Nabu-Chef über EU-Agrarsubventionen: „Die Nachkriegszeit ist vorbei“

Die EU fördere mit ihren Landswirtschaftssubventionen Artenschwund und Höfesterben, sagt Olaf Tschimpke. Ein Transformationsfonds müsse geschaffen werden.

Vogelperspektive auf ein Feld

Gülle auf einem Feld in Brandenburg Foto: dpa

taz: Herr Tschimpke, Sie fordern, dass die Landwirte umweltfreundlicher arbeiten. Haben Sie etwas gegen Bauern?

Olaf Tschimpke: Überhaupt nicht. Niemand aus dem Naturschutz will, dass die Bauern verschwinden. Der Nabu ist ja in der Bewegung für eine Agrarwende die Organisation, die am meisten auf die Landwirte zugeht. Wir sind kein veganer Antifleischverband, sondern wir machen selber Beweidungsprojekte. Da müssen am Ende auch Tiere geschlachtet werden.

Aber Sie wollen, dass wir weniger Fleisch essen. Da würden den Bauern doch Einnahmen verloren gehen. Wovon sollen sie leben?

Wir fordern einen Komplettumbau der EU-Agrarsubventionen. Statt dass nach dem Gießkannenprinzip jedes Jahr 60 Milliarden Euro größtenteils einfach nur für den Besitz von Agrarland verteilt werden, wollen wir einen Transformationsfonds für den nachhaltigen Umbau von Landwirtschaft, Handel und Konsum. Außerdem sollen 15 Milliarden Euro jährlich in einen neuen EU-Naturschutzfonds fließen, der gerade Bauern attraktiv für Naturschutzleistungen bezahlen soll.

Welche Landwirte sollten noch Subventionen erhalten?

62 Jahre, ist Präsident des Naturschutzbunds (Nabu), der mit rund 640.000 Mitgliedern und Dauer­spendern größten Umweltorganisation in Deutschland.

Zum Beispiel alle, die auf Ökolandbau umstellen, Blühstreifen oder Brachflächen anlegen oder die ihre Ställe so umbauen wollen, dass sie tierfreundlicher sind. Der durchschnittliche Landwirt müsste weniger Tiere pro Hektar halten als zurzeit. Er müsste auch deutlich weniger Stickstoffdünger in die Umwelt abgeben, als die Düngeverordnung heute zulässt. Denn die erlaubt immer noch so viel, dass Pflanzen- und Tierarten aussterben und das Grundwasser verschmutzt wird. Wir brauchen auch eine absolute Reduktion der Pestizide und Freiräume für die Natur.

Würden bei solchen Regeln nicht viele Bauern weniger Geld bekommen?

Wir haben das für verschiedene Betriebsarten durchrechnen lassen. Die meisten Betriebe in Deutschland würden profitieren. Gerade die kleinen. Die ganz großen, die am Weltmarkt orientiert sind, brauchen sowieso keine Förderung. Der Staat soll niemanden mehr subventionieren, der für Billigfleisch Massentierhaltung betreibt, die auf Importe von Futtermitteln mit einem sehr negativen ökologischen Fußabdruck angewiesen ist. Öffentliches Geld soll es nur noch für öffentliche Leistungen geben – nicht dafür, dass die Bauern einfach die Gesetze etwa zum Umweltschutz einhalten.

Ist es keine Leistung für das Gemeinwohl, die Ernährung der Bevölkerung sicherzustellen?

Das ist kein Grund mehr, die Landwirtschaft dermaßen zu subventionieren. Die Nachkriegszeit ist vorbei.

Der Nabu ruft gemeinsam mit anderen Organisationen zur Demo „Wir haben es satt“ am Samstag in Berlin auf. Sie findet zum 8. Mal anlässlich der weltgrößten Landwirtschaftsmesse „Grüne Woche“ statt, die am Freitag beginnt. Dort wird unter anderem über die EU-Agrar­politik nach Ablauf der aktuellen Förderperiode 2020 diskutiert.

Gerade kleine Bauern sehen sich gefährdet durch höhere Umwelt- und Tierschutzauflagen. Sind Sie mitschuldig am Höfesterben?

Nein. Das System ist schuld. 2 Prozent der Betriebe bekommen 33 Prozent der EU-Agrarsubventionen. 80 Prozent kriegen weniger als 5.000 Euro im Jahr. Das schützt nicht die Kleinen.

Wenn unsere Bauern umweltfreundlicher arbeiten, werden ihre Produkte teurer. Würden wir dann mehr Billigimporte mit niedrigeren Standards von außerhalb der EU bekommen?

Die Gefahr besteht sicher. Aber: Wir müssen nicht jedes Produkt nach Europa reinlassen, das mit ökologischem Dumping erzeugt worden ist. Solche Standards setzen wir bei Tropenholz zum Beispiel schon. Bei Agrarprodukten könnten wir etwa festschreiben, dass Pestizide im Anbau nur bis zu sehr niedrigen Grenzwerten erlaubt sind.

Die höheren Lebensmittelpreise wären aber gerade für Arme ein Problem.

Deshalb müssten Hartz-IV-Empfänger mehr für ihre Ernährung bekommen.

Das würde nicht den Geringverdienern helfen, die kein Hartz IV beziehen.

Die müssen wir mit Steuerpolitik unterstützen, das ist eine sozialpolitische Frage. Wir müssen auch nicht jeden Tag Fleisch essen, das ja teurer ist als pflanzliche Lebensmittel. Außerdem spielt der Ernährungssektor doch heute eine vergleichsweise geringe Rolle im Haushaltsbudget. Aber ja: Wenn wir eine neue Agrarpolitik wollen, müssen wir das bezahlen. Wenn wir das nicht wollen, sollten wir auch nicht über Naturschutz reden. Ohne Agrarwende müssen wir das Insektensterben akzeptieren und bestäuben in 30 Jahren die Pflanzen per Hand.

Warum?

Die jetzige Agrarpolitik vernichtet den Bauernstand und die Natur. In den letzten 17 Jahren ist die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe um 35 Prozent auf 275.000 gesunken. Das ist der Erfolg der EU-Agrarpolitik und des Deutschen Bauernverbands, der auf diesem System beharrt. Die Betriebe werden immer größer, es musste immer billiger produziert werden, mehr Tiere werden auf weniger Fläche gehalten, Hecken wurden gerodet, um riesige Felder zu schaffen. Das hat sich negativ auf Natur und Landschaft ausgewirkt: Die Zahl der Insekten nimmt ab, auch die der Vogelarten, das Grundwasser wird mit giftigen Sub­stanzen belastet.

Der Bauernverband sagt, es gebe keinen Beleg dafür, dass die Bauern die Hauptverantwortlichen für das Insektensterben seien.

Es gibt doch x Studien, die nachweisen, dass Landwirtschaft der Haupttreiber des Artenverlusts ist. Bei Schmetterlingen hat man das untersucht. Man konnte nachweisen, dass die Pestizidgruppe der Neonikotinoide das Orientierungssystem von Fledermäusen und Vögeln schädigt. Wo sollen denn in einem Maisschlag noch Blühpflanzen für Insekten wachsen, wenn er großflächig mit einer einzigen Pflanzenart bewachsen ist und dann noch permanent mit Pestiziden bearbeitet wird? Die offiziellen Naturschutzberichte der EU sagen ebenfalls: Landwirtschaft ist der wichtigste, wenn auch nicht der alleinige Grund für das Artensterben. Auch beim Flächenfraß, also der Umwandlung insbesondere von landwirtschaftlichen oder naturbelassenen Flächen in Siedlungs- und Verkehrsfläche, ist eine Menge zu machen. Aber die Landwirtschaft hat nun mal 50 Prozent der Fläche Deutschlands.

Das sind nur Indizien, keine Belege, die von allen anerkannt werden.

Bei der Dramatik müsste man allein schon zur Vorsorge umsteuern. Aber die Daten werden von den Wissenschaftlern und Behörden auch eindeutig interpretiert – und zwar weltweit. Der Bauernverband sagt zwar: Wir müssen da erst mal die Ursachen erforschen. Dann gehen wieder 10 Jahre ins Land, und nichts passiert. Und dann sind wir bei 90 Prozent Verlust der Fluginsektenbiomasse, statt wie bislang bei 75 Prozent. Das ist eine Taktik, die nicht funktionieren kann und auch nicht mehr von der Bevölkerung akzeptiert wird. Alle Umfragen zeigen, dass die Bevölkerung eine andere Agrarpolitik will. Den Grünen wird jetzt teils mehr Kompetenz in der Agrarpolitik zugeschrieben als der Union, die sich immer noch verbissen an die Position des Bauernverbands klammert.

Sie sprechen viel von Missständen in der Landwirtschaft. Gleichzeitig sorgen Sie sich um das Image der Bauern. Sind Sie ein Heuchler?

Wenn wir Probleme adressieren, müssen wir auch die Strukturen adressieren, die sie verursachen. Der Bauernverband ist seit Jahrzehnten dermaßen unbeweglich und negiert die Probleme. Wir beteiligen uns an der großen Agrardemo „Wir haben es satt“ am Samstag in Berlin. Da sind auch Hunderte von Bauern dabei. Auch die Biobauern sehen es schon mal anders. Bei der Demo beschimpfen wir keinen einzigen Bauern. Wir verstehen Betriebe, die wirtschaften müssen. Dass manche Landwirte uns anders wahrnehmen, wird vom Bauernverband bewusst gefördert. Er sucht sich Feindbilder, mit denen er seine Reihen schließen kann.

Wie wichtig ist das für diese Organisation?

Sehr wichtig. Der Bauernverband hat doch Schwierigkeiten, seinen Laden zusammenzuhalten. Ihm gehören Biobauern an, bäuerliche Betriebe, aber auch die konventionellen und agrarindustriellen. Die mächtigsten unter ihnen verteidigen die EU-Direktzahlungen am stärksten. Und da fällt dann unter den Tisch, dass zum Beispiel die Zuckerindustrie oder Großmolkereien Millionenbeträge bekommen, obwohl sie keine besonderen Leistungen für die Allgemeinheit erbringen.

Manche Bauern werfen Ihnen vor, Sie würden, weil Sie auf Spenden und damit öffentliche Aufmerksamkeit angewiesen seien, die Landwirtschaft schlechter darstellen, als sie ist. Was sagen Sie dazu?

Ich verweise auf die Daten zum Artenrückgang, zur Belastung des Grundwassers. Wir weisen auf dramatische Umweltprobleme hin, das ist unsere Aufgabe.

Wird die geplante Große Koalition die Wende bringen?

Die CDU/CSU sagt: Wir wollen keine Veränderung, Agrarindustrie soll weitergehen wie bisher. Knallhart. Die SPD wollte die Direktzahlungen bis 2026 abschaffen. Die haben das nun in einem Formelkompromiss zusammengeführt, der nach außen die Differenzen verkleistert, und die Konflikte kommen. Aber Deutschland muss in diesem Jahr mitentscheiden, wie die EU nach 2020 die Subventionen verteilt. Im Sondierungspapier steht, die EU solle genauso viel für die Landwirtschaft ausgeben wie bisher.

Der deutsche EU-Kommissar Oettinger und Frankreichs Präsident Macron wissen längst: Das geht nicht, schon weil der Brexit kommt und deshalb über 12 Milliarden Euro fehlen werden. Da muss man die Agrarpolitik schon effizienter gestalten, um möglichst viele Kürzungen abzuwehren. Es gibt auch Signale, dass die Franzosen erstmals eine andere EU-Agrarpolitik wollen.

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