Neuer EZB-Chef: Wie deutsch ist Mario Draghi?

Der scheidende EZB-Chef Jean-Claude Trichet wandelte sich in der Krise vom Verfechter eines eher deutschen Stabilitätskurses zum Pragmatiker. Was kommt jetzt?

Der neue und der alte EZB-Chef: Mario Draghi und Jean-Claude Trichet. Bild: dapd

BERLIN taz | Wie deutsch ist der neue EZB-Chef? Diese Frage taucht unweigerlich auf, wenn es um den Wechsel an der Spitze der Europäischen Zentralbank (EZB) geht, der sich zum 1. November vollzieht.

Auch wenn Mario Draghi Italiener ist, werden ihm viele Eigenschaften nachgesagt, die nicht ins italienische Klischee passen: sachlich, streng und arbeitswütig, ein Verfechter von Haushaltsdisziplin und Kritiker der "kreativen Finanzpolitik" der italienischen Regierung. "Sogar richtig preußisch" sei der Italiener, adelte ihn die Bild-Zeitung.

Der 64-Jährige gilt als Weltbürger. So promovierte und lehrte er in den USA und arbeitete bei der Weltbank und für die Investmentbank Goldman Sachs, bevor er 2006 Chef der italienischen Zentralbank wurde. Nun übernimmt er die Leitung der EZB vom Franzosen Jean-Claude Trichet, der turnusgemäß nach acht Jahren sein Amt aufgibt - und damit auch das Management der Eurokrise. "Ein Höllenjob", sind sich die Kommentatoren in den einschlägigen Medien einig.

Wie der Job zu erledigen ist, das schien bei der Gründung der Europäischen Währungsunion noch ganz klar: Der Präsident der neuen Zentralbank sollte die Politik der Bundesbank möglichst eins zu eins fortsetzen - das heißt, die EZB von allen politischen Interessen unabhängig halten und die Geldwertstabilität über alles stellen.

Bloß keine Inflation

Der Niederländer Wim Duisenberg war so jemand, wie sich an einem Beispiel illustrieren lässt: 2001, nach dem Dotcom-Crash, senkte die US-Notenbank Fed zwecks Wiederankurbelung der Konjunktur die Zinsen drastisch, auch wenn sie so das Entstehen einer Immobilienblase begünstigte. Der EZB-Präsident blieb hart, um keine Inflation entstehen zu lassen, und riskierte lieber eine Rezession. Der Euro wurde dafür nach anfänglicher Schwäche gegenüber dem US-Dollar immer stärker.

Duisenberg hatte sich 1999 aber nur mit dem Versprechen als EZB-Chef durchsetzen lassen, dass danach die Franzosen an die Reihe kämen. So gelangte 2003 Trichet an die Spitze der Bank. Trichet, zuvor Chef der französischen Zentralbank, setzte allerdings zunächst einmal Duisenbergs - und damit eine höchst deutsche - Politik fort. Dem Druck der französischen Regierung, doch im Interesse der europäischen Konjunktur die Zinsen zu senken, widersetzte er sich standhaft. 2010 erhielt er als Garant für die Stabilität des Euro den Internationalen Karlspreis.

Doch das deutsche Zeitalter in der Frankfurter EZB-Zentrale begann sich seinem Ende zuzuneigen, als 2007 die Finanzkrise ausbrach und im Laufe der Zeit zur Euro-Schuldenkrise wurde. Der alte Bundesbankkurs, nur auf eine stabile Währung zu achten, ließ sich nicht mehr durchhalten. Schließlich musste irgendjemand den Euro retten, wenn die Regierungen der Eurostaaten sich nicht auf eine Strategie zur Krisenbekämpfung einigen konnten. Und genau das tat die EZB: Sie lieh den Banken unbegrenzt Geld und kaufte Staatsanleihen von kriselnden Eurostaaten an, um deren Kurs zu stützen und die dafür fälligen Zinsen erträglich zu halten.

Ein Sündenfall

Für EZB-Kritiker ein wahrer Sündenfall. Doch die eisernen deutschen Stabilitätspolitiker haben den Kampf um die geldpolitische Lufthoheit in Europa verloren. Erst warf im Februar der damalige Bundesbankchef Axel Weber, der als Trichet-Nachfolger gehandelt worden war, den Bettel hin. Im September kündigte EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark seinen Rücktritt an. Beide hatten erfolglos zu verhindern versucht, dass die Zentralbank dauerhaft überschuldeten Eurostaaten beispringt.

Webers Rücktritt machte den Weg für Draghi frei. Wird dieser nun Trichets zunehmend pragmatischen und immer weniger ideologischen Kurs fortsetzen? Trichet hatte zwar die umstrittenen Anleihekäufe als Notmaßnahme in die Wege geleitet, sich aber zur Freude von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) geweigert, sie ins geldpolitische Standardrepertoire der EZB aufzunehmen.

Stützungsmaßnahmen sollten stattdessen die Aufgabe des europäischen Rettungsschirms EFSF werden. Nun aber sieht vor allem der französische Präsident Nicolas Sarkozy Anlass zur Freude. Er interpretiert Draghis erste Äußerungen dahingehend, dass dieser die Anleihenkäufe fortsetzen werde. Aber ob Draghi in Wirklichkeit ein Franzose ist - daran bestehen dann doch Zweifel.

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