Neue Bücher zu 9/11: Sieger, Verlierer und Parallelwelten

Zwischen Analyse und Verschwörungstheorie, Ursachen und Folgen. Unser Autor hat Neuerscheinungen mit verschiedenen Ansichten zu den Anschlägen parallel gelesen.

Flugzeugattrappen oder Sprengung? Literatur über Verschwörungstheorien gibt es massig. Bild: dpa

Zehn Jahre nach den Anschlägen vom 11. September 2001, zwei Kriege, eine Finanzkrise und einen arabischen Frühling später, gibt es in aktuellen Veröffentlichungen politischer Bücher zwei verschiedene Herangehensweisen, über die Ereignisse jenes Tages nachzudenken. Die einen, dazu gehören insbesondere der Sozialwissenschaftler Bernd Greiner und der SZ-Redakteur Ulrich Schäfer, beschäftigen sich insbesondere mit den Folgen jenes Tages.

Schäfer versucht anhand von Al-Qaida-Dokumenten zu belegen, dass es sich dabei keineswegs um eine irgendwie irrational agierende Organisation fanatischer Islamisten handelt. Ihre Strategie, so Schäfer, ziele unmittelbar darauf ab, das Funktionieren der USA in der Weltwirtschaft zu gefährden, die Kosten wirtschaftlicher Tätigkeit in die Höhe zu treiben und so den Gegner langsam auszubluten. Schäfer vergleicht das mit dem Ziel der USA in den Achtzigern, die Sowjetunion durch Hochrüstung wirtschaftlich zum Kollaps zu bringen.

Dieser Strategie kann auch jetzt nur Erfolg konstatiert werden: Die USA häuften in der Regierungszeit George W. Bushs ein riesiges Defizit auf - während gleichzeitig die Ausgaben für Sicherheit und Verteidigung und für die Kriege in Afghanistan und Irak sprunghaft in die Höhe schnellten. Im Ergebnis sind die USA hoffnungslos verschuldet, erholen sich kaum von der Finanzkrise und büßen ihre Funktion als Super- und Ordnungsmacht zusehends ein.

Überreaktion der Neokonservativen

Zeit-Redakteur Ulrich Ladurner verweist in seinem Aufsatz in der Zeitschrift Südlink allerdings zu Recht darauf, dass diese Politik menschengemacht ist. Hätte im Jahr 2000 der oberste Gerichtshof der USA nicht George W. Bush, sondern Al Gore zum Präsidenten erklärt, wäre zumindest der Irakkrieg aller Wahrscheinlichkeit nach nicht geführt worden. Mit Bush an der Spitze - der 9/11 zum Anlass nahm, die Pläne der Neokonservativen nach einem "neuen amerikanischen Jahrhundert" mit weltweiter US-Militärdominanz in die Praxis umzusetzen - konnte al-Qaida auf genau jene Überreaktion hoffen, die heute als "imperial overstretch" bekannt ist und den Niedergang der USA eingeleitet hat.

Das gilt auch für den Bereich der "soft power", also der Idee der USA als wertbestimmender Leitmacht der freien Welt. Bernd Greiner zeichnet detailliert nach, wie die US-Regierung unmittelbar nach 9/11 damit begann, Völkerrecht, Menschenrechte und rechtstaatliches Verhalten in ihrem "Krieg gegen den Terror" entschlossen zu missachten. Auch unter der Regierung Obama, so Greiner enttäuscht, hat sich daran im Grundsatz überhaupt nichts geändert.

Es ist ausgesprochen spannend, beide Bücher parallel zu lesen: Während Greiner sich nach einer hauptsächlich dem Untersuchungsbericht der 9/11-Kommission entnommenen Darstellung der Vorgeschichte von 9/11 mit al-Qaida nicht mehr weiter befasst, sondern sich auf die Politik der US-Regierung konzentriert, versucht Schäfer, eng bei den Erklärungen und möglichen Strategien al-Qaidas zu bleiben.

Mathias Bröckers/Christian C. Walther: "11. 9. - zehn Jahre danach. Der Einsturz eines Lügengebäudes". Westend Verlag, Frankfurt/M. 2011, 320 S., 16,99 Euro

Andreas von Bülow: "Die CIA und der 11. September. Internationaler Terror und die Rolle der Geheimdienste". Piper Verlag, München 2011, 336 S., 9,95 Euro

Tobias Endler: "After 9/11: Leading Political Thinkers about the World, the U.S. and Themselves". Verlag Barbara Buderich, Ridgebrook 2011, 219 S., 19,90 Euro

Bernd Greiner: "9/11: Der Tag, die Angst, die Folgen". C. H. Beck, München 2011, 280 S., 19,95 Euro

Marcus B. Klöckner: "9/11 - Der Kampf um die Wahrheit". Heise Verlag, Hannover 2011, 218 S., 16,90 Euro

Gerhard Wisnewski: "Operation 9/11. Der Wahrheit auf der Spur". Knaur Verlag, München 2011, 480 S., 12,99 Euro

Anja Reich/Alexander Osang: "Wo warst du? Ein Septembertag in New York". Piper Verlag, München 2011, 272 S., 19,99 Euro

Ulrich Schäfer: "Der Angriff. Wie der islamistische Terror unseren Wohlstand sprengt". Campus Verlag Frankfurt/M. 2011, 312 S., 19,99 Euro

Südlink 157: "Zehn Jahre nach 9/11. Internationale Sicherheit und Menschenrechte". Zeitschrift Südlink, Berlin 2011, 3,50 Euro

Angst als Katalysator ökonomischen Zerfalls

Schäfer erwähnt ausführlich weitere Terroranschläge in Europa, auch die mutmaßlich durch die Sicherheitsbehörden verhinderten, um seiner These von der Terrorangst als Katalysator ökonomischen Zerfalls Nachdruck zu verleihen. Das wirkt dann so komprimiert ein bisschen alarmistischer, als es zumindest der gefühlten Lebenswirklichkeit etwa in Deutschland entspricht.

Wie aus einer anderen Welt kommt der andere Schwung von Veröffentlichungen zum Jahrestag. Die Szene der selbst ernannten "9/11-Skeptiker" hat wieder zugeschlagen und eine ganze Reihe neuer oder überarbeiteter Bücher auf den Markt gebracht. Sie bezweifeln die Täterschaft al-Qaidas, vermuten die US-Regierung selbst hinter den Anschlägen oder zumindest, dass Washington die Anschläge bewusst geschehen ließ, um jene bei Greiner ausführlich nachzulesende Politikwende einleiten zu können.

Neben aktualisierten Neuauflagen ihrer 9/11-Bücher von Verschwörungstheoretiker Gerhard Wisnewski und dem umtriebigen Andreas von Bülow hat sich aus dieser Szene einzig Mathias Bröckers mit Koautor Christian C. Walther die Mühe gemacht, die seit zehn Jahren relativ gleiche Geschichte von der mutmaßlichen Täterschaft der USA neu aufzuschreiben.

Wilde Verschwörungstheorien

All diesen Veröffentlichungen gemein ist, dass sie detailversessen versuchen, die "offizielle" Schilderung der Ereignisse des Tages als unwahr herauszuarbeiten - der Unterschied ist, dass Wisnewski ("nicht die entführten Flugzeuge stürzten in die Türme, sondern heimlich ausgetauschte ferngelenkte Flugzeugattrappen") und von Bülow ("die Flugzeuge waren ferngelenkt, das World Trade Center wurde gesprengt") eigene, doch recht wilde Theorien aufstellen, während Bröckers und Walther sich im Wesentlichen darauf beschränken, eine Neuuntersuchung zu fordern - da ist man auf der sicheren Seite.

Wie sehr die Szene nach wie vor blüht, mag ein neues Buch belegen: Autor Marcus B. Klöckner, der auch selbst gern mal geheimnisvoll über die Bilderberger oder andere konspirologische Lieblingssubjekte schreibt, stellt in seinem Buch alle wesentliche Protagonisten der "Skeptiker"-Bewegung vor - das allerdings denkbar unkritisch. Die Parallelwelten gedeihen weiter, und man merkt zwischen beiden Arten von Autoren eine gewisse Sprachlosigkeit.

Nur der Vollständigkeit halber sei das Buch von Tobias Endler erwähnt: Der Autor hat mit 17 führenden Politikern und Intellektuellen in den USA gesprochen - das könnte spannend sein, auch wenn die Gespräche alle 2007/08 stattfanden, also vor der Wahl Barack Obamas zum Präsidenten. Leider ist der Titel eine Mogelpackung: Der Autor interessiert sich vor allem für das Selbstverständnis von Intellektuellen in den USA und stellt ihnen eine Reihe so uninteressanter Fragen, dass die Antworten entsprechend ausfallen. Einzige Ausnahme: Noam Chomsky, der beschreibt, wie sehr sich außerhalb stellt, wer sich politisch genormten Sprachregelungen widersetzt.

Und dann sind da noch das JournalistInnenpaar Alexander Osang und Anja Reich - ihre Erinnerungen sind vergnüglich zu lesen, bieten aber allenfalls Erkenntnisgewinn über das Familien-, Beziehungs- und Berufsleben der AutorInnen. Wen's interessiert.

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