersehbare Wählermobilisierung Le Pens außer Acht und die wahlbeeinflussende Dynamik eines möglichen Terrorangriffs unbedacht lassen, Theo Koll und Claus Kleber erheben sich im wahrsten Sinne des Wortes über die Stimme des Volkes, das ebendiese erst noch abgeben muss, wenn Koll Macron „nächster Präsident“ nennt und Kleber ihn als „Sieger“ tituliert, ohne ihn als einen von zwei Siegern des ersten Wahlganges auszuweisen.

Man mag sich über die Frechheit dieses Vorgehens aufregen. Viel gewichtiger aber ist die Fahrlässigkeit im Umgang mit dem sensiblen Gut der journalistischen Glaubwürdigkeit durch die öffentlich-rechtliche Elite und das Fazit, das gezogen werden muss: Den Topjournalisten sind die Erkenntnisse der letzten anderthalb Jahre egal. Für sie liegt die Gefahr nicht in der Destabilisierung unserer Demokratie, sondern darin, als Mann vor der Kamera kein Gewicht zu haben.

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Silke Burmester war über 25 Jahre schreibende Journalistin. Von Anfang an auch für die taz. Hier hat sie u.a. Carla Brunis geheimes Tagebuch veröffentlicht und als „Die Kriegsreporterin“ von der Medienfront berichtet. Jetzt hat sie beschlossen, Anführerin einer Jugendbewegung zu werden und www.palais-fluxx.de für Frauen ab 47 gegründet, das "Onlinemagazin für Rausch, Revolte, Wechseljahre“. Für die taz wird sie dennoch ab und zu schreiben, logo!

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