Netzwerk gegen Belästigungen: Finger weg, sonst Hollaback

Frauen fühlen sich oft machtlos, wenn sie belästigt werden. Das, was ihnen danach einfällt, können sie jetzt auf ihollaback.org loswerden.

Zurückpöbeln – zumindest virtuell – können Frauen jetzt im Netz. Bild: mathias the dread / photocase.com

Und plötzlich stand er einfach mit dem Rücken an der Wand und meine Hand hatte sich um seine Kehle gelegt.

Ich weiß selbst nicht, wie das passiert ist. Ich war mit einer Freundin auf einem Stadtfest, sie war sehr betrunken und diskutierte mit irgendwelchen Jungs. Die Jungs lachten meine Freundin aus. Ich sagte: "Komm, wir gehen", dann fasste mir einer von ihnen an den Po. Ich muss mich umgedreht und ihm an die Kehle gefasst haben. Doch dieses Stück Handlung fehlt in meiner Erinnerung, es war ein Reflex.

Als er an der Wand vor mir stand, sagte ich noch: "Mach das nicht noch mal, oder du und ich haben ein Problem." Dann bin ich mit meiner Freundin weitergelaufen. Mit Herzklopfen.

Wir Frauen machen uns oft klein, ohne es zu merken. Wir verstecken das Dekolletee abends in der U-Bahn, gehen lieber einen Umweg als durch den Park. Die Angst läuft mit. Manchmal werden wir bedrängt, vor den Augen anderer. Wie Jamila, die mit einer Freundin in einem Berliner Club tanzte. Zwei Jungs beobachteten sie, musterten sie, sprachen sie an: "Ihr seid doch bestimmt aus Afrika, weil ihr so geil tanzen könnt." Jamila kommt nicht aus Afrika. Überhaupt wollte sie mit den Jungs nichts zu tun haben und gab das auch zu verstehen. Doch sie ließen nicht locker. "Dann seid ihr Latinas …" Nein, auch falsch. Die Jungs starrten weiter. "Ich war so wütend, ich wollte meine Wut ablassen", erzählt die 26-Jährige. Nur wie? Wie wehrt man sich gegen Blicke? Wie schafft man es, in Ruhe gelassen zu werden, ohne dass eine Situation eskaliert?

Zurückgebrüllt

Jamila ist ihre Wut losgeworden, im Internet. Dort hat sich ein Netzwerk gegründet, das sich gegen Belästigungen aller Art wehren will. Es heißt "Hollaback", was sich als "Brüll zurück" übersetzen lässt. Auf der Webseite ihollaback.org hat Jamila ihre Geschichte erzählt, und sie ist nicht alleine. Jeden Tag gibt es neue Einträge über nächtliche Pöbeleien und Verfolgungen. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes geht von einer hohen Dunkelziffer bei sexueller Belästigung aus. Meistens ist es die mangelnde Beweislage, die Frauen einfach verstummen lässt. Hollaback verleiht ihnen eine Stimme.

Gegründet wurde das Blog, weil die Polizei nichts tat, damals, 2005. Thao Nguyen war mit der Bahn unterwegs, ein Mann, der ihr gegenüber saß, masturbierte. Thao fotografierte ihn und brachte das Foto zur Polizei. Nichts geschah. Sie lud das Foto auf Flickr hoch und es entwickelte ein Eigenleben: Man sprach darüber, über Exhibitionisten, Sprüche oder Berührungen, die kein Zufall waren. Auch Emily May sprach darüber und gründete mit Freunden in New York ein Blog. Daraus entstand Hollaback, Thao ist Vorstandsmitglied.

Mittlerweile ist Hollaback eine Webseite mit 24 Blogs in elf Ländern, 30 neue sollen noch im August starten. Viele der Frauen sind jung, sie erzählen unterschiedliche Geschichten, die im gleichen Gefühl enden: Scham oder Ekel. In Deutschland gibt es Blogs für Berlin und Dortmund, doch hier findet man auch Geschichten aus München.

In Amerika hat man längst weitergedacht: Dort hat Hollaback eine App für das iPhone. Damit kann man die Belästigung in mehrere Kategorien einordnen -verbal, Stalking oder tätlicher Angriff -, man kann den Vorfall schildern und direkt per Mail an Hollaback senden.

Neue Rufmord-App?

Der Clou ist, dass man auch ein Foto des Belästigers anhängen kann, nach dem Motto "Ich hab dich". Auf der Webseite kann durch Fotos von Menschengruppen, Cafészenerien und U-Bahn-Waggons geklickt werden. Manchmal weiß man nicht, wer der Täter war, weil zu viele Menschen zu sehen sind oder das Bild verwackelt ist. Emily findet das Foto trotzdem wichtig. "Oft ist das Handy die einzige Waffe der Frauen im öffentlichen Raum, um die Männer zur Verantwortung zu ziehen." Ein Foto gibt Sicherheit. Gern hätte ich diese Sicherheit gehabt, ein Foto von dem Typen hochgeladen, der mir damals an den Po gefasst hat. Ich hätte mich irgendwie erleichtert gefühlt.

Das Ganze ist in Deutschland nicht möglich. Fotos von Menschen ohne deren Einverständnis zu machen, verstößt gegen den Schutz der Privatsphäre. Dietmar Müller vom Büro des Bundesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit, findet die Webseite Hollaback problematisch: "Sich über das Verhalten anderer im Internet zu beschweren, birgt große Risiken, denn ein Foto kann leicht missbraucht werden und zu einer Art Selbstjustiz führen. Unter Umständen setzt man sich auch zivilrechtlichen und strafrechtlichen Ansprüchen aus."

Welches Recht wiegt hier mehr: das am eigenen Bild oder das am eigenen Körper? Natürlich kann ein solches Blog missbraucht werden, die Handyfunktion zur Rufmord-App mutieren. "Fotos können manipuliert werden und sind keine tatkräftigen Beweise", meint auch Müller. Es sei Aufgabe der Ermittlungsbehörden, strafbaren Handlungen nachzugehen. Anstatt ein Bild online zu stellen, solle man bei der Polizei Anzeige erstatten - sofern man weiß, wer auf dem Bild zu sehen sei. Bloß: Was erzählt man der Polizei? "Er hat gegafft"?

Anzeige kann nur erstattet werden, wenn eine strafbare Handlung vorliegt. Beleidigung, sexuelle Nötigung oder Nachstellung. Damit es dazu gar nicht erst kommt, haben Julia Brilling und Claudia Johann, Aktivistinnen mit einem Abschluss in Gender Studies, Hollaback Berlin gestartet. Julia findet: "Unsere Körper sind keine Ware, wir wollen nicht konsumiert werden."

Es geht um die Angst, die einem die Kehle zuschnürt. Gewalt ist nicht nur, was man sieht, Gewalt ist, was man spürt. Die Blicke auf der Brust, den Angstschweiß im Nacken. Das Herzklopfen, wenn man sich wehrt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.