Sexualisierte Gewalt: Frankreichs Justiz und der freie Wille

Sex mit Minderjährigen ist in Frankreich nicht strafbar, wenn eine Zustimmung erfolgte. Jetzt soll die Lücke im Gesetz geschlossen werden.

französische Ministerin für Geschlechtergleichheit Marlène Schiappa

Marlene Schiappa, Ministerin für Geschlechtergleichheit, spricht sich für einen Klarstellung des Gesetzes aus Foto: reuters

Für das Gericht war der Tatbestand einer Vergewaltigung nicht erfüllt. Eine Vergewaltigung gilt nur dann als eine solche, wenn „Zwang, Bedrohung, Gewalt oder Überrumpelung“ vorgelegen haben. Darauf steht in Frankreich eine Höchststrafe von zwanzig Jahren Haft. Das war nach Ansicht der Richter im Fall eines 30-Jährigen, der ein 11-jähriges Mädchen in einem Park missbraucht haben soll, nicht gegeben.

Ein eindeutig bestimmtes Schutzalter, vor dem sexuelle Kontakte mit Volljährigen automatisch als Vergewaltigung eingestuft werden, gibt es in Frankreich nicht. Der Angeklagte wurde deswegen am 7. November freigesprochen. Das Gericht akzeptierte damit die Darstellung der Verteidigung des Angeschuldigten, wonach die Minderjährige ihre Zustimmung gegeben habe. Das bestreitet diese jedoch.

Die Staatsanwaltschaft hat Berufung gegen das Urteil eingelegt. Kurz zuvor hatte bereits ein ähnliches Urteil Schlagzeilen gemacht. Ein 22-Jähriger hatte zugegeben, dass er mit einer 11-Jährigen, die sich seiner Darstellung zufolge als 14-Jährige ausgegeben hatte, nach einem „Flirt“ Geschlechtsverkehr hatte. Der Vergewaltigungsklage wurde auch in diesem Fall nicht stattgegeben.

Die Richter sind der Ansicht, dass sie sich an den Buchstaben der Paragrafen gehalten haben. Für die französische Gesellschaft aber bleibt dies höchst schockierend. Ist nicht schon die Autorität eines Erwachsenen gegenüber einem Kind in dieser Hinsicht gravierend? „Es wäre hirnverbrannt, zu meinen, dass sich ein Kind in diesem Alter vorstellen kann, was in sexueller Hinsicht erwartet wird“, argumentiert die auf Kinderfragen spezialisierte Psychoanalytikerin Claude Halmos in Libération.

„Sexuelle Handlungen mit einem Kind sind schlicht pädokriminell“, sagt auch die französische Ministerin für Geschlechtergleichheit, Marlène Schiappa. Sie will alle Unklarheiten, die in der Gesetzgebung womöglich existieren, definitiv beseitigen.

Mindestalter 13, 14 oder 15 Jahre

Justizministerin Nicole Bel­loubet denkt dabei an einen Zusatz, der besagt, dass unter einem Mindestalter von 13, 14 oder 15 Jahren die Justiz in keinem Fall von einer willentlichen Zustimmung zu Sex ausgehen könne. Die frühere sozialistische Frauenministerin Laurence Rossignol hat eine entsprechende Vorlage mit der Altersgrenze 13 im Senat eingebracht. Die konservative Abgeordnete Bérengère Poletti schlägt parallel dazu einen Text vor, der präzisiert, dass unbestreitbar eine Vergewaltigung vorliegt bei „geschlechtlicher Penetration von Minderjährigen unter 14“.

In Justizkreisen bestehen dennoch gewisse Zweifel an diesem Vorgehen. Womöglich werde eine einheitliche Richt­linie für ein Schutzalter nicht allen Situationen gerecht, argumentiert der Richterverband Syndicat de la magistrature in einem offenen Brief an Schiappa: „Wollen wir wirklich, dass das Gesetz sagt, eine 14-Jährige könne in keinem Fall ihre Zustimmung zu Sex mit einem 18-Jährigen geben?“

Das sei Haarspalterei von Juristen, meint dazu die Psychiaterin Muriel Salmona, die auch Vorsitzende einer Hilfsvereinigung für Opfer von Sexual­verbrechen ist: „Selbst wenn 5 Prozent der Kinder vor der fixierten Altersgrenze reif (für ein Einverständnis zu Geschlechtsbeziehungen) wären – was noch zu beweisen wäre –, hat es Priorität, alle Kinder durch eine unangreifbare Regelung zu schützen.“

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Frankreich-Korrespondent der taz seit 2009, schreibt aus Paris über Politik, Wirtschaft, Umweltfragen und Gesellschaft. Gelegentlich auch für „Die Presse“ (Wien) und die „Neue Zürcher Zeitung“.

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