Palästina-Kongress in Berlin: Kritik am Vorgehen der Polizei

Ihre Resolution verbreiten die Ver­an­stal­te­r*in­nen online. Zuvor hatten sie mit Statements und einer Demo gegen das Verbot des Kongresses protestiert.

Palästina-Fahnen bei einer Demo vor dem Roten Rathaus in Berlin

Protest gegen das Ende des Palästina-Kongresses am Samstag vor dem Roten Rathaus in Berlin Foto: Florian Boillot

Mit einem Tribunal haben die Ver­an­stal­te­r*in­nen des Palästina-Kongresses am Sonntagvormittag ihr Programm fortgesetzt. Dazu verbreiteten sie mehrere Reden von Betroffenen und Erfahrungsberichte aus Gaza über parallele Streams bei Youtube und Twitch. Den Livestreams folgten am Vormittag jeweils maximal rund 300-350 Personen.

Die Red­ne­r*in­nen stellten dort auch eine Resolution vor, in der sie Deutschland die Mitschuld an einem Völkermord unterstellen. Der Kongress selbst hätte eigentlich das gesamte Wochenende in einem Veranstaltungssaal in der Germaniastraße in Tempelhof stattfinden sollen.

Die Polizei hatte die Veranstaltung allerdings am Freitag rund eine Stunde nach Beginn zunächst unterbrochen und den Videostream gestoppt und dann aufgelöst. Sie verbot außerdem die Wiederaufnahme des Kongresses für das gesamte Wochenende.

Grund für das abrupte Ende war laut Polizei eine Videobotschaft von Salman Abu Sitta, einem Historiker und palästinensischen Aktivisten, der der Hamas und der Muslimbruderschaft nahestehen soll. Wenige Minuten nach Beginn seines Beitrags hatte die Polizei den Strom für die Übertragung seines Statements abgeschaltet und die Konferenz gestoppt. Es hieß, dass Abu Sitta ein politisches Betätigungsverbot in Deutschland habe.

Kritik an Abu Sitta

Abu Sitta stand bereits im Vorfeld der Konferenz in der Kritik: Er hatte noch im Januar in einem über die sozialen Medien verbreiteten Statement gesagt, dass er, wenn er jünger wäre, an der Attacke der Hamas auf Israel am 7. Oktober teilgenommen hätte. Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung hatte ein Einreiseverbot für ihn gefordert.

Sein Videostatement begann Abu Sitta mit den Worten, dass niemand ignorieren könne, was derzeit in Gaza passiere. „Es gibt nichts vergleichbares in der Geschichte der Menschheit“, sagte er. Er sehe hier alle in vorherigen Massakern und anderen Zusammenhängen angewendeten Gräueltaten vereinigt. Als Beispiele führte er etwa „Neros Niederbrennen von Rom“, den Völkermord in Ruanda und die „in Filmen und Museen dokumentierten“ Grausamkeiten des Zweiten Weltkriegs auf.

Neu und bisher nie dagewesen sei auch, dass diese täglich im Fernsehen gezeigt würden, die Brutalität finde vor aller Augen statt. Vor Abu Sitta hatte nur eine andere Rednerin, die palästinisch-amerikanische freie Journalistin Hebh Jamal, gesprochen. Insgesamt waren für Freitag vier Vorträge und Podiumsdiskussionen geplant gewesen.

1.200 Menschen bei Protest-Demo

Gegen das Verbot des Kongresses formierte sich Protest: Am Samstagnachmittag versammelten sich nach Polizeiangaben rund 1.200 Menschen am Neptunbrunnen in Mitte, um gegen den Krieg in Gaza und den erzwungenen Abbruch der Konferenz zu demonstrieren. Auf der anderen Straßenseite demonstrierten rund 25 Menschen mit Israelfahnen gegen den Aufzug. Die Polizei war mit einem Großaufgebot von 900 Be­am­t*in­nen aus mehreren Bundesländern vor Ort.

Die Stimmung war aufgeheizt, aber friedlich. Auf zahlreichen Schildern wurde die Haltung der Bundesregierung zum Vorgehen Israels und die Medienberichterstattung über pro-palästinensische Proteste kritisiert. „Wir werden nicht zum Schweigen gebracht“, rief Iris Hefets vom Verein „Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost“ von der Bühne der pro-palästinensischen Demonstration. „Wir wollen, dass alle Menschen zwischen dem Meer und Jordanien die gleichen Rechte haben.“

Eine Sprecherin einer kommunistischen Jugendorganisation beklagte, dass mit Björn Höcke ein Faschist „zur Prime Time im Fernsehen“ sprechen dürfe, während gleichzeitig einem Arzt und Rektor der Universität Glasgow die Einreise verweigert wurde. Damit meint sie den britisch-palästinensischen Arzt Ghassan Abu Sittah, der ebenfalls am Freitag auf dem Kongress hätte sprechen sollen. Ihm war am Flughafen BER die Einreise nach Deutschland verweigert worden, damit war er auch an der Teilnahme an dem Palästina-Kongress gehindert worden.

Veranstalter vom Verbot überrumpelt

Währenddessen wirft das Vorgehen der Polizei Fragen auf. Die Kongress-Veranstalter kritisierten das komplette Verbot in einer Pressekonferenz am Samstag. Diese war eindeutig auch an ein internationales Publikum gerichtet. Es sei falsch und gefährlich, und müsse „alle erschrecken“. Eine Anwältin auf dem Podium sagte, von dem Verbot seien sie komplett „überrumpelt“ worden. Direkt vor Beginn der Konferenz hätten sie bei einem Sicherheitsgespräch auch das Programm nochmal durchgesprochen. Dass Salman Abu Sitta auf der Konferenz sprechen sollte, sei außerdem seit langem bekannt gewesen.

„Dass er ein Betätigungsverbot hat, das war uns nicht bekannt“, sagte die Anwältin, sie zog außerdem in Zweifel, dass so ein Verbot auch für Videobotschaften gelte. Die Polizei sei völlig unverhältnismäßig vorgegangen und habe damit das Kooperationsgebot bei Versammlungen verletzt. Po­li­zis­t*in­nen hätten etwa eine Tür mit Gewalt geöffnet, um den Strom abzustellen, obwohl man ihnen die Schlüssel angeboten habe.

Auch das Angebot, den Livestream auszuschalten und die Rede von Abu Sitta nur den Anwesenden zu zeigen, habe die Polizei ausgeschlagen. „Die Polizei wollte keine weiteren strafbaren Inhalte abwarten – dabei waren bis dahin gar keine strafbaren Aussagen gefallen“, sagte die Anwältin. Eine Versammlung dürfe außerdem nur aufgelöst werden, wenn eine unmittelbare Gefahr bestehe – was nicht der Fall gewesen sei.

Presse nicht immer erwünscht

Die Polizei wiederum sagte, dass die Rede von Abu Sitta zu einer neuen Gefährdungsbewertung und dann letztlich zu dem Verbot geführt habe. Er sei in der Vergangenheit mit volksverhetzenden, gewaltverherrlichenden und antisemitischen Aussagen aufgefallen. Die Gefahr zu solchen Straftaten bei dem Kongress sei mit seiner Rede daher stark gestiegen.

Zu dem politischen Betätigungsverbot gegen Abu Sitta sagte die Sprecherin der Polizei, dass dies vom Bundesinnenministerium (BMI) ausgesprochen werde, und aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nur der Person selbst mitgeteilt werde. Dafür wiederum sei das BMI zuständig. Nach Einschätzung der Polizei gelte das Betätigungsverbot auch für Videobotschaften. Von einem Angebot, den Stream zu unterbrechen, sei ihr nichts bekannt, sagte die Sprecherin.

Mehrmals rief die Anwältin der Ver­an­stal­te­r*in­nen die Jour­na­lis­t*in­nen dazu auf, bei der Polizei kritisch nachzufragen. Der Presse würde die Polizei umfassender antworten als ihnen, sagte sie. Weit weniger pressefreundlich hatten sich die Ver­an­stal­te­r*in­nen vor dem Kongress und am Freitag selbst gezeigt. Im Videostream des Kongresses ist kurz vor dessen Abbruch eine Stimme zu hören, die die Teil­neh­me­r*in­nen zur Ruhe auffordert. Die „pro-zionistische Presse“ sei anwesend, dies sei also kein „Safe Space“ mehr, alle sollten sich ruhig verhalten.

Die Deutsche Jour­na­lis­t*in­nen Union (DJU) von Verdi berichtete, dass die Arbeit von mehreren Jour­na­lis­t*in­nen massiv durch Kon­gress­teil­neh­me­r*in­nen behindert worden sei. Die Ver­an­stal­te­r*in­nen hatten im Vorfeld versucht, ihnen unliebsame Presse von der Konferenz komplett auszuschließen. Die DJU verbreitete etwa ein Foto, auf dem zu sehen ist, wie ein Teilnehmer ein rotes Palästinensertuch vor die Kamera eines Journalisten hält, und auch in anderen Situationen sollen Anwesende versucht haben, Journalisten mit Tüchern am Filmen oder Fotografieren zu hindern.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.