Nach Hanau-Gedenken in Chemnitz: Polizei wirft Blumen und Kerzen weg

Direkt nach einer Demo für Opfer des Anschlags warfen Polizisten Blumen und Kerzen in den Müll. Das wollen sie der Anmelderin sogar in Rechnung stellen.

Kerzen stehen unter Bildern der Ermordeten von Hanau: Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili-Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar, Kaloyan Velkov

Aus Sicht der Polizei nicht „ordnungsgemäß“: Zeichen der Trauer Foto: Feministische Antifaschistische Jugendaktion/FAJA

BERLIN taz | Es sind irritierende Bilder am vierten Jahrestag des Anschlags von Hanau, bei dem ein Rechtsterrorist aus rassistischen Motiven neun Menschen ermordete – und danach auch seine Mutter und sich selbst umbrachte. Am Montagabend wollte die Initiative „Chemnitz Nazifrei“ ein würdevolles Gedenken mit Schweigeminuten und Redebeiträgen veranstalten – doch die Polizei störte dieses im Nachgang der Kundgebung.

Denn noch vor den Augen von Teil­neh­me­r*in­nen der Gedenkkundgebung in Chemnitz räumten am Montagabend Polizisten niedergelegte Kerzen und Blumen weg, schmissen diese in den Müll, wie auch ein Video belegt. Auf dem sammeln vier Beamte stumpf die Gegenstände ein und nehmen sie mit – zuvor hatten sie laut „Chemnitz Nazifrei“ bei der Anmelderin der Kundgebung angerufen und angekündigt, die Entsorgung in Rechnung zu stellen.

„Wir sind wütend!“, hieß es anschließend auf X, ehemals Twitter, von „Chemnitz Nazifrei“. „Wie würdelos ist es, die Blumen und Kerzen, die an ermordete Menschen erinnern sollen, noch an ihrem Todestag in den Mülleimer zu schmeißen?“

Am Dienstagmorgen äußerte sich erstmals die Polizei auf X zu den auch dort samt Video veröffentlichen Vorwürfen von „Chemnitz nazifrei“. Man habe die Auflagen durchgesetzt: „Die Versammlungsleiterin hätte nach Beendigung der Demo den Platz im ordnungsgemäßen Zustand hinterlassen müssen.“ „Ordnungsgemäß“ heißt bei der Polizei Chemnitz offenbar: ohne Mahnung an rechtsterroristische Morde, an denen auch Staat und Polizei Verantwortung tragen.

Polizeiversagen in Hanau

Denn besonders betroffen macht die Szene, weil die Polizei nicht zuletzt beim Anschlag von Hanau selbst eine katastrophale Rolle abgab. So waren in Hanau 13 SEK-Polizeibeamten im Einsatz, die Teil einer rechtsextremen Chatgruppe waren. Die Polizei soll am Anschlagsort, einer Shisha-Bar, angeordnet haben, dass der Notausgang verschlossen bleibt, damit bei der nächsten Razzia niemand abhauen könnte. Das Ergebnis war, dass keines der Anschlagsopfer fliehen konnte.

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Auch der Polizeinotruf in der Tatnacht war nicht ausreichend besetzt – den Täter verlor die Polizei bei der Fahndung aus den Augen. Kurzum: Die Polizei hat versagt. Hinzu kommt, dass die Beamten teils absolut unwürdig mit den Angehörigen der Opfer umging und der Täter eine Waffenbesitzkarte hatte, obwohl er bereits vor der Tat mehrfach psychisch auffällig geworden ist.

Entsprechend aufgebracht war im Anschluss auch die Anmelderin der Chemnitzer Kundgebung, eine Aktivistin der „feministischen antifaschistischen Jugendaktion“. Sie sagte der taz: „Durch die Polizei hätten in Hanau noch mehr Menschen gerettet werden können, wenn der Notausgang oder der Notruf nicht blockiert gewesen wären. Dass die gleiche Polizei nun den Gedenkort räumt, ist absolut empathielos.“

Zudem seien die Auflagen bei einer zeitgleich in der Nähe befindlichen Demo der rechtsextremen Kleinpartei Freie Sachsen nicht so rigoros durchgesetzt worden – etwa die Begrenzung des Lärms der Partei, welcher Redebeiträge der Hanau-Kundgebung gestört habe. Die Aktion der Polizei sei umso schockierender, weil auch die Freien Sachsen regelmäßig Kerzen um die Ecke am Rathaus abstellten, so die Aktivistin. „Die dürfen allerdings stehen bleiben – das wird von der Polizei geduldet.“

Dabei hat die Anmelderin nach eigener Auskunft vor der Kundgebung sogar mit der Polizei abgesprochen, dass man Blumen und Kerzen niederlegen wolle – die Polizei habe das in Ordnung gefunden. Am Ende habe man den Großteil wieder weggeräumt, sich aber bei der Auflösung der Versammlung dazu entschlossen, ein paar Blumen sowie neun Kerzen für die Opfer als „temporären Gedenkort“ stehen zu lassen.

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Danach sei die Polizei zu verbliebenen Teil­neh­me­r*in­nen gekommen und habe gesagt, dass sie diese Kerzen und Blumen wieder entsorgen sollten. Die Anmelderin, die zu diesem Zeitpunkt schon weg war, bekam einen Anruf von der Polizei. „Ich sollte sämtliche Kerzen und Blumen innerhalb von 15 Minuten entfernen, sonst schicken sie mir eine Rechnung, hieß es.“ Als sie sich weigerten, den temporären Gedenkort zu entfernen, sahen ihre Freunde, wie die Polizei alles recht rabiat wegwarf – Kerzen seien zerbrochen, Blumen kaputt gegangen.

Auf taz-Anfrage fiel die Reaktion der Polizei – wohl auch aufgrund der großen Empörung auf „X“ – dann doch anders aus als auf der Onlineplattform. Nun ruderten die Beamten etwas zurück. Zwar sei der Versammlungsort sauber zu verlassen. Die Blumen und Kerzen zu entfernen, sei aber „insbesondere mit Blick auf das Versammlungsthema nicht angemessen“, hieß es auf Anfrage. Man werde den Einsatz mit „dem verantwortlichen Beamten nachbereiten“, sagte Polizeihauptkommissarin Jana Ulbricht der taz. „Eine Rechnungsstellung wird seitens der Polizei nicht erfolgen.“

Ahmed Béjaoui, Vorstand der Grünen Chemnitz, der ebenfalls an der Demo teilnahm, sagte der taz: „Es war pietätlos, dass die Polizei Kerzen und Blumen vor den Augen der Teil­neh­me­r*in­nen in den Müll schmeißt.“ Die sächsische Polizei fordere immer Respekt von Mi­gran­t*in­nen – im Gegenzug müsse sie dann aber auch „unsere Gedenktage respektieren“, so Béjaoui. Seine Kritik gelte aber nicht für die gesamte Polizei. So hätten die Beamten das Gedenken – abgesehen vom Lärm – immerhin gut vor der zeitgleich stattfindenden Demo der Freien Sachsen geschützt.

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Am 19. Februar 2020 erschoss der Rechtsextremist Tobias R. an drei verschiedenen Tatorten in der Hanauer Innenstadt neun Menschen:

Kaloyan Velkov, ermordet mit 33 Jahren.

Fatih Saraçoğlu, ermordet mit 34 Jahren.

Sedat Gürbüz, ermordet mit 30 Jahren.

Vili Viorel Păun, ermordet mit 22 Jahren.

Gökhan Gültekin, ermordet mit 37 Jahren.

Mercedes Kierpacz, ermordet mit 35 Jahren.

Ferhat Unvar, ermordet mit 22 Jahren.

Hamza Kurtović, ermordet mit 22 Jahren.

Said Nesar Hashemi, ermordet mit 21 Jahren.

Später ermordete der Attentäter seine Mutter Gabriele R., 72 Jahre alt.

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Hier erfährst du mehr

Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

■ Ein Attentäter erschoss in München im Jahr 2016 auch aus rassistischen Gründen neun Menschen.

■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

■ In Hanau erschoss ein Mann am 19. Februar 2020 in Shisha-Bars neun Menschen und dann seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ rassistische Pamphlete.

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