Ökonomin zum Gender Pay Gap: „Homeoffice kann zur Hölle werden“

Sie ist erst die dritte Frau mit Wirtschaftsnobelpreis: US-Ökonomin Claudia Goldin zur Erwerbsbeteiligung von Frauen – und zu Problemen ohne Namen.

Claudia Goldin

Die Ökonomin Claudia Goldin Foto: Reba Saldanha/reuters

taz: Frau Goldin, in Ihrem Buch „Career and Family“ schreiben Sie über „problems with no name“. Was sind die Probleme unserer Zeit, die „keinen Namen“ haben?

Claudia Goldin: Auch wenn Frauen und Männer denselben Vertrag haben, verdienen sie nicht immer das Gleiche. Nehmen wir als Beispiel einen Bahnarbeiter und eine Bahnarbeiterin. Beide erhalten das gleiche Gehalt, je nach Dienstalter. Doch es kommt zu Abweichungen, weil Frauen zum Beispiel weniger unbequeme Schichten übernehmen können. Jedoch gibt es Zuschläge, wenn man an Feiertagen arbeitet oder Nachtschichten übernimmt. Männer verdienen also mehr als Frauen in der gleichen Position, weil sie flexibler Schichten übernehmen können.

77, forscht seit 1990 an der Harvard University. Die Ökonomin hat unter anderem die Gründe für den Gender Pay Gap sowie die Auswirkung der Pille auf den Bildungsweg von Frauen erforscht. Im Dezember bekam sie den von der Schwedischen Reichsbank in Gedenken an Alfred Nobel gestifteten sogenannten Wirtschafts­nobelpreis verliehen.

Woran liegt das?

Wenn man sich um Kinder kümmern muss, ist man seltener in der Lage, die späte oder die Sonntagsschicht mit Zulagen zu nehmen. Wir sehen an diesem Beispiel, dass Ungleichheit zwischen den Geschlechtern trotz gleicher Rahmenbedingungen bestehen bleiben kann. Bei Alleinerziehenden wird der Unterschied beim Lohn noch weiter verstärkt.

Obwohl auf den ersten Blick alle in derselben Position gleich bezahlt werden.

Ja, das hat auch mit den Herausforderungen zu tun, die vor allem Frauen in Bezug auf die Care-Arbeit haben. Während der Pandemie wurde vielen plötzlich die Bedeutung des Pflegesektors bewusst, die Bedeutung der Bildungseinrichtungen. Schulen sind nicht nur Orte, an denen Kinder lernen, sie werden dort auch tagsüber betreut. So können viele Firmen produktiver sein. Als Kinder plötzlich zu Hause bleiben mussten, waren viele Arbeitnehmer zunächst weniger produktiv. Vor allem aber hatten Frauen eine höhere Belastung.

Wie hat sich die Care-Arbeit durch die technologischen Entwicklungen verändert?

Historisch gesehen hat sie sich stark verändert. Wenn wir ins 19. Jahrhundert zurückgehen würden, hätte die Pflegearbeit Aspekte, über die wir heute gar nicht mehr nachdenken. Wir müssen uns heute nicht mehr fragen, ob Wasser da ist oder ob man Wasser holen muss, um es in die Toilette zu gießen. Und es gibt weitere ungelöste Probleme. Wir sollten nicht nur über die Pflegearbeit sprechen, sondern auch über Gesundheit und Fruchtbarkeit. Wer sich um Kinder kümmert oder schwanger ist, dessen Möglichkeiten verändern sich schon ziemlich stark.

Frauen können heute in vielen Berufen auch von zu Hause aus arbeiten. Hilft das nicht?

Die Arbeit von zu Hause hat neue Möglichkeiten eröffnet. Ich denke da an meine wissenschaftliche Assistentin, die jetzt zwei Tage pro Woche zu Hause arbeiten kann. Sie kann deshalb von einer teuren Gegend in Cambridge in eine viel günstigere, weil weiter entferntere Wohnung ziehen. Und die gleiche Arbeit verrichten, nur effizienter. Die Arbeit von zu Hause aus bringt also viel Neues mit sich. Doch es gibt auch den berechtigten Grund zur Sorge, dass das Homeoffice zur „WFH: Work from Hell“ – Arbeit aus der Hölle – werden kann.

Wie lässt sich das verhindern, zum Beispiel, dass viele zu Hause ohne Pause arbeiten?

Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass Veränderung auch negative Aspekte mit sich bringen kann, die wir korrigieren müssen. Wir sollten das Gute von Veränderungen annehmen und den schlechten Teil erkennen und verbessern. Oft wird – wie am Beispiel Homeoffice deutlich wird – nicht wirklich darüber nachgedacht, ein neues Gleichgewicht zu koordinieren.

Und die Männer? Wie wichtig ist es für Väter, Zeit mit ihren Kindern zu verbringen?

Ich lese oft von Männern, die Großväter sind und sagen: „Seht, was ich verpasst habe, und es tut mir leid.“ Aus sozialen Zwängen auszubrechen ist eine Herausforderung. Wenn man in einem Büro aus den Zwängen ausbricht, in dem niemand sonst aus den Zwängen ausbricht, wird man zum Außenseiter und könnte als weniger produktiv angesehen werden. Auch hier brauchen wir ein besser koordiniertes Gleichgewicht.

In Ihrem Essay „The Economist as Detective“ von 1998 betonen Sie, wie wichtig genaues Hinsehen und Hinterfragen ist. Warum ist es gerade für Frauen wichtig, Autoritäten zu hinterfragen?

Es ist für jeden wichtig, alles zu hinterfragen. Wir sollten den Ist-Zustand immer hinterfragen, wenn wir das Gefühl haben, dass uns nicht zugehört wird oder wir beiseite geschoben werden. Wir sollten einfach viel selbstbewusster sein.

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