Das Marschweg-Stadion in Oldenburg

Das alte Stadion steht den Aufstiegsträumen im Weg Foto: Nico Herbertz/imago

Oberbürgermeister hilft Fußballverein:Der Traum vom Aufstieg

Sollen Städte Fußballstadien für ihre Profi-Vereine bauen, oder müssen die Vereine das selbst hinbekommen? In Oldenburg ist das die Frage.

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7.4.2024, 14:20  Uhr

In Oldenburg, 170.000-Einwohner-Stadt im Nordwesten, steht in diesen Tagen eine Entscheidung an, die Großes bewirken wird. Fragt sich nur, ob es gutes Großes wird oder ein Desaster.

Ein neues Fußballstadion soll gebaut werden. Eine Arena, wie man heute sagt, weil Stadion so brav klingt, nach Breitensport, nach Bundesjugendspielen, nach Amateuren, nach Marschweg-Stadion. So heißt in Oldenburg das städtische Stadion, das nun endlich überwunden werden soll. Es hat zwar 15.000 Zuschauerplätze, es mangelt ihm aber an allem, was ein Stadion braucht, damit dort Profifußball stattfinden kann, auch wenn es nur die 3. Liga ist. Rasenheizung und Flutlicht zum Beispiel, aber vor allem hat dieses Marschweg-Stadion eine Leichtathle­tik­laufbahn. Die tote Zone zwischen Rasen und Tribünen, die alles schluckt, was an Emotio­nen von da nach dort und zurück fließen kann.

Arena klingt nach Profis, nach Spielen auf höchstem Niveau. Die Allianz Arena, das rot leuchtende Wunderwerk am Stadtrand von München, heißt ja auch nicht Allianz Stadion. Eine Arena, so was wollen sie in Oldenburg auch.

2022 war die Diskussion um einen Neubau in Gang gekommen, nachdem der VfB Oldenburg, nach 25 Jahren, in den Profifußball zurückgekehrt war, Aufstieg aus der Regionalliga in die 3. Liga. Zwar stieg die Mannschaft direkt wieder ab, aber Erinnerungen wurden wach an einstige Größe, verbunden mit dem legendären Donnerschweer Stadion, ein reines Fußballstadion, mitten im Wohngebiet. Da konnte man den Spielern auf die Schulter klopfen, bevor sie eine Ecke traten. Weil der Verein Anfang der 1990er Jahre pleite war, musste er sein Stadion verkaufen.

Heute steht dort ein Supermarkt mit Parkplatz, und die Stadt beherbergt den Verein in ihrem Marschweg-Stadion, das die genannten Unzulänglichkeiten aufweist und eh nie an die legendäre Heimstatt herankommt, die „Hölle des Nordens“, die in der Rückschau immer legendärer wird. Nach dem Aufstieg sah die „Initiative Nordweststadion“ ihren Moment gekommen, zumal der Oberbürgermeister – Jürgen Krogmann von der SPD – Fußballfan ist und seither vehement für den Neubau wirbt.

Hätten die Oldenburger 2021 nicht Krogmann gewählt, sondern den parteilosen Daniel Fuhrhop, der in der Stichwahl nur mit 6.544 Stimmen dem Amtsinhaber unterlag, dann würden sie sich jetzt im Rat verschärft der ­Verkehrswende widmen und daran gehen, die autogerechte Stadt zu überwinden.

Und selbst bei Krogmann spielte das Stadion im Wahlkampf gar keine Rolle, weil der VfB da noch in Liga vier spielte. Als die VfB-Fans nach dem Aufstieg 2022 an die Rathaustür klopften, schwenkte er um. Endlich, eine Idee für seine zweite Amtszeit!

Der politische Leitspruch, der über dem Rathausportal in Stein gehauen ist, lässt sich aber wirklich auch nur schwer entziffern: „Erst wäg’s, dann wag’s.“

Stadion oder Hortplätze?

Kann sich eine Stadt heutzutage den Bau eines Fußballstadions leisten? Soll sie es? Wo doch so viele Aufgaben ­anstehen: Wohnraum schaffen, Verkehrswende hinbekommen, Schulen sanieren, Gebäude dämmen, Klima­neutralität bis 2035, Hortplätze. Kostet alles Geld – wie ein Stadion. Nur dass ein Stadion – je nach Liga – pro Saison für um die 18 Spiele genutzt wird und nsonsten stumm dasteht, abgesehen von Neben­nutzungen, die aber eben nur Nebennutzungen sind.

Mit 47,1 Millionen kalkulieren sie in Oldenburg für einen Bau nahe dem Hauptbahnhof, der eher ein Arenachen sein wird mit nur 7.500 Plätzen, die Variante mit 10.000 Plätzen soll etwas über 50 Millionen kosten. Und wer weiß, was noch an Betriebs- und Unterhaltskosten hinzukommt.

Nicht nur in Oldenburg soll ein Stadion gebaut werden, auch anderswo überlegen sie: in Ulm, in Kiel, immer wieder stehen Städte vor solchen Entscheidungen. Weil es bei ihnen einen Fußballverein gibt, der – wie in Oldenburg der VfB, in Ulm der SSV – eine gewisse Tradition hat und aus einer (wenn auch nur regional verorteten) legendären Geschichte schöpfen kann, und weil dieser Verein eines Tages in den Profifußball zurückkehren könnte. Wenn er dann kein profiligataugliches Stadion hat, dann könnte er in seiner Stadt nicht spielen oder nur ausnahmsweise.

Die harten Bedingungen des Deutschen Fußball-Bundes an so ein Stadion und die Ambitionen von Vereinen, die kein Geld haben, stoßen da aufeinander, und dann überlegt sich die Stadt, ob sie nicht „dem Profifußball eine Perspektive bieten“ soll, wie sie es in Oldenburg so schön sagen.

Das ist das Dilemma. Ein Stadion bauen mit Steuergeld für einen Verein, der vielleicht mal wieder aufsteigt und dann ein Stadion braucht, oder es lassen, weil: Warum sollte eine Stadt einem Verein so was finanzieren?

Am 15. April wird die Frage geklärt, dann tritt der Rat der Stadt Oldenburg zusammen und stimmt darüber ab. Um es vorwegzunehmen: Er wird ziemlich sicher für den Bau eines Stadions stimmen. Alle sind dafür, bis auf die Grünen und die Ratsfrau Vally Finke, die neulich aus der SPD-Fraktion ausgestiegen ist. Wegen des Stadions und des vielen Geldes, das dafür da sei, wo doch andererseits, wie sie dargelegt hat, die Fahrpreise des städtischen Busunternehmens erhöht werden sollten.

Modell eines neue Stadions

So soll das neue Stadtion aussehen Illustration: Initiative Nordweststadion

Also, Oldenburg wird ein neues Stadion bekommen, aber noch mal abklopfen, ob es so sinnvoll ist und wie in anderen Städten darüber gedacht wird, kann man ja trotzdem.

Frage an den Oberbürgermeister: Ist das Risiko nicht zu groß, ein profiligataugliches Stadion zu bauen, damit es da ist, falls es mal einen Verein gibt, der es benötigt?

Perspektivisch hochklassig

Sein Sprecher verweist aufs untaugliche Marschweg-Stadion. Er nennt die oft vernommene Begründung, „ohne neues Stadion wäre also perspektivisch hochklassiger (Profi-)Fußball in Oldenburg nicht möglich“, dann folgt ein längerer Absatz, der recht entlarvend ist:

„Die Stadt Oldenburg ist das Zentrum im Nordwesten Deutschlands und bietet ihren Bürgerinnen und Bürgern sowie den Besucherinnen und Besuchern ein breites, buntes und vielfältiges Angebot (…). Sie hat für viele Menschen eine Sogwirkung und wächst seit Jahrzehnten beständig. Vor diesem Hintergrund muss auch die Frage nach einem Fußballstadion gestellt werden, das für die nächsten 50 Jahre gebaut und die Attraktivität Oldenburgs noch einmal steigern würde. Der aktuelle Tabellenstand oder die Ligazugehörigkeit eines Vereins kann dabei nur eine untergeordnete Rolle spielen. Mit dem VfB Oldenburg gibt es in der Stadt aber einen Verein, der auf eine lange Tradition, auch im höherklassigem Fußball, zurückblicken kann und der immer wieder auch Ziele im Profifußball verfolgt. Insofern relativiert sich das angesprochenen Risiko.“

Ein Fußballstadion, weil das einfach zu so einer Stadt dazugehört und weil der VfB noch Ziele hat.

Hatte nicht die Stadtkämmerin erst im Dezember 2023, wie es auf der Homepage der Stadt Oldenburg heißt, „mahnende Worte“ an den Rat gerichtet, man müsse „in den nächsten Jahren“ von „steigenden Defiziten in zweistelliger Millionenhöhe ausgehen“ und deshalb „das Portfolio an Aufgaben und Dienstleistungen kritischer denn je“ analysieren?

Der Stadtsprecher beschwichtigt: Die Kämmerin habe das gesagt, als sie im Rathaus von einem „defizitären Jahresergebnis 2023 und hohen Defiziten in den Folgejahren“ ausgingen. Dann habe man 2023 doch „mit einem zweistelligen positiven Millionenbetrag“ abgeschlossen und auch für 2024 sei die Prognose „deutlich besser als geplant“.

Nächste Frage: Sollte eine Stadt überhaupt „dem Profifußball eine Perspektive verschaffen“? Und sollte eine Stadt dann vielleicht auch zum Beispiel ein Musicaltheater bauen, weil es auch dafür irgendwann mal Bedarf geben könnte?

„Fußball ist Sportart Nr. 1 und mit Musicaltheater nicht vergleichbar“, schreibt der Stadtsprecher.

Da will jemand dieses Stadion unbedingt. Als Bürger einer Stadt würde man sich ein Stadtoberhaupt ja wünschen, das so eisern für eine Sache eintritt. Es müsste halt nur eine gute Sache sein.

Anruf bei Jürgen Schwark, Professor am Institut für empirische Wirtschafts- und Sozialforschung der Westfälischen Hochschule in Bocholt, Dozent an der Deutschen Sporthochschule in Köln, Fachgebiet BWL, insbesondere Sport-, Freizeit- und Kulturmanagement. Weil ihn das Thema interessiert, hat er aus freien Stücken ein Gutachten verfasst, das der Oldenburger Bürgerinitiative „Kein Stadionbau“ sehr zupasskam. Schwark sagt, eine Stadt habe sich mit freiwilligen Leistungen am Non-Profit-Sektor zu orientieren. Ein Fußball-­Unternehmen wie die VfB Oldenburg Fußball GmbH müsse sich selber finanzieren. Niemand käme etwa auf die Idee, dass eine Stadt einem kommerziellen Musical- oder Kinobetreiber „kostenlos den Gebäudekomplex baut und jährlich den Unterhalt zahlt“.

Den Profifußball zu finanzieren

Die Stadionfans und auch der Oberbürgermeister entgegnen dann gerne, die Stadt subventioniere auch das Staatstheater in Oldenburg. Weil nicht jeder ins Theater geht, müsse man zusätzliche Angebote schaffen.

Ein bestehendes öffentliches Theater ist kein privatwirtschaftliches Unternehmen, sagt Schwark. Deshalb ist es Aufgabe von Stadt und Land, es zu finanzieren.

Das Maskottchen des VfB Oldenburg

Donni, das Maskottchen des VfB Oldenburg Foto: Nico Herbertz/imago

Und wenn der VfB Oldenburg in die 3. Liga aufsteigt, soll die Stadt dann sagen: Eure Sache?

Schwark: „Das Prozedere ist doch denkbar einfach. Der Profifußball investiert eigene Mittel, versucht Kredite bei Banken zu bekommen, akquiriert Sponsoren, eventuell auch Mäzene und begibt eine Fananleihe. Dann schauen sie sich den Gesamtbetrag an und entscheiden, ob das für die erfolgreiche Teilnahme an einer Profiliga mit hoher Konkurrenz reicht. Wenn nicht, fehlt es an Leistungsfähigkeit und sie lassen besser die Finger davon. In der niedersächsischen Landesverfassung steht zwar ‚Das Land, die Gemeinden und die Landkreise schützen und fördern Sport‘. Flächendeckend Profifußball zu finanzieren ist damit definitiv nicht gemeint.“

Genau so sagt es auch Gerhard Semler, der bei der Stadt Ulm das Amt für Bildung und Sport leitet. Ulm, wo der Drittliga-Aufsteiger SSV unbedingt ein profitaugliches Stadion bräuchte, viel dringlicher als der VfB Oldenburg, weil die Ulmer vielleicht schon kommende Saison in der 2. Liga spielen könnten.

Semler ist zuerst ziemlich baff, als er hört, dass die Stadt Oldenburg ein Stadion komplett finanzieren möchte. Dann sagt er: „Wir haben eine großzügige Sportförderung, aber wir haben auch die Regelung, dass wir den Profisport finanziell nicht fördern. Wir sind zwar keine arme Stadt, aber so reich sind wir nicht, dass wir dem Profifußball ein Stadion hinstellen.“ Wenn eine Stadt alle Schulen und Kitas und Brücken in Ordnung habe und dann noch Geld übrig sei, dann könne sie über so ein Bauvorhaben nachdenken. Und Semler würde es selbst dann nicht verantworten wollen.

Die Baukosten im Verhältnis zur Zahl der Zuschauerplätze findet er auch ganz schön happig – „wo wollen die denn die Einnahmen zur Re­finanzierung generieren?“

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Der VfB Oldenburg zahlt Miete.

Aber was, wenn der Verein dauerhaft unterklassig spielt und sich das nicht mehr leisten kaum, fragt Semler.

In Oldenburg denken sie an Konzerte und VIP-Bereiche, die vermietet werden, um Erlöse zu erzielen, über die Fußballspiele hinaus. Wobei es auch schon VIP-Bereiche nebenan in der ebenfalls städtischen Weser-Ems-Halle gibt, wo die Bundesliga-Basketballer EWE Baskets spielen. Konzerte gibt’s da auch. Kommen wegen eines zusätzlichen Standorts mehr Bands oder VIPs nach Oldenburg?

In Ulm, sagt Semler, investieren sie gerade rund 280 Millionen Euro in Sanierung und Neubau von insgesamt 11 Schulen und Kitas. Semler findet, dass so was die erste Aufgabe einer Stadt ist. Die Kosten für die Rasenheizung, die sie ins Donaustadion einbauen lassen, lassen sie sich vom SSV Ulm zurückzahlen – „und zwar eins zu eins“.

Eine Frage wurde in Oldenburg noch kaum gestellt: Gibt es genug Sponsoren, die den VfB in die Profiliga tragen und dort etablieren könnten? Zwar ist an der VfB Oldenburg Fußball GmbH ein reicher Oldenburger beteiligt, aber der ist nicht so reich, dass er den Verein durchfinanzieren könnte. Bleiben lokale Player wie der Energiekonzern EWE, ein Autozulieferer, Banken, eine Versicherung, Cewe, bekannt für Fotoalben und -kalender.

Es wird nicht genug da sein für alle: die Bundesliga-Handballerinnen vom VfL, die Bundesliga-Basketballer der EWE Baskets und die Fußballer. Und wer weiß, ob die EWE, die den größten Batzen zu vergeben hat, nicht irgendwann die Lust an den Basketballern verliert, weil selbst Drittliga-Fußball attraktiver ist.

Der Sprecher des Oberbürgermeisters stellt die Gegenfrage: „Halten Sie es für ausgeschlossen, dass ein Traditionsverein wie der VfB angesichts von bundesweiter Wahrnehmung im Falle einer Drittliga-Zugehörigkeit nicht auch für überregionale Sponsoren interessant sein könnte?“

Bleibt die Frage, was der VfB Oldenburg zum Stadionbau sagt. „Wir freuen uns sehr darüber, dass der Stadtrat positive Signale gesendet hat und so die Aussicht besteht, dass ein für Profifußball taugliches Stadion gebaut wird.“ Als Ankermieter stehe man gerne zur Verfügung.

Korrekturhinweis: In einer früheren Version dieses Textes hatten wir die kalkulierten Baukosten für das Stadion in Oldenburg nicht ausreichend präzise angegeben. Das haben wir korrigiert.

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