Neues Album von Wiener Trio Zinn: Schmäh, Schwermut und Apocalypso

Das Frauentrio Zinn findet auf seinem neuen Album „Chthuluzän“ musikalische und poetische Stilmittel, um Melancholie in fetzige Songs umzumünzen.

Das Frauentrio Zinn in schwarzer Kleidung

Gleich ballern sie los: Zinn aus Wien Foto: Apollonia Theres Bitzan

In den vergangenen Jahren hat sich Österreichs Hauptstadt Wien bekanntermaßen zu einer wahren Fundgrube eingängiger und dabei doch leicht verschrobener deutschsprachiger Popmusik entwickelt.

Erst kürzlich setzte die TV-Dokumentation „Vienna Calling“ der Wiener Musikszene ein Denkmal. Neben bereits bekannteren Künst­le­r:in­nen wie Der Nino aus Wien, Voodoo Jürgens und Buntspecht wird darin auch das Frauentrio Zinn vorgestellt. Mit „Chthuluzän“ veröffentlicht es nun sein zweites Album.

Bereits in Rezensionen des gleichnamigen Debüts wurden Vergleiche zur Berliner Band Die Heiterkeit um Sängerin und Komponistin Stella Sommer gezogen. Zumindest auf musikalischer Ebene scheint der Vergleich naheliegend.

Im unteren Drehzahlbereich

Denn ähnlich wie das Heiterkeit-Debütalbum „Herz aus Gold“ war das 2021 veröffentlichte Zinn-Erstlingswerk ein schwermütiges, aufs Wesentliche reduziertes Gitarren-Pop-Album im unteren Mid-Tempo-Bereich. Die Musik von Zinn lebt von eingängigen Melodien und der getragenen, sonoren Altstimme von Sängerin und Gitarristin Margarete Wagenhofer.

Zinn: „Chthuluzän“ (Staatsakt/Bertus/Zebralution)

Und ähnlich wie Sommers Band anno 2014 mit ihrem zweiten Album „Monterey“ haben zehn Jahre später nun auch Zinn den Synthesizer für sich entdeckt, der auf „Chthuluzän“ erstmals im Zentrum des noch einmal um mehrere BPM gedrosselten Slowcore-Sounds steht, der von Bassistin Jasmin Strauss und Drummerin Lili Kaufmann vervollkommnet wird.

In fast schon doomigem Zeitlupentempo schleppt sich gleich der Auftaktsong „Chtulucene“ voran, der trotz düsterer Stimmung mit einer utopischen Verheißung beginnt: „Ich can hear/I can see a new world“, singt Wagenhofer. Bloß wo?

Nachgeschlagen bei Donna Haraway

Fündig geworden ist sie im Werk Donna Haraways. Die US-Philosophin veröffentlichte 2018 das Buch „Unruhig bleiben: Die Verwandtschaft der Arten im Chthuluzän“. Darin versucht sie eine zukünftige Gesellschaft zu skizzieren, in der sich nicht mehr der Mensch fortlaufend selbst ins Zentrum der Welt zu setzen versucht. Stattdessen findet er Wege, im Einklang mit Tieren, Natur und Maschinen zu leben. So soll aus dem Anthropozän das Chthuluzän werden – ein Utopia wechselseitiger Beziehungen.

Wie schon auf dem Vorgänger demonstrieren Zinn auch auf „Chthuluzän“ ihre Fähigkeit, Songs mit einfachen Mitteln vielgestaltig und komplex zu arrangieren. Immer wieder werden dabei Wagenhofers Gesangsparts durch eingängige und dennoch subtil-unaufdringliche Melodien abgelöst. Erneut kommt dabei auch eine Trompete zum Tragen, etwa im schönen „Die Dramaturgie des Nachmittags“, in dem sich Zinn mit ihren Staatsakt-Labelkollegen International Music die Klinke in die Hand geben.

Arpeggios für „Das Kapital“

Highlights des Albums sind die beiden bereits vorab ausgekoppelten Songs „Limoncello“ und „Das Kapital“. Ersteres ist ein entspanntes, durch Gitarren-Arpeggios getragenes Stück Chansonpop, während Letzteres mit nervösen Drum-Wirbeln im Tom-Waits-Stil und düsteren Synthesizer-Soundlandschaften das gleichnamige Unheil besingt, bis es schließlich im hysterischen Ende implodiert. „Es ist überall“, schreit Wagenhofer.

Immer wieder verfahren Zinn im Laufe des Albums nach diesem Muster, dass ruhige, beinahe besinnlich anmutende Parts abgelöst werden durch düstere Klangkulissen.

Zum Finale beschließt „Apocalypso“ den Reigen der Songs, das nicht umsonst Erinnerungen weckt an die mit Zinn freundschaftlich verbundene Gruppe Ja, Panik und ihr 2021 veröffentlichtes Comeback-Stück „Apocalypse or Revolution“. „Tanz, Baby, tanz den Apocalypso mit mir/ Tanz, ´cause the end is near“, singt das Trio da, was gerade aufgrund der musikalischen Unbeschwertheit des Stücks besonders bedrohlich anmutet.

Und man kann getrost annehmen, dass diese Stimmung im Sinne seiner Verfasserinnen ist, die mit „Chthuluzän“ ihr bereits tolles Debüt noch mal übertreffen.

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