Neuer Roman von Emma Cline: Die Rückseite der Hamptons

In „Die Einladung“ lässt US-Schriftstellerin Emma Cline eine Frau durch die Welt der Reichen stolpern. Sie versucht dabei, ein sorgloses Leben abzugreifen.

Fußspuren auf dem Strand am Meer, im Hintergrund Häuser auf dem Deich.

Wenigstens für die Schritte im Sand dürfte es am Strand der Hamptons keinen sozialen Code geben Foto: robertharding/picture alliance

Die Sache mit dem Sex ist noch das Unkomplizierteste. Die erwarteten Gesten, die richtigen Blicke, die Mechanik des Begehrens. Alex hat keine Probleme mit Berührungen und kann Männer gut handhaben. „Wie einfach diese Dinge doch liefen“, heißt es noch ziemlich zu Beginn in Emma Clines neuem Roman „Die Einladung“. Und irgendwann später heißt es: „Das war es doch, was sie alle wollten, oder? Im Gesicht eines anderen Menschen pure Akzeptanz zu sehen.“ Das kann Alex wie auf Knopfdruck herstellen.

Das sind aber auch die einzigen Dinge, die einfach laufen, alle anderen sind für sie kompliziert. Alex ist eine 22-jährige Frau, die Männer begleitet, mal für einen Abend, mal auch für länger. Der Roman folgt ihr an einen Kipppunkt. „Ihr monatlicher Cashflow ging den Bach runter. Alex erwog eine Brustvergrößerung.“ Ihre WG in New York hat sie rausgeschmissen, weil sie ihre Miete nicht mehr bezahlt hat. Schon das beschreibt Emma Cline sehr gut. So ein Drama aus Freundesverrat, Scham und Selbstentschuldigung tuscht sie mit wenigen Strichen hin.

Außerdem ist da Dom, der Mann, den Alex erst begleitet und dann bestohlen hat und der jetzt hinter ihr her ist und ihr wütende Textnachrichten schickt, vielleicht aber auch einfach die toxische Beziehung weiterführen will. Noch so ein Drama. Das ganze Leben von Alex besteht aus Dramen.

Der Roman setzt dann damit ein, dass sich für diese Alex die Gelegenheit ergibt, ein – solche treffenden Formulierungen beherrscht Emma Cline grandios, und Monika Baark hat sie gut ins Deutsche übertragen – „normales Leben abzugreifen“, mehr noch, ein gutes, sorgloses Leben.

Alex lernt Simon kennen, der Ende 50, reich und geschieden ist. Simon lädt sie für den Sommer in sein Haus in den Hamptons ein. Die Hamptons – Sehnsuchtsort der Amerikaner. Hausangestellte, Tage am Strand, Dinner-Partys. Die Rettung. Alex geht schwimmen und beginnt sich sogar vorsichtig zu fragen, ob die Beziehung mit Simon mehr sein könnte als ein Deal. „Diese Sache war echt, sie und Simon. Oder könnte es sein.“ So beginnt das alles.

Auf die richtige Weise lächeln

Kompliziert sind die Dinge für Alex vor allem, weil sie auch in oder vielleicht sogar gerade in Simons Welt, dieser Welt der Reichen, ständig auf der Hut sein muss. Sie muss in den richtigen Situationen auf die richtige Weise lächeln. Sie muss wissen, wann ein Bikini passend ist und wann doch eher eins der leichten teuren Kleider, die Simon ihr kauft. Auf den Partys muss sie auf eine Weise neben Simon stehen, die zeigt, dass sie da ist, aber sich auch nicht in den Vordergrund drängt.

Auf gar keinen Fall darf sie bedürftig, abhängig oder gar verzweifelt wirken. Dankbarkeit muss sie auf eine Weise zeigen, die nicht so wirkt, als ob sie es nötig hätte, dankbar zu sein. Unentwegt muss sie Situationen verstehen, Menschen lesen, Informationen scannen und verarbeiten, Situationen manipulieren, damit ihre Anwesenheit selbstverständlich wirkt, so, als ob sie dazugehören würde.

Das Schwimmen und Sichtreibenlassen im Wasser ist eins der Leitmotive des Romans, zwischendurch fragt man sich aber auch beim Lesen, ob man in dieser Alex nicht eine Meerjungfrau sehen könnte, die auf dem Land nur unter Schmerzen, wie auf Scherben gehen kann, inmitten von „aus den Rippen geleierten Pseudoemotionen“. Anlässlich reicher Kinder fragt sich Alex einmal: „Wie konnten diese Mädchen so viel älter wirken, so selbstsicher? Dies war eine andere Schicht […], einige Stufen näher an kultureller Macht.“ Alex selbst aber steht permanent unter Strom.

Kleine Missgeschicke

Die Handlung des Romans wird dadurch vorangetrieben, dass ihr kleine Missgeschicke unterlaufen, nichts Weltbewegendes, aber doch Störungen in dieser geordneten Welt. Bei Simons geliebtem Cabrio fährt sie ein Rücklicht kaputt, ohne es ihm zu sagen. Später wird sie in einer anderen Villa mit dem Fingernagel einen kleinen Riss in einem Ölgemälde hinterlassen. Auf einer Party trinkt sie ein Glas zu viel, verliert für einen Moment ihre Selbstkontrolle und findet sich in einer undeutlichen Situation mit einem von Simons Bekannten in einem Pool wieder.

Emma Cline: „Die Einladung“. Aus dem Englischen von Monika Baark. Hanser, München 2023, 318 Seiten, 26 Euro

Was man unbedingt versteht, wenn man diesen Roman liest: worin in dieser Gesellschaft wahrer Luxus besteht. Nämlich noch nicht einmal nur in der Größe der Villen, ihrer Lage zum Strand, den Pools, den Autos, den Kunstwerken an der Wand. Sondern vor allem darin, dass man sich um die äußeren Umstände dieses Lebens keine Sorgen machen muss, weil es Menschen gibt, die man bezahlt und die das für einen erledigen.

Auch als Simon Alex nach der Poolaffäre wieder aus seinem Haus schmeißt, hat er jemanden, der das für ihn so diskret wie möglich abwickelt: Lori, eine Angestellte, die sein Leben managt. „Er ist ein komplizierter Typ“, sagt diese Lori, während sie Alex zum Bahnhof fährt, „es liegt nicht an dir.“

Alle Figuren stehen neben sich

Die Kosten dieses US-amerikanischen Luxuslebens zeichnet Emma Cline auch nach. Sie schafft es tatsächlich, dass man auf solche Typen wie diesen Simon gar nicht mal so sehr wütend ist, sondern vielmehr Mitleid mit ihm hat. Eigentlich stehen alle Figuren in diesem Roman prinzipiell neben sich.

Dass die Bewusstseinsstrukturen der Upper Class berechenbar sind – in ihren unweigerlichen Melancholien, ihrer inneren Leere, ihrer Achtlosigkeit – und dass die wirklich interessanten Lebensdramen sich auf der Ebene darunter abspielen, darin liegt eine schöne literarische Rache. Vielleicht liegt hier aber auch ein konservativer Hintergrund versteckt. Heile Familien oder auch nur geglückte Beziehungen sind in der Gesellschaft, wie Emma Cline sie beschreibt, in einer Weise nicht möglich, dass man denkt, alle hätten sie doch gern.

Der Plot des Romans geht dann so, dass Alex nicht wieder in die City zurückfährt und sich ein paar Tage auf eigene Faust in der Welt der Reichen durchschlägt, in der Hoffnung, Simon auf dessen Gartenparty zum Labor Day noch einmal neu für sich zu gewinnen. Dabei hangelt sie sich improvisierend von Situation zu Situation, trifft Menschen, nutzt sie aus, verliert sie wieder. Eine Odyssee beginnt.

Eigentlich obdachlos, muss Alex so tun, als ob ihr nichts fehlen würde. Sie schleicht sich in einen Beach Club ein, übernachtet in den unter der Woche von ihren Besitzern verlassenen Villen, zieht sich in Restauranttoiletten um.

Im Maschinenraum des nach außen hin sorglosen Reichtums

Ganz nebenbei wird der Roman zum erweiterten Gesellschaftspor­trät. Die Logistik hinter dem Idyll wird beschrieben, der von Angestellten in Gang gehaltene Maschinenraum des nach außen hin sorglosen Reichtums. Einmal beobachtet Alex Laubbläser im Garten eines Anwesens. „So viel Mühe und Lärm waren erforderlich, um diese Landschaft zu kultivieren, eine Landschaft, die Ruhe und Frieden heraufbeschwören sollte.“

Wahnsinnig gut ist die Episode, in der Alex auf Nicholas trifft, einen gescheiterten Schauspieler, der als Haushälter eines Anwesens arbeitet und dabei so tun muss, als ob er seine Dienstleistungen wie Freundschaftsdienste anbietet, stets freudig, stets lächelnd, stets mit der allergrößten Selbstverständlichkeit. Alex bringt ihn bis an den Punkt, an dem er kurz davor ist, seine Maske zu verlieren, an dem er aber auch einsehen muss (so denkt man sich das beim Lesen), dass Selbsterkenntnis ihm nichts bringen würde, höchstens Verzweiflung, und er die Maske also lieber aufbehält.

In einer anderen Episode lernt Alex Jack kennen, den spätpubertierenden Sohn eines Hollywoodproduzenten. Zu dritt essen sie in einem Restaurant. Jack benimmt sich unmöglich, der Vater versucht den Schein einigermaßen aufrechtzuerhalten, und Alex hat wenigstens eine Mahlzeit.

Solche in ihren Ambivalenzen schillernden Situationen kann man aus den vorherigen Büchern der 1989 geborenen Schriftstellerin kennen. In ihrem Debüt „The Girls“ hat sie eine kalifornische Hippie-Sekte beschrieben, bei der man an Charles Manson samt seiner Mordfälle denkt. In dem Kurzgeschichtenband „Daddy“ hat sie ausprobiert, wie weit man mit durchweg gebrochenen Figuren literarisch kommen kann.

Durch und durch toxische Gesellschaft

Der aktuelle Roman „Die Einladung“ hat an seinen besten Stellen etwas von wie aus dem Handgelenk geschüttelter Meisterschaft (ein paar fragwürdige Dinge wie die recht aufdringlichen Siddhartha-Zitate – tatsächlich Hesse! – und die etwas überdeutlich an den Plotpunkten auftauchenden Rehe registriert man, aber nimmt man nicht krumm).

Um sich zu erklären, warum man dieses Buch so gern liest, legt man sich Punkte zurecht. Rückseite des amerikanisches Traums. Porträt einer Gesellschaft, die durch und durch toxisch ist. Stand der sozialen Beziehungen, in der die Reichen und die Angestellten so tun, als ob sie miteinander befreundet sind, und nicht eingeladene Gäste in aller Höflichkeit vom Strand vertrieben werden. Solche Sachen.

Viel der Wirkung dieses Romans liegt aber auch schlicht darin, wie gut Emma Cline schreiben kann. „Der Junge, der zu ihnen rüberkam, war groß, germanisch aussehend, mit Gesichtszügen, die wie eine Annäherung wirkten, als wären sie aus dem Gedächtnis gezeichnet worden.“ Man freut sich über die Lässigkeit des Stils, die in diesem Roman literarisch triumphiert. Sie lässt sich mit keinem Geld der Welt kaufen. So wenig wie funktionierende Beziehungen.

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