Nachtbürgermeister von Wuppertal: Ein Mann für zwei Nächte

Bereits nach 48 Stunden wurde Thomas Roeber als sogenannter Nachtbürgermeister gekündigt. Grund ist wohl sein früheres Engagement als Autonomer.

die Schwebebahn in Wuppertal bei Abenddämmerung

Wuppertal im Abendlicht Foto: Panthermedia/imago

WUPPERTAL taz | Das Wuppertaler Luisenviertel ist beliebt, vor allem bei jungen Leuten und Studierenden. Ein Lokal reiht sich hier an das nächste, in gemütlichen Läden, Kneipen und Clubs wird geshoppt, gegessen, getanzt und gefeiert – vor allem nachts. Es bleibt also nicht immer ruhig im Viertel. Mehrfach kam es zu Konflikten zwischen Feiernden, Anwohner*innen, Ordnungsamt und Polizei. Zur Mediation sollte deshalb nach dem Willen der Stadt ein Nachtbürgermeister her, wie es ihn schon lange in Mannheim und weiteren Kommunen gibt.

Im Sommer 2023 schrieb die Stadt Wuppertal die Stelle über den freien Träger Internationaler Bund (IB) aus. Zu den Aufgaben sollte neben der Mediation die Teilnahme an Sitzungen verschiedener Gremien, Öffentlichkeitsarbeit sowie eine Konzept­erarbeitung für das Nachtleben gehören.

Mitte August fand sich dann jemand für den Job: ­Thomas Roeber, 34 Jahre alt, Wuppertaler, Erziehungswissenschaftler mit den Schwerpunkten Bildungstheorie und Gesellschaftsanalyse. Das wäre ein Traumjob gewesen, sagt Roeber – doch nun ist er arbeitslos. Denn am 17. August, nach nur zwei Tagen im Amt, haben ihm die Stadt und der Internationale Bund schon wieder gekündigt. Wie kam es dazu?

Im Juli bewirbt sich Thomas Roeber auf die Stelle. Gespräche führt er sowohl mit Ver­tre­te­r*in­nen der Stadt als auch des IB sowie mit Stadtdirektor Stefan Kühn. Roeber sagt von sich selbst, er habe durch seine Fähigkeiten überzeugt. In den Gesprächen habe er zudem erklärt, dass er sich für das Autonome Zentrum (AZ) engagiere, dass er seine politische Aktivität infolge einiger Vorstrafen aber 2019 eingestellt habe. „Ich habe allen an der Bewerbung Beteiligten gesagt, dass ich vorbestraft bin – dem Internationalen Bund und der Stadt“, versichert Roeber.

Der große Knall, mit dem der Traum zerplatzt

Am 15. August bekommt er die Stelle. Schon vor seinem ersten Arbeitstag habe er sich auf das Thema Nachtkultur vorbereitet, Konzepte erstellt, Ideen gesammelt, sein ohnehin be­stehendes Netzwerk im Wuppertaler Luisenviertel ausgebaut.

Jemanden, der oder die die Belange der Nachtkultur vertritt, gibt es auch in anderen Städten: Vorreiterin war die Stadt Mannheim – dort gibt es die Stelle seit 2018, aktuell hat sie Robert Gaa inne. Er sagt, es handle sich um einen umfangreichen Nine-to-five-Job, in dem er vor allem zwischen den Interessen der Clubs, Politik, An­woh­ne­r*in­nen und Feiernden vermittle. „Ich bin eine Person, die die Sprache der Nacht spricht“, sagt er. Man sollte sich in dem Job leicht in Themenfelder einarbeiten können, kein Menschenfeind sein und nicht zu sehr in eine Richtung gehen. Zum Fall in Wuppertal will sich Gaa nicht konkret äußern, erklärt aber: „Es sollte erst einmal egal sein, was eine Person im Privatleben macht.“

Er besucht am 15. August den Sozialausschuss der Stadt, stellt sich und seine Ideen dort vor, die gut angekommen seien, wie er sagt. Dann folgt der große Knall, mit dem der Traum vom Job zerplatzt: Soufian Goudi, der für die SPD in der Bezirksvertretung sitzt, schickt seinem Parteikollegen, dem Elberfelder Bezirksbürgermeister Thomas Kring, ein Foto vom Juni dieses Jahres, auf dem Thomas Roeber als Vertreter des AZ zu sehen ist.

Entstanden war das Foto während eines WDR-5-Stadtgesprächs, wo Roeber kurz zuvor aufgetreten war. Allerdings unter einem falschen Namen, weil er kurzfristig für einen Kollegen eingesprungen war und sich für diesen ausgegeben hatte.

Während der Veranstaltung hatte er sich gegen den Bau einer ­Ditib-Moschee in Elberfeld eingesetzt, für die das Autonome Zentrum abgerissen werden soll. Dem Verein Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion, kurz Ditib, wird eine große Nähe zum türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan vorgeworfen.

Kritische Nachfragen von der Bezirksvertretung

Bezirksbürgermeister Kring nimmt die Verbindungen des frisch ernannten Nachtbürgermeisters zum AZ zur Kenntnis, schickt das Foto im Anschluss an die Sitzung aber auch an Stadtdirektor Kühn. Mehr sei laut Kring erst einmal nicht passiert. Als am 16. August die Bezirksvertretung tagt, habe die SPD – wie auch die CDU – kritische Fragen an den Nachtbürgermeister gerichtet.

Thomas Roeber hingegen spricht von einem „Kreuzverhör“. Er sei unter anderem gefragt worden, ob er als Nachtbürgermeister mit der Polizei zusammenarbeiten könne, was er bejahte. Nach der Sitzung fragt ihn der WDR, ob er im Nachgang an die Stadtratssitzung im Juni, in der der Stadtrat für den Bau der umstrittenen Moschee gestimmt hatte, Worte wie „Schäm dich, du Arschloch“ benutzt habe – auch dies bejahte Thomas Roeber.

Nach diesem Interview sei der Noch-Nachtbürgermeister mit einem schlechten Gefühl nach Hause gegangen: „Ich habe Angst gehabt, dass mein Ruf ruiniert ist, und um meine Anstellung gebangt.“ Am nächsten Tag überlegt sich Roeber, wie er als Nachtbürgermeister auf die Medienberichte reagieren will. Er bekommt Unterstützung von der Stadtverwaltung. Am Nachmittag aber folgt plötzlich die Kündigung – nach knapp 48 Stunden im Job.

„Ich habe immer mit offenen Karten gespielt“, beteuert Thomas Roeber. Er kritisiert vor allem die Berichterstattung der lokalen Presse, Kommentare über seine Person, die nicht mehr einzufangen gewesen wären. „Ich wurde öffentlich diskreditiert. Mein Ruf ist nachhaltig geschädigt.“ Zuerst die Vorstrafen, jetzt die Kündigung. „Meine ­Aktivitäten aus Jugendzeiten fallen mir nun ein zweites Mal auf die Füße“, sagt Roeber. Dass er bei dem Stadtgespräch zur Moschee unter falschem Namen aufgetreten sei und dies nicht im Vorfeld erklärt habe, bereue er.

Der Boykott der Autonomen

Stefan Kühn und Mirjam Michalski, Geschäftsführerin des IB West, wollen aus Datenschutzgründen nicht sagen, was ausschlaggebend für die Kündigung des Nachtbürgermeisters war. „Aufgrund neuer Informationen“ sei man zu einer „Neubewertung“ gekommen, heißt es. Und Mirjam Michalski erklärt, dass es „als seriöser Arbeitgeber Wahnsinn gewesen“ wäre, die Stelle des Nachtbürgermeisters mit Roeber zu besetzen. Wie viel sie im Vorfeld über die Vergangenheit von Thomas Roeber wussten, möchten sie nicht preisgeben.

Im Gegensatz zur Verwaltung erklärt Bezirksbürgermeister Kring, dass das Foto aus dem WDR-5-Stadtgespräch zur Kündigung geführt habe. Er fügt hinzu: „Mir wäre viel Ärger erspart geblieben, wenn die mal früher ins Führungszeugnis geguckt hätten.“ Denn der Bezirksbürgermeister bekommt die Folgen des Ganzen nun ebenfalls zu spüren: Das Wuppertaler AZ hat zum Boykott seines Weinladens aufgerufen, weil er erklärt hätte, Thomas Roeber habe ein Problem mit der Anerkennung staatlicher Autoritäten.

Das AZ wirft Thomas Kring außerdem vor, mit seiner „Kampagne“ die „schöne Zeit der Berufsverbote und Sympathisantenhatz der 70er Jahre“ wieder aufleben zu lassen. Nun steht der Bezirksbürgermeister unter Personenschutz, die Fenster seines Weinladens schützt er mit Rollos vor Steinwürfen. „Ich bin kein ängstlicher Mensch – aber so etwas ist mir noch nicht passiert.“

Der Weinladen des Bezirksbürgermeisters, an dem jetzt besonders häufig die Polizei vorbeikommt, liegt im Luisenviertel – also genau dort, wo der Wuppertaler Nachtbürgermeister vermitteln sollte. Jetzt haben der IB und die Stadt Wuppertal die Stelle neu ausgeschrieben.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.