Neues CDU-Grundsatzprogramm: „Das ist ein Tabubruch“

Der Entwurf für das neue CDU-Grundsatzprogramm stelle das Asylrecht infrage, sagt Kai Weber vom Flüchtlingsrat. Er hofft, dass die Parteibasis noch Änderungen durchsetzt.

Blick auf eine Flüchtlingsunterkunft

Die CDU will es noch restriktiver: Flüchtlingsunterkunft in Sachsen Foto: Sebastian Willnow/dpa

taz: Herr Weber, sie wollen am Mittwochnachmittag im Bündnis mit 46 Organisationen in Hannover gegen die CDU demonstrieren. Warum?

Kai Weber: Der CDU-Bundesvorstand fordert im Entwurf für das Grundsatzprogramm, das Asylrecht faktisch abzuschaffen. Schutzsuchende sollen in Drittstaaten abgeschoben werden, dort soll ihr Asylverfahren durchgeführt werden – und sie sollen auch dann dort belassen werden, wenn sie Schutz erhalten. Damit würde das Völkerrecht ausgehebelt und das Grundgesetz außer Kraft gesetzt. Nun wird dieser Entwurf auf mehreren Regionalkonferenzen der Parteibasis präsentiert, unter anderem in Hannover.

Sie haben den CDU-Mitgliedern einen Offenen Brief geschrieben. Was steht drin?

62 Jahre, ist Geschäftsführer des Flüchtlingsrats Niedersachsen.

Wir appellieren an die Basis, diesen Passus im Grundsatzprogramm in Frage zu stellen und sich für das geltende Völkerrecht einzusetzen: Schutzsuchende haben ein Anrecht auf Prüfung ihres Asylantrags, und zwar in Europa. Wer die EU erreicht, darf nicht einfach zurückgeschoben werden. Das Asylrecht grundlegend in Frage zu stellen ist ein Tabubruch, auch für die Union. Selbst als 1993 der entsprechende Paragraf im Grundgesetz massiv eingeschränkt wurde, hat der damalige Kanzler Helmut Kohl daran festgehalten, dass dieses Recht nicht gänzlich abgeschafft werden darf.

Die Menschen bekämen ja immer noch ein Asylverfahren – nur nicht in Europa.

Zu erklären, Europa solle Drittstaaten bezahlen, um die Verantwortung für Schutzsuchende komplett loszuwerden, ist eine unfassbar unsolidarische Praxis. Und es bricht mit allen Konsequenzen, die die internationale Gemeinschaft und auch Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg gezogen haben. Damals wurden Hunderttausende Schutzsuchende ins faschistische Deutschland zurückgeschickt.

Die Kodifizierung des Asylrechts – erst die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, dann die Europäische Menschenrechtskonvention und das Grundgesetz – sind die direkte Folge dieses Versagens: Alle Schutzsuchenden sollten Anspruch auf ein faires Asylverfahren bei uns haben.

Sie beziehen sich in Ihrem Aufruf auch auf die AfD. Was hat die mit dem CDU-Grundsatzprogramm zu tun?

Wir haben in den letzten Monaten eine wirklich gespenstische Asyldebatte erlebt. Immer wieder wurden Diktionen der AfD auch von etablierten Parteien aufgenommen. Es wurden Forderungen artikuliert, die vor 2023 noch klar als außerhalb des demokratischen Konsens verortet worden wären. Wenn etwa Unions-Fraktionsvize Jens Spahn erklärt, die EU müsse Geflüchtete notfalls mit Gewalt aufhalten, klingt das schon sehr nach AfD-Forderungen von 2016, notfalls auf Geflüchtete zu schießen. Das beginnt schon im Kleinen. Es ist eigentlich nur noch von irregulärer Migration die Rede – als ginge es hier gar nicht um Schutzsuchende.

Der Begriff trifft ja insofern zu, als dass diese Menschen irregulär nach Europa einreisen.

Der Begriff trifft nicht zu. Unsere bestehenden Regularien sind genau dafür da, diese Menschen zu legalisieren. Nach internationalem Recht sind Menschen auf der Flucht in einer Notlage. Sie dürfen nach Genfer Flüchtlingskonvention nicht dafür bestraft werden, illegal eine Grenze zu passieren – wenn sie dies hinterher offenlegen. Und genau das tun sie mit dem Asylantrag. Insofern sind sie eben nicht irregulär, im Gegenteil: Sie nehmen ihre Rechte wahr.

Nun regiert die CDU ja gar nicht und kann keine Gesetze ändern. Warum ist das Grundsatzprogramm trotzdem so wichtig?

Weil sie dort einerseits verspricht, Menschenrechtsstandards hochzuhalten, aber beim Asylrecht das Gegenteil tut und AfD-Forderungen übernimmt. Die CDU ist eine der großen demokratischen Parteien in diesem Land. Es ist enorm wichtig, dass sie den demokratischen Konsens mitträgt, den Hunderttausende seit Wochen auf die Straße tragen: Dass De­mo­kra­t*in­nen für Menschenrechte einstehen. Wenn wir eine Brandmauer gegen rechts errichten wollen, gehört das Asylrecht elementar dazu.

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