Neue Serie „Nackt über Berlin“: Tschick und Tschaikowski

Die Fernsehserie„Nackt über Berlin“ handelt von jugendlichen Außenseitern. Darin wird ziemlich viel masturbiert und gekotzt.

Tai und Jannik beschmieren sich gegenseitig mit Torte

Tai und Jannik bei der Tortenschlacht Foto: ZDF

Fetti und Fidschi werden sie von ihren Mitschülerinnen genannt. Mobbing auf dem Schulhof, nennt man das. Das pädagogische Vermögen des vorbeilaufenden Direktors beschränkt sich darauf, dem Fetti Geheißenen mitzugeben: „Wehr dich, du bist doch ein Kräftiger!“

Und ob sie sich wehren, Jannik und Tai, die Außenseiter, die Freunde, die einen sofort an das Protagonistenduo in Wolfgang Herrndorfs Roman und Fatih Akins Film „Tschick“ denken lassen.

Nur dass ihr Ausbruch aus den ihnen widrigen Verhältnissen sie nicht auf einen Roadtrip in Richtung Walachei führt – sie wählen quasi die entgegengesetzte Strategie.

Sie quartieren sich in der leerstehenden Wohnung in einem der neuen Türme aus Stahl und Glas in Berlins Mitte ein, gleich neben dem Direktor (Thorsten Merten), gegen den sie sich wehren, indem sie ihn in seinem neuen High-Tech-Domizil einschließen, ihn von der Außenwelt abschneiden, ihm irgendwann, nach ein paar Tagen, sogar Wasser und Strom abdrehen. Was als schon nicht ganz so harmloser Dumme-Jungen-Streich begonnen hat, eskaliert, wird zur Folter.

„Nackt über Berlin“, sechs Episoden, Do. 20.15 Uhr, Arte; Fr. 22.20 Uhr, ARD

Ein Streich eskaliert

Und die Freundschaft der beiden Jungen wird infrage gestellt. Denn Jannik muss sich fragen, ob das scheinbar einer spontanen Idee entsprungene Unternehmen von Tai (Anh Khoa Tran), der vietnamesische Wurzeln hat, nicht eigentlich ziemlich akribisch vorbereitet wurde.

Und ob Tais Erwiderung der zärtlichen und wenig platonischen Gefühle, die Jannik für ihn empfindet, wirklich echt oder möglicherweise nur vorgetäuscht ist. Kurz, ob Tai lediglich ein mit allen Wassern gewaschener Schlawiner oder doch ein hinterfotziger Manipulator ist.

Jannik wird von dem fantastischen Lorenz Germeno gespielt. Der im Jahr 2004 geborene Schauspieler liegt – wie sein gut zwei Jahrzehnte älterer Regisseur – mit seinem BMI jenseits des Normalgewichts, was es ihm in der jüngsten „TKKG“-Filmadaption (2019) ermöglicht hat, das zweite „K“, „Klößchen“ also, zu spielen. (Ältere Leser/Hörer werden sich erinnern, dass das „T“ einst für „Tarzan“ und dann für „Tim“ stand. Ob es nicht bald an der Zeit ist für eine weitere Namensaktualisierung?)

Große Schauspielkunst

Und besagter Regisseur ist kein Geringerer als Axel Ranisch, bekannt geworden mit „Dicke Mädchen“, seinem Abschlussfim an der Filmhochschule Konrad Wolf, der hier in sechs Episoden nichts anderes verfilmt hat als seinen Debütroman „Nackt über Berlin“. „Dieser Roman bin ich, trotzdem ist alles erfunden“, zitiert der Verlag seinen Autor. Also alles wie immer, wenn da einer „autofiktional“ erzählt.

Das Motiv des Schwimmlehrervaters, der mit seinem sensiblen, übergewichtigen, homosexuellen Sohn fremdelt, gab es schon in „Ich fühl mich Disco“, damals mit Ranischs Stammschauspieler Heiko Pinkowski in der Vaterrolle. Der ist auch jetzt wieder mit von der Partie, aber die Vaterrolle hat ein deutlich fieser agierender Devid Striesow übernommen, der mit Ranisch im Radio regelmäßig über klassische Musik parliert.

Im alten Trainingsanzug und in der Rolle des Sportfunktionärs hat er nun wenig Verständnis für das musikalische Interesse seines TV-Sohnes mit dem Hausheiligen Tschaikowski („Er wollte damals die Sängerin Désirée Artôt heiraten. Aber seine Freunde haben dann die Hochzeit verhindert, weil sie wussten, dass er … dass er gar nicht auf Frauen steht“).

Spritzen für die Männlichkeit

Bei einem kalten Bier will der Vater mit Jannik „jetzt mal von Mann zu Mann“ reden: „Also, die Mama und ich, wir freu’n uns natürlich, dass du jetzt ’n Kumpel hast. Aber der Tai, der is ja eben ’n Junge. Ja und dann noch die Sache mit deinem Übergewicht!“ Es wird immer grotesker und läuft darauf hinaus, dass er seinem Sohn von einem mit der Verabreichung von Hormonen bestens vertrauten Sportarzt Testosteron spritzen lassen will.

Die anschließende (Alb-)Traumszene in bewusst wackeliger Kulisse, in der Jannik die Zwangsspritze imaginiert, erinnert ein bisschen an die Ästhetik in Woody Allens Film „Was Sie schon immer über Sex wissen wollten …“, in dessen letzter Episode es um die männliche Ejakulation geht. Wurde schon erwähnt, dass in „Nackt über Berlin“ ziemlich viel masturbiert wird? Und gekotzt?

Man sollte sich aber nicht täuschen. In vermeintlichen Plansequenzen, in denen Ranisch seine beiden Protagonisten durch die verschachtelten Innenräume des Lichtenberger Dong Xuan Centers schickt, demonstriert er buchstäblich en passant, dass er sich durchaus auf virtuose Bilder versteht. Wenn er denn will.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.