Neues Elektronikalbum von Creep Show: Nah am jähen Abgrund

Die Tracks sind spröde bis hitverdächtig. Über die britisch-US-amerikanische Band Creep Show und ihr teuflisch gutes Elektronikalbum „Yawning Abyss“.

die vier Musiker des Bandprojekts Creep Show sitzen auf einem alten roten Sofa

Das sind sie: die Retro­avangardisten von Creep Show Foto: Chris Bethell

Schöner lässt sich kaum dem Untergang entgegentänzeln als zu „Yawning Abyss“, dem groovenden Titeltrack aus dem gleichnamigen Album des britisch-amerikanischen Bandprojekts Creep Show: Flummiartige Beats schaffen zum Auftakt eine ungeduldige Spannung, bis John Grants samtige Stimme zum Engtanz am titelgebenden Abgrund verführt: „Come jump with me into the maw of the great yawning abyss / Don’t be silly now, you know you’ve always wanted this.“

Fast wie George Michael klingt der in Michigan und Colorado aufgewachsene, inzwischen in Island beheimatete Sänger und Songwriter in diesem Song. Nach dem Ende seiner Indieband The Czars hatte der heute 55-jährige Grant sein großartiges Solodebüt „Queen of Denmark“ (2010) mit der Folkrockcombo Midlake eingespielt. Seither hat er sich jedoch, sowohl in seinem Solowerk als auch in vielen Kollaborationen, in Richtung Elektronik bewegt – was einen Kontrast schafft, der seine warme Baritonstimme noch unvermittelter ins Herz fahren lässt.

Von dieser Spannung profitiert auch „Yawning Abyss“, das zweite Album, das Grant mit Stephen „Mal“ Mallinders schräger Elektronikpopband Wrangler veröffentlicht hat; zusammen sind sie Creep Show. Neben Mallinder, der als Mitglied der Sheffielder Band Cabaret Voltaire Pionierarbeit in Sachen experimenteller Elektronik leistete, gehören Phill Winter (Tunng, Lone Taxidermist) und der Producer Ben „Benge“ Edwards dazu.

Dass Mallinder schon in den frühen 1970ern Sounds kreierte, für die die Welt seinerzeit noch nicht bereit war – bei einem Cabaret-Voltaire-Konzert 1976 wurde Mallinder von einem erbosten Fan, der lieber Rockmusik hören wollte, am Rückenwirbel verletzt –, scheint auch bei Creep Show durch; für Proto- ­elektronikbands wie Depeche Mode, aber auch die Entstehung von Housesound war das Werk von Cabaret Voltaire allerdings zentraler Impulsgeber. Trotz Retroanmutung klingt die Musik von Creep Show sehr frisch.

Creep Show: „Yawning Abyss“ (Bella Union/PIAS/Rough Trade)

Das Aufnahmestudio in Cornwall

Und dazu leidenschaftlich detailverliebt, was wohl dem Produzenten Benge zuzuschreiben ist. Dessen MemeTune-Studio, mit dem er vor einigen Jahren aus London ins ländlichen Cornwall umzog, ist vollgepackt mit Vintagesynthesizern (denen er auch schon diverse Konzeptalben gewidmet hat).

Bei einem Talk im Londoner Plattenladen Rough Trade, als Mallinder und Grant zum Release aus dem Nähkästchen plauderten, schreckt Grant, der in seinem Lebens schon mit ­etlichen Dämonen zu kämpfen hatte, nicht vor großen Worten zurück: Gerade erst habe er ­seiner Schwester ­erzählt, sie solle sich dieses Studio in ­Cornwall als den Ort vorstellen, an dem er in seinem Leben am glücklichsten gewesen sei.

Auch sein vorletztes Soloalbum „Love Is Magic“ (2018) hatte Grant mit Benge dort aufgenommen. „Yawning Abyss“ strahlt eine bemerkenswerte Verspieltheit aus. Ihr Debütalbum „Mr Dynamite“ (2018), beschrieben Creep Show als „Kirmesfahrt in die düsteren Ecken einer Welt, die kurz davor steht, endgültig durch den Fleischwolf gedreht zu werden“. Das neue Album wirkt etwas schalkhafter: Avantgarde und Popappeal finden in funky Elektropop zusammen. Und auch wenn sich in den letzten fünf Jahren in der Welt da draußen wenig zum Besseren gewendet hat, wirkt ihr Blick in den Abgrund diesmal optimistischer. Oder zumindest amüsiert fatalistisch.

Atmosphärisch breiter aufgestellt, sind die Tracks spröde bis hitverdächtig. Eingerahmt ist die surreal anmutende Funkiness vom düsteren Stomper „The Bellows“ („You are complicit / But you still do not get it“); im letzten Track, dem Kraftwerk-artigen „The Bellows Reprise“, wird sie nochmals aufgegriffen. Und beim schnippischen „Money Back“ will man gleich beim ersten Hören den eingängigen Refrain des Kryptowährungsdealers mitsingen: „You want your money back? I don’t think so“. Selbst schuld, wenn man nach den Spielregeln des Spätkapitalismus seine Schäfchen ins Trockene bringen will.

Spannungsfeld: Mensch – Maschine

Hatten Creep Show auf dem Vorgänger die Stimmen von Grant und Mallinder noch so stark bearbeitet, dass sie kaum zu unterscheiden waren, lebt das Nachfolgealbum stärker vom Spannungsfeld zwischen Mensch und Maschine; Grants teils unmodifizierter Stimme und Mallinders Versuchen, sich stimmlich einem Roboter anzuverwandeln, stehen knarzend kühlen Beats gegenüber.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Interessanterweise funk­tio­nie­ren trotz der akkumulierten Nerd-Manpower in dieser Band die konventionelleren Tracks am besten: immer dann, wenn Grant sein Talent zum Crooning voll ausleben kann. Neben erwähntem Titeltrack ist das vor allem der jazzloungige Song „Bungalow“. Der schafft in wenigen Takten voller Moodiness und mit Zeilen wie „Streamlined silhouette, traces of cologne and smoke“ eine Hollywood-Noir-Atmosphäre wie in einem ­David-Lynch-Film.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.