Neuer Tiercomic erschienen: Überbordende Zeichenfreude

Ihr Nachname scheint Programm – die Leipzigerin Anna Haifisch zeichnet in ihrem Debüt „Von Spatz“ wunderbar tierartige Gestalten.

Anspielungsreich ist „Von Spatz“ auch in Bezug auf das Leben und Werk der bedingt sozial begabten Künstler-Patienten – Szene aus Anna Haifischs Comic. Illustration: Anna Haifisch/ Rotopolpress

Kaum mehr als eine Katze“ wiegt „der Vater der Maus“, Walt Disney, als er nach einem Nervenzusammenbruch in das Von Spatz Rehab Center gebracht wird, einem einzigartigen Ort für psychisch erkrankte Künstler. Margarete von Spatz, die Nachfahrin jüdischer Immigranten aus Wien, leitet die einsam in der kalifornischen Wüste gelegene Nervenklinik mit viel Verständnis für die ausgemergelten Körper und ausgebrannten Seelen.

Auf dem Gelände stehen lichtdurchflutete Ateliers und ein Ausstellungssaal. Ein gut sortierter Kunstbedarfsladen lädt zum Shoppen ein, Swimmingpool und Hotdog-Bude stehen ebenfalls zur Verfügung. Und um eine Tagesstruktur zu verfestigen, gibt es unter anderem den Pinguindienst, possierliche Tiere wollen täglich mit frischem Fisch gefüttert sein. Im Von Spatz Rehab Center sollen Kreative genesen und sich frei von (ökonomischen) Erfolgsdruck den Künsten widmen können.

Die Leipziger Zeichnerin Anna Haifisch hat sich diesen fantastisch-skurrilen Wunschort für ihr Comicdebüt „Von Spatz“ ausgedacht. Vor hellen, überwiegend zitronengelben, hellblauen und rosa- bis lachsfarbenen Kulissen, irgendwo zwischen Tavor und LSD, erleben die Protagonisten in erzählerisch eher unverbundener, episodenhafter Weise ihre Sinn- und Schaffenskrisen.

Und, der Nachname der Autorin ist hierbei Programm: Es sind herrliche, tierartige Figuren, die unter anderem den vogelartigen Walt Disney, den katzenhaften Saul Steinberg und den mausartigen Tomi Ungerer verkörpern. Endlich sind die Tiere in großer Zahl in den Comic zurückgekehrt. Eine Wende, die sich französischen Comicautoren wie Lewis Trondheim oder Joann Sfar verdankt, deren auf Klassikern beruhende, aber eher krakelig verfremdete als sicher bestimmbare Tierfiguren Anna Haifisch die eine oder andere Referenz erweist.

Beflügelndes Schauvergnügen

Anna Haifisch: „Von Spatz“, Rotopolpress, Kassel, 68 Seiten, 18 Euro

Anspielungsreich ist „Von Spatz“ auch in Bezug auf das Leben und Werk der bedingt sozial begabten Künstlerpatienten. Haifisch spielt mit deren Stilen, zitiert berühmte Arbeiten, streift kenntnisreich Biografisches, ohne das dies aufdringlich wirken würde. Vielmehr ist „Von Spatz“ in seiner versponnenen Anmutung auch ohne Nerdwissen ein beflügelndes Schauvergnügen. Es ist fast ein bisschen schade, dass die Seiten zwischen den Buchdeckeln versteckt sind, man würde sie sich gern an die Wand hängen.

Tatsächlich hat Anna Haifisch, die an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig studiert und dort auch ihre Begeisterung für Druckgrafiken entdeckt hat, von einigen Splash-Panels aus dem Comic Siebdrucke angefertigt. „Von Spatz“ ist ihre Abschlussarbeit und ihr erster längerer Comic. Schon zuvor hat sie aber mit offensichtlich großem Vergnügen grimmige Wölfe und anderes Getier in Kurzgeschichten auftreten lassen.

Eine französische Ausgabe von „Von Spatz“ und der für den Comic verliehene e.o. plauen-Förderpreis würdigten bereits diese überbordende Zeichenfreude. Anna Haifisch ist über das eigene Schaffen hinaus als Comicnetzwerkerin aktiv. Seit 2014 betreibt sie mit dem Kollegen James Turek das Mini-Comicprojekt Tiny Masters, bei dem auch befreundete Comiczeichner Heftchen für kleines Geld veröffentlichen können.

„Comics zeichnen ist so viel Arbeit“

Aktiv beteiligt ist die Endzwanzigerin überdies an dem Comicfestival „The Millionaires Club“, das zeitgleich mit der Leipziger Buchmesse Lesungen, Druckkunstausstellungen und Partys organisiert. Zuletzt zeichnete Anna Haifisch für das Onlinemagazin Vice den Fortsetzungscomic „The Artist“, der als Buch für Mai bei Reprodukt angekündigt ist. Auch hier problematisiert sie auf lakonisch-heitere Weise das Künstlersein. „Meine Zeichnungen sind kompletter Mist“, „Comics zeichnen ist so viel Arbeit“, jammert ein fiktiver Walt Disney in „Von Spatz“.

Vermutlich handelt es sich hierbei um eine ureigene Verzweiflungserfahrung der Künstlerin Haifisch. Das erklärt allerdings nicht, warum sie sich künstlerisch und psychisch strauchelnden alten Männern in Tiergestalt offenbar so seelenverwandt fühlt. Die junge Künstlerin sollte dies vielleicht bei einem Aufenthalt in der Von-Spatz-Klinik thematisieren, den sie für 2023 geplant hat, wie auf der Umschlagseite zu erfahren ist.

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